Helge Lach, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Vermögensberatung (DVAG), betrachtet die „Big Four“ der Tech-Firmen aus dem Silicon Valley nicht als Bedrohung für die Versicherungsbranche, sondern eher als Vorbilder. Das sagte er in einem Video-Interview mit den Versicherungsforen Leipzig, das am Freitag auf dem Blog des Sächsischen Netzwerkes veröffentlicht wurde. Auch Start-ups und InsurTechs wertet er nicht als Konkurrenten, die einem Vertrieb wie der DVAG viel Geschäft streitig machen werden.

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"Eine riesengroße Chance"

“In erster Linie muss man sagen, sehen wir in solchen Geschäftsmodellen erstmal eine riesengroße Chance, weil die Menschen sich auch außerhalb des Versicherungsmarktes an digitale Geschäftsmodelle gewöhnen“, sagt Lach zu Google, Amazon und Co. „Da werden Standards gesetzt. Aus unserer Sicht heraus ist es wichtig, dass die Finanzwirtschaft von diesen digitalen Geschäftsmodellen lernt, sie adaptiert, es genauso gut macht“. In der Finanzwirtschaft könne man noch viel digitalisieren, ergänzt der 56jährige. Er glaube, „man ist gut beraten, wenn man bei den Großen, Erfolgreichen einfach mal reinschaut und Dinge — da wo es passt — übernimmt.“

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Big Player den Finanzmarkt „disruptiv aufrollen“, hält Lach hingegen für sehr gering. Es gebe wichtige Argumente, warum solche Unternehmen in Deutschland noch nicht als Versicherer aufgetreten seien. „Ein Argument ist sicherlich, dass gerade der Versicherungsmarkt extrem reguliert ist, dass Versicherungsprodukte hochkomplex sind, dass sie sehr juristisch sind – das sind eigentlich alles Dinge, die sich im Bereich der Digitalisierung schwer handhaben lassen“, so der Manager.

Darüber hinaus seien die Eigenkapitalanforderungen an das Versicherungsgeschäft sehr hoch, gibt der DVAG-Vorstand zu bedenken — darauf bezogen die Erträge sehr niedrig. Was bei eingesetztem Eigenkapital an Rendite herauskomme, würde großen Playern normalerweise nicht genügen.

Auch InsurTechs müssen Ansprüche korrigieren

Auch die InsurTechs sieht der gelernte Versicherungskaufmann und promovierte Wirtschaftswissenschaftler nicht als Gefahr. Die letzten fünf Jahre hätten gezeigt, dass sie sehr ambitioniert antreten, aber viele auch schon wieder weg seien: sich also nicht durchsetzen konnten.

„Den Hauptgrund sehe ich darin, dass natürlich auch ein digitaler Makler, der die Kundenschnittstelle besetzt, auf Produktlieferanten angewiesen ist“, sagt Lach über das Scheitern vieler InsurTechs. Wenn man mit 10-20 Versicherern kooperieren müsse und die Hälfte liefere nicht den optimalen Support, „dann bin ich am Ende gezwungen, doch wieder Personal einzustellen, das das Ganze dann in Papier abarbeitet, eingibt etc“. Wettbewerbsvorteile würden dadurch verloren gehen.

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Tatsächlich sind in den Jahren seit 2011 bereits 233 Start-ups auf dem deutschen Markt gescheitert, die digitale Dienste für Finanzdienstleistungen anboten, so ergab eine Studie des Beratungshauses PwC. Auch mit Blick auf die Versicherungsbranche ist ein Trend zu erkennen, dass mehr „junge Wilde“ die Segel streichen müssen. Laut InsurTech-Radar 2019, einer im Juli vorgestellten Studie von Oliver Wyman und Policen Direkt, sind im laufenden Geschäftsjahr zwar immerhin 134 Anbieter aktiv — aber 30 InsurTechs mussten in den letzten eineinhalb Jahren aufgeben oder betreiben aktuell kein Geschäft (der Versicherungsbote berichtete).

Regulatorik als größte Gefahr?

Als größte Gefahr für die Versicherungsbranche wertet Helge Lach nicht Techgiganten und neue Wettbewerber, sondern die Regulatorik: also den Gesetzgeber, welcher der Branche immer engere Fesseln anlegt. Die Regulatorik habe der Versicherungsbranche in den letzten Jahren massiv zugesetzt, argumentiert der Manager — und vor allem der Vertrieb habe darunter zu leiden:

“Als ein Allfinanzvertrieb mussten wir eine MiFID II umsetzen, wir mussten eine IDD umsetzten, das LVRG 1 umsetzen. Jetzt wird in der Politik über einen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung diskutiert. Das sind alles Dinge, die von außen kommen und die das Leben sehr schwer machen, die hohe Kosten verursachen und die für einen eigenständigen, kleinen Vermittler kaum noch zu schaffen sind“, klagt der DVAG-Vorstand.

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Bei einigen Sachen sei schlicht zu viele Regulierungsvorgaben gemacht worden, so Lach: Das laufe auch dem Kundeninteresse zuwider. Die Vermögensberatung merke das zum Beispiel bei den Dokumentationspflichten und den vielen Unterlagen, die ausgehändigt werden müssten: „Die meisten Kunden wollen das alles gar nicht haben“.

Zahl der Vermittler sinkt: aus vielfältigen Gründen

Als Beleg, dass überreguliert wird, wertet Helge Lach im Interview die sinkende Zahl an Vermittlern, ohne allerdings Zahlen zu nennen. Diese liefert das Vermittlerregister der Industrie- und Handelskammern (IHKen). Zum Höchststand 2011 gab es in Deutschland noch 263.000 Vermittler, aktuell sind etwa 204.000 verblieben: ein deutlicher Trend. Allerdings betrifft der Schwund vor allem Ausschließlichkeitsvertreter, während die Zahl der Makler in dem Zeitraum sogar stieg.

Zudem hat der Vermittlerschwund weitere Gründe, für die der Gesetzgeber allein nicht verantwortlich gemacht werden kann. Viele Versicherer streichen infolge des digitalen Wandels Stellen im Vertrieb und besetzen Agenturen nicht neu, wenn Vertreter in Rente gehen. Nicht wenige Vermittler dürften in den letzten Jahren in den Ruhestand gewechselt sein: Das Durchschnittsalter der Branche liegt bei rund 50 Jahren.

Vermittlersterben - oder notwendige Marktbereinigung?

Ob der Vermittlerschwund nur negativ zu betrachten ist, darüber gehen die Expertenmeinungen auseinander. Der Beruf des Versicherungsvermittlers hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt: von einer typischen Quereinsteiger-Tätigkeit hin zu einem qualifizierten Expertenberuf. Daran hat auch der Gesetzgeber mit verschärften Regeln einen Anteil.

So tragen steigende Anforderungen an Qualifikation und Weiterbildung dazu bei, dass schwarze Schafe der Branche aussortiert werden. Unter anderem hat Vertriebsexperte Matthias Beenken zu bedenken gegeben: Versicherungsvermittler, die ihre Kunden gut betreuen und lang an sich binden, könnten von einer Marktbereinigung sogar profitieren, während vor allem Strukturvertriebe und Maklerpools einen drohenden Provisionsdeckel fürchten müssten (der Versicherungsbote berichtete).

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Helge Lachs Argument ist auch insofern widersprüchlich, weil er ja im Interview zunächst behauptet, dass Versicherer und Vertrieb in Deutschland durch die hohen regulatorischen Anforderungen vor der disruptiven Energie von Facebook, Google und Co. geschützt werden. Und auch, wenn die Kundinnen und Kunden die umfangreichen Beratungsdokumentationen nicht ausgehändigt bekommen wollen: Im Zweifel dienen die Dokumente dazu, Falschberatungen gegenüber dem Vermittler juristisch anzufechten.

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