“Das Auto kennt seinen Fahrer besser als er sich selbst“: So ließen sich vielleicht die technischen Möglichkeiten zusammenfassen, die moderne PKW als Datensammler bieten. Nicht nur kann das Navigationssystem via GPS erfassen, wann sich ein Auto wo aufhielt. Mittels Sensoren werden auch genaue Infos gespeichert, wie sich ein Fahrer in einer bestimmten Situation verhält: ob er zu schnell fuhr, ob und wie er bremste, ob er übermüdet war. Hat der Fahrer gar Müdigkeitswarnungen seines Assistenzsystems ignoriert, bevor er in ein anderes Auto krachte?

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In zivil- und strafrechtlichen Prozessen können derartige Informationen für die Richter unglaublich wertvoll sein, um ein Unfallgeschehen aufzuklären. Das Auto: Es ist der ideale Zeuge. Es kann Einzelheiten noch genauer erfassen und berichten als ein Fußgänger, der den Unfall am Straßenrand beobachtet hat. Genau das wurde nun Thema beim 7. Allianz Autotag in Ismaning bei München.

Bei schweren Unfallfolgen dürfen schon heute Daten genutzt werden

Die Allianz plädiert dafür, dass bei Unfällen mit Verletzten oder bei Straftaten zur Aufklärung der Schuldfrage künftig Fahrzeugdaten genutzt werden können. „Wenn ein Mensch verletzt oder getötet wurde, sollten alle im Fahrzeug nutzbaren Daten zur Aufklärung der Schuldfrage herangezogen werden können“, zitiert das Versicherungsjournal Joachim Müller, Vorstandschef der Allianz Versicherungs-AG.

Joachim Müller, Schaden- und Unfallvorstand der Allianz, auf dem Autotag des Versicherers in Ismaning.allianz.de Die Forderung ist insofern überflüssig, weil schon heute alle Unfalldaten verwendet werden können, wenn Menschen bei einem Unfall verletzt oder getötet werden. Die Polizei darf alle Daten sichern und auswerten, die etwas über den Unfall verraten könnten: etwa vor Ort das Smartphone beschlagnahmen, wenn der Verdacht besteht, der Fahrer hat vor dem Unfall damit telefoniert. Darauf wies bei der Veranstaltung Jens Dötsch hin, Fachanwalt des Deutschen Anwaltvereines (DAV).

Das Problem ist vielmehr ein anderes: Es ist schlicht nicht klar, in welchen Fahrzeugmodellen welche Daten aufgezeichnet werden und wie und ob diese auslesbar sind. Anders als zum Beispiel in den USA fehle in Deutschland bisher ein Mindeststandard, gibt Allianz-Vorstand Müller laut einem Pressetext der Allianz auf dem Autotag zu bedenken. Das ergibt eine paradoxe Situation: weder der Fahrer weiß genau, welche Daten von ihm aufgezeichnet werden, noch die Versicherer oder die Justiz. Sehr wahrscheinlich landen die meisten Daten bei den Autoherstellern.

Wem gehören die Daten?

Dass es hier durchaus auch um monetäre Interessen geht, zeigt der seit Jahren anhaltende Streit um E-Call-Daten. Spätestens seit März müssen alle Neuwagen in der EU mit einem Notrufsystem ausgestattet werden, das automatisch Hilfe herbeiruft, wenn ein Auto einen Unfall baut: ohne, dass der Fahrer tätig werden muss. Hier hatte die Versicherungswirtschaft vor einem „Datenmonopol der Autobauer“ gewarnt. Stattdessen sollen die aufgezeichneten Daten gedoppelt und über Schnittstellen den Versicherern zugänglich gemacht werden.

Den Versicherern würden sich mehrere Vorteile bieten. Nicht nur könnten sie anhand der vielen Daten den Kundinnen und Kunden passgenaue Angebote zurechtschneidern: Stichwort Telematik-Tarife, bei denen das individuelle Fahrverhalten in die Prämie einfließt. Auch bei der Schadenbearbeitung könnten die Daten wertvolle Dienste leisten. Wer die Hauptschuld trägt an einem schweren Unfall und welche Ursachen dazu geführt haben: anhand der Daten leichter und genauer zu ermitteln.

Allianz-Vorstand Müller hebt aber ein weiteres Moment vor, weshalb künftig die Verwendung von Fahrzeugdaten besser geregelt sein müsse. Fahrassistenz-Systeme nehmen verstärkt Einfluss auf das Fahrverhalten: Sie bremsen automatisch, korrigieren Abstände, sollen sogar schon autonomes Fahren ermöglichen. Zwar muss es dem Fahrer nach jetzigem Recht jederzeit möglich sein, die Kontrolle über sein Fahrzeug zurückzuerlangen. Aber immer öfter könnte es passieren, dass nicht allein Fehler von Fahrern einen Unfall verursachen: sondern ein technischer Defekt. „Es muss auch bei hochautomatisierten Fahrzeugen möglich sein zu klären, ob der Mensch oder das Auto den Unfall verursacht hat“, sagte Müller auf der Veranstaltung.

„Die Allianz empfiehlt einen unabhängigen Treuhänder, dem künftig die zur Unfallaufklärung erforderlichen Daten bei hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen übertragen werden“, so Müller.

Unfallverursacher könnte genauer ermittelt werden

Aber auch für Menschen, die in den Unfall verwickelt werden, ist die Frage relevant, welche Daten vor Gericht Berücksichtigung finden dürfen. Ein konkretes Beispiel nannte die „Süddeutsche Zeitung“ in einem früheren Artikel: An einer Kreuzung mit Rechts-vor-links-Regel hatte eine Autofahrerin vermeintlich ein von rechts kommendes Auto übersehen und wurde beim Zusammenstoß verletzt. Sie wäre vor Gericht schuldig gesprochen wurden - bis die Fahrzeugdaten des Unfallgegners ergaben, dass dieser viel zu schnell gefahren ist und wohl deshalb übersehen wurde. Ohne diese Daten hätte die Frau nicht ihre Unschuld beweisen können.

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Vor den Konsequenzen einer zu nickeligen Datenauswertung warnt DVA-Anwalt Dötsch hingegen auf dem Autotag: dass nämlich schon bei einem kleinen Blechschaden der Versicherer versucht, einen Unfallgegner in Rechtsstreite zu verwickeln und nicht zahlen zu müssen. „Es kann nicht sein, dass der Gegner alle möglichen Daten aus dem Auto auslesen lässt, in der Hoffnung, etwas Belastendes zu finden“, sagte Dötsch laut „Versicherungsjournal“. Er plädiert dafür, dass in Zivilprozessen ein Fahrer auch künftig ablehnen darf, dass seine Autodaten im Detail ausgewertet werden.

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