Vor wenigen Monaten schien es noch so, als könne sich kein großer deutscher Versicherer dazu durchringen, sogenannte Telematik-Tarife in der Autoversicherung anzubieten. Lediglich die Sparkassen Direktversicherung hatte 2014 ein (auf 1.000 Fahrer streng limitiertes) Angebot, wenig später mit Sijox ein Nischen-Anbieter für junge Versicherungskunden. Mit Erklärungen waren die Experten schnell zur Hand: Zu groß sind die Datenschutz-Bedenken der Deutschen, zu teuer ist die Technik, zu gering die Nachfrage. Schließlich misst bei diesen Tarifen eine Black Box oder ein Modul das genaue Fahrverhalten des Kunden: Wie er bremst und beschleunigt, auch wo er sich gerade aufhält. Der Spion im Auto fährt immer mit.

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Doch in den letzten Wochen ging es ganz schnell. Die VHV kündigte die Einführung eines Black-Box-Tarifes an, die Axa, die Itzehoer. Schließlich mit der HUK Coburg sogar der deutsche Marktführer bei den Autoversicherungen. Es scheint, als sei eine Reihe von Domino-Steinen angestoßen worden, denn auch die Allianz Versicherung stellt nun einen entsprechenden Tarif in Aussicht. Die Telematik-Welle kommt ins Rollen!

Telematik-Tarif der Allianz könnte 2016 starten

Wie das Manager Magazin (Mittwoch) berichtet, will die Allianz Telematik-Tarife ab dem kommenden Jahr anbieten. „Wir sind der Meinung, dass die deutschen Autofahrer einen Telematik-Tarif annehmen werden, sofern er die Datensicherheit der Kunden sicherstellt und deutliche Vorteile für die Zielgruppe bringt“, zitiert das Blatt Allianz-Vorstand Alexander Vollmert.

Ein Zitat, das auch Skepsis erahnen lässt. Nur wenn die Prämiennachlässe entsprechend hoch sind und Datenschutz-Bedenken niedrig, werden sich die Angebote hierzulande durchsetzen. Bisher haben die Versicherungen Preisnachlässe von 20 bis 30 Prozent der Versicherungsprämie für eine vorsichtige Fahrweise in Aussicht gestellt. Die Technik ist indes für die Allianz kein Neuland. In Italien, wo Telematik beim Kunden längst etabliert ist, bietet eine Allianz-Tochter bereits Black-Box-Tarife an.

Doch Datenschützer warnen vor den Gefahren. Tatsächlich kann die Black Box eine beachtliche Datenmenge erfassen. Fahrtempo und Spurverhalten, Bremsstärke und Beschleunigung, Gleichmäßigkeit des Fahrens. Rein theoretisch erlaubt die Auswertung des Fahrverhaltens auch Rückschlüsse auf die emotionale Verfasstheit einer Person: Etwa, ob sie in Stresssituationen zu einer aggressiveren Fahrweise neigt. Sogar ganze Bewegungsprofile lassen sich mit der Technik erstellen, also wann sich ein Autofahrer wo aufgehalten hat. Will man derart sensible Daten an seine Versicherung weitergeben?

Wem gehören die erhobenen Daten?

Nach wie vor sei völlig ungeklärt, wem die Daten überhaupt gehören, warnten Rechtsexperten auf einem Kongress des Goslar-Institutes. Und das Interesse daran ist groß. Gesundheitsdienstleister, Autowerkstätten, Krankenversicherungen – für all diese Anbieter wären die hochsensiblen Daten pures Gold wert. Sogar der Arbeitgeber könnte an der Information interessiert sein, ob man sich abends zeitig zu Bett begeben hat – oder vor einem anstrengenden Arbeitstag die Nacht im Klub zubrachte. Doch Vertrauen ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil für Versicherungen. Und so betont Uwe Ludka, Vorstand der Itzehoer, dass die Versicherer gar nicht alle Daten erfassen wollen: den genauen Standort des Fahrzeuges etwa nur bei Notrufen.

Zweifel werden auch an der Zuverlässigkeit der Technik laut. Das Manager Magazin nennt hierfür ein Beispiel: Wer etwa früher bremst, weil ein Hund oder ein Wildtier an der Straße herumstreune, könnte durch die aufgezeichneten Daten zu Unrecht als unvorsichtiger Fahrer abgestempelt werden. Auch wer zu einem Ausweichmanöver gezwungen wird, etwa weil ein anderer Verkehrsteilnehmer ihm die Vorfahrt nimmt. Allerdings werden solche Situationen eher selten im täglichen Straßenverkehr auftreten.

Harter Preiskampf - Wenig Spielraum bei der Tarifgestaltung

Doch können die deutschen Versicherer überhaupt noch Prämiennachlässe für vorsichtiges Fahren gewähren? Infolge des harten Preiskampfes arbeiten schon jetzt viele Anbieter defizitär.

Einige Experten sind sogar der Meinung, dass die wichtigste Zielgruppe für telematik-basierte Tarife diejenige ist, die bereit ist, ein bisschen mehr zu zahlen. Hierfür müssen aber Versicherungen den Mehrwert der Tarife betonen. Denn sie können noch mehr, als eine vorsichtige Fahrweise belohnen. Ein automatisch abgesetzter Notruf soll etwa nach einem Unfall schnell Hilfe alarmieren – wertvolle Zeit, die unter Umständen Leben retten kann. Und bei kleineren Kasko-Schäden soll es möglich sein, den Schaden schnell und unkompliziert per App der Versicherung zu melden. Notwendig wäre hierfür nur ein Foto.

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Nun ist der Kunde am Zug: Das nächste Jahr wird zeigen, ob die neuen Angebote akzeptiert und angenommen werden. Bereits seit Mai gibt es den ersten Tarif, der für alle Kunden offen ist: Hierfür kooperiert der Mobilfunk-Dienstleister O2 mit der Sparkassen Direktversicherung (S-Direkt). Die bisherigen Erfahrungen des öffentlichen Versicherers sind übrigens positiv. Laut einem Sprecher haben die Tarife auch eine pädagogische Funktion: Fahrer, die eine Black Box in ihrem Auto haben, würden vorsichtiger und rücksichtsvoller fahren.

Manager Magazin

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