Die Vorträge, denen der Verfasser dieser Zeilen lauschte, hatten eines gemeinsam: Sie griffen hochkomplexe Themen auf, waren vollgesteckt mit Informationen: und wurden doch unterhaltsam und lebendig vorgetragen. Das anwesende Fach-Publikum durfte fleißig mitdiskutieren, und fast immer wurde die vorgegebene Zeit gesprengt. Für Erheiterung sorgte dabei mehr als einmal, welche Falltüren Gesetzgeber und Versicherer bauen — nicht nur für Kunden, sondern eben auch für Vermittler. Getreu dem Motto: Transparenz bedeutet, dass man trotzdem noch irgendwie durchblickt.

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Chancen und Fallstricke der Tarifwechselberatung

Anja Glorius, Geschäftsführerin von kvoptimal.de, referierte zu dem Thema, was Versicherungsmakler bei der Tarifwechselberatung nach §204 VVG beachten müssen. Stark vereinfacht: Privatpatienten haben das Recht, in einen günstigeren Tarif der eigenen Versicherung mit gleichem Leistungsniveau zu wechseln. Gerade ältere Versicherungsnehmer sollen so ihren Beitrag senken können. Denn oft haben Krankenversicherer preiswerte Tarife im Programm, mit denen sie um junge und gesunde Gutverdiener werben. Seit mehr als 20 Jahren erlaubt es der Gesetzgeber, durch den Tarifwechsel von günstigeren Tarifen des eigenen Anbieters zu profitieren.

Was aber zunächst einfach klingt, entpuppt sich als hochkomplexe Materie voller Haftungsfallen auch für Vermittler. Zentrale Themen müssen die Makler mindestens beachten, wenn sie zum Tarifwechsel beraten, so stellte Glorius heraus:

  1. Gleichartigkeit der Tarife: Der Versicherte darf nur dann von einem Ausgangs- in einen Zieltarif wechseln, wenn dieser Zieltarif gleichartige Leistungen bietet. Zwar bedeutet das nicht, dass die Leistungen in einem Tarif identisch sein müssen. Der Blick gilt vielmehr der Frage, wie die Leistungsbereiche ambulant, stationär und dental in den jeweiligen Verträgen vorgesehen sind (laut § 12 Kalkulationsverordnung). Gerade beim Wechsel von Baustein- zu Kompakttarifen kann es hier Schwierigkeiten geben, da die Gleichartigkeit nur dann gegeben ist, wenn der Bausteintarif auch alle Versicherungsbereiche des Kompakttarif vorsieht. Kunden, die beispielsweise nur stationäre und ambulante Leistungen abgeschlossen haben, erfüllen zwar die Versicherungspflicht zur substitutiven Krankenversicherung, können aber rechtlich nicht einen Kompakttarif mit dentalen Leistungen auf Basis des §204 VVG beanspruchen.
  2. Mehrleistungen und entsprechende Ausschlüsse: Beinhaltet ein Zieltarif höhere und umfassendere Leistungen, darf der Versicherer speziell für diese eine neue Gesundheitsprüfung anhand der Antragsfragen verlangen. Diese können zu Risikoaufschlägen, Wartezeiten oder Ausschlüssen führen. Hier sind Vermittler auch zu Vorsicht angehalten, ob der Kunde alle gesundheitsrelevanten Daten übermittelt hat und der Arzt keine falsche Diagnose in die Krankenakte schrieb, wie Glorius betonte. Auch sollten Vermittler die Möglichkeit beachten, die Prämie nach §41 VVG herabzusetzen, wenn ein bestimmtes Krankheitsrisiko nicht mehr vorliegt oder durch einen Arzt falsche Angaben in der Krankheitsakte gemacht wurden. Freilich hat ein Kunde auch das Recht, Mehrleistungen eines Tarifes bei einem Wechsel nach § 204 VVG einfach "abzuschneiden", wenn er nicht davon Gebrauch machen möchte.
  3. Alterungsrückstellungen: Seit dem Jahr 2000 sind Versicherer verpflichtet, einen Zuschlag auf den Beitrag von zehn Prozent zu erheben, um steigende Prämien im Alter zumindest zu mildern: schließlich steigen bei Senioren auch die Gesundheitskosten. Doch gerade mit Blick auf die Frage, wie sich die Alterungsrückstellungen bei Tarifwechsel errechnen, machten die Anwesenden eine hohe Intransparenz in der Branche aus: Vermittler und Kunde erfahren oft nicht, wie sich die Rücklagen inklusive den erzielten Überschussanteilen zusammensetzen bzw. konkret in den Beitrag eingerechnet werden. Auf die Frage: „Wer glaubt, dass Alterungsrückstellungen dafür sorgen, dass die Prämie im Rentenalter nicht mehr steigt?“, hob keiner der Anwesenden die Hand. Schließlich wird die Höhe der Prämie auch von vielen anderen Faktoren beeinflusst: unter anderem dem medizinischem Fortschritt mit den damit verbundenen Kosten, dem Rechnungszins („Wenn du einen Prozent abzinst, hast du zehn Prozent mehr Prämie“ oder "Ein Prozent Abzinsung ergeben 50 Euro Beitragserhöhung", so oft gehörte Orientierungsformeln in der Branche), der Alterung der Gesellschaft sowie der Inflation.
  4. Erhalt der Rechte: Kein gleichartiger Tarif bietet zwingend nur Vorteile, sondern wird auch Leistungseinschränkungen und den Verlust von Leistungen beinhalten, wie Glorius betonte. Kunden mit einem alten Tarif, der geschlechtsspezifisch kalkuliert ist, können bei einem Wechsel in die Unisex-Welt nach heutigem Rechtsstand zum Beispiel das Recht verlieren, vom Standardtarif Gebrauch zu machen. Oder ein Versicherer bietet zwar Verbesserungen durch einen offenen Hilfsmittel-Katalog, so dass nun auch Ernährungspumpen erstattet werden. Zugleich schränkt er aber die Erstattung der Kosten bei künstlicher Ernährung und die maximale Erstattung für Implantate stark ein. Hier gelte es, genau abzuwägen und den Kunden auch die negativen Folgen eines Wechsels vor Augen zu führen, abhängig von seinem Alter, eventuell auftretenden Vorerkrankungen und der Lebenssituation.

Die Aufgabe des Maklers sei es, dem Kunden aufzuzeigen, wo Risiken und Vorteile eines Tarifwechsels liegen und möglichst alle Entscheidungsparameter einzubeziehen, wie Glorius betonte. Das bedeutet auch, auf Absicherungslücken eines Tarifes hinzuweisen, den grundsätzlich jeder PKV-Vertrag aufweisen kann, wenn man die GKV nicht als Benchmark anlegt, sondern alle Leistungsparameter des gesamten Marktes als maximalen Horizont. Dabei solle man im Blick haben, dass auch im jeweiligen Zieltarif die Prämien angehoben werden können. „Es gibt keinen Tarif ohne Beitragserhöhung. Und es ist Unsinn zu glauben, dass man für extrem wenig Geld extrem viel Leistung erhält.“ Hier sei auch der Blick darauf zu richten, wie sich ein Wechsel steuerlich auswirke und wie frei werdendes Vermögen durch die Prämienersparnis genutzt werden könne.

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Ein weiterer wichtiger Punkt: wenige hundert Euro Prämienersparnis würden nichts nützen, wenn der Kunde für notwendige Behandlungen nach einem Wechsel mehr zahlen müsse und dies die Beitrags-Ersparnis auffrisst. Deshalb sollte auch der Blick auf Behandlungs- und Heilmittelkosten gerichtet werden.

Mogeln mit Mathe...die Tücken der Modellrechnungen

Ein weiteres heikles Thema sprach Walter Benda, Sachverständiger für Versicherungswesen bei die-finanzpruefer.de, in seinem Referat an: wie Versicherer und Vorsorgeanbieter bei Modellrechnungen tricksen, etwa, wenn sie ihm eine Altersvorsorge vorrechnen. War sein Vortrag auch unterhaltsam und witzig, so offenbarte er doch ebenfalls so manche Haftungsfalle für Vermittler.

Im Grunde konnte Walter Bendas Vortrag auf eine einfache Regel gebracht werden: Besser nicht auf die Modellrechnungen und Verkaufsunterlagen der Anbieter zurückgreifen! Zumindest nicht, wenn der Kunde den Ertrag aus seiner Fondsrente oder einem anderen Vorsorgeprodukt wissen will. Und um Himmels Willen keine Zusagen auf Basis der Modellrechnungen geben, wenn die damit verbundenen Zahlen fast schon ins Reich der Fabel gehören.

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Ein gängiger Mythos aus den Verkaufsunterlagen ist zum Beispiel der sogenannte Cost-Average-Effekt, auch „Durchschnittskosteneffekt“ genannt. Anbieter und Vermittler werben damit zum Beispiel bei Aktienfonds-Sparplänen. Benda führte den Begriff nicht aus, hat er es doch größtenteils mit Fachleuten als Zuhörern zu tun. Er bedeutet aber stark vereinfacht, dass der Privatanleger eine Art Puffer gegen Wertschwankungen am Aktienmarkt schafft, indem er das Geld nicht einmalig investiert, sondern als fortlaufenden Beitrag:

Der Sparer investiert monatlich eine feste Prämie und profitiert vom Zinseszins. Sind die Kurse niedrig, kommen relativ viele neue Fondsanteile dazu. Sind sie hingegen hoch, kann er nur vergleichsweise wenige Anteile für sein Geld kaufen. So verhält er sich fast automatisch antizyklisch, was sich im Vergleich zum Einmalbeitrag positiv auf die Stabilität und Rendite der Geldanlage auswirke.

Der CAE braucht Volatilität, um gegen Volatilität wirken zu können

Das Problem: Aus Sicht von Benda ist dieser Cost-Average-Effekt nichts anderes als eine Verkaufshilfe, um Produkte beim Kunden zu bewerben. Denn der Effekt hat mit einem seltsamen Paradoxon zu tun. Einerseits ist Volatilität an den Börsen und damit eine Wertschwankung überhaupt vonnöten, damit man einen Effekt wie den CAE überhaupt annehmen kann: Eine antizyklische Wirkung ist ja quasi darauf angewiesen, dass es einen Zyklus gibt. Wertschwankungen seien also einerseits Voraussetzung, um einen CAE annehmen zu können, zugleich soll er Sicherheit bei Volatilität bieten: ein Widerspruch in sich, der CAE ist immer auf Relativität angewiesen.

An verschiedenen Modellrechnungen zeigte Benda dann, dass ein CAE bestenfalls bei kurzen Zeiträumen der Geldanlage beobachten werden könne — falls es ihn denn gibt. Doch je länger eine Wertanlage gehalten werde, desto weniger habe eine einzelne Rate mit Blick auf die Stabilität der gesamten Wertentwicklung dieser Geldanlage zu sagen: der stabilisierende Einfluss sinkt, je mehr Raten gezahlt werden. So sei es zum Beispiel auch nicht zulässig, mittels eines vermeintlichen CAE dem Kunden vorzurechnen, dass eine auf dem Dax basierende Geldanlage eine geringe Verlustwahrscheinlichkeit habe. Das sei schlicht Zufall, weil sich der Dax in den letzten Jahren eben gut entwickelt hat.

Das Fazit: Wenn Vermittler sich auf den CAE berufen, sitzen sie nach Ansicht von Benda automatisch in der Haftungsfalle, sollte der Kunde einen Schaden erleiden: seine Rechenbeispiele werden anfechtbar. Die Erwähnung des CAE erhöht massiv die Haftung, auch wenn dies kein Automatismus bedeutet. Denn wenn der Anleger Glück hat, hat er tatsächlich keinen Schaden erlitten, auch wenn der "Mythos CAE" nix dazu beitrug.

Nach Kosten werden höhere Werte ausgewiesen als vor Kosten

Auch bei den anderen gewählten Beispielen zeigte sich: Wie viel ein privater Altersvorsorge-Vertrag kostet und welche Rendite ein Kunde erwarten kann, hängt in den einzelnen Modellrechnungen sehr davon ab, welche Kosten ausgewiesen werden oder unter den Tisch fallen. Beispiel Rentenfaktor: Mit diesem wird das gebildete Kapital einer gebildeten Rentenversicherung bei Rentenbeginn in eine lebenslange Rente umgerechnet. Doch die Frage ist, worauf sich dieser Faktor überhaupt bezieht und welche Kosten hierfür berücksichtigt werden.

Zu welchen absurden Blüten das führen kann, zeigte Benda an einer Riester-Fonds-Rente für eine 35jährige Laufzeit, die sowohl von der DWS als auch Zurich angeboten wird. Obwohl es sich quasi um dasselbe Produkt handelt, weist der Versicherer in Modellrechnungen eine höhere erwartete Rendite aus als das Bankhaus. Der Grund: Die Versicherer dürfen auch Kickbacks einrechnen, die Banken hingegen nicht. Das sind Verwaltungsgebühren, die der Kunde an einen Fonds zahlt, aber die zum Teil wieder an den Versicherer zurückfließen: Rückvergütungen, die zwischen Versicherer und einer Fondsgesellschaft vereinbart sind. Manche Gesellschaften schreiben diese Kickbacks zum Teil den Kunden gut, andere wiederum nicht. So zeigt die Zurich bessere Werte, obwohl sogar noch Extrakosten für den enthaltenen Versicherungsschutz anfallen.

Der Gesetzgeber aber verpflichtet Versicherer nicht, derartige Kickbacks transparent auszuweisen. Das führt zu einer absurden Situation. Versicherer dürfen dank Kickbacks in Modellrechnungen nach Kosten höhere erwartete Werte vorrechnen als vor Kosten. "Die Kosten sind garantiert, die Kickbacks sind es nicht!", gab Benda den anwesenden Vermittlern mit auf den Weg: Wer einfach die Modellrechnungen der Versicherer übernimmt, begibt sich als Makler in die Haftungsfalle. Manch ein Versicherer zinst die Kickbacks dann auch noch auf, so dass er seinem Kunden trotz sehr teurer Fonds mehr Ablaufleistung ausweisen könne.

Reduction in Yield: "Unfug!"

Beim Blick auf die Kostenkennziffern gebe es gerade bei den laufenden Parametern eine hohe Intransparenz, gab Benda zu bedenken. Das Problem: Bei Verträgen mit sehr langer Vertragslaufzeit fallen die jährlichen Verwaltungskosten viel stärker ins Gewicht als die Abschlusskosten, was der Mathematiker anhand eines Altersvorsorge-Vertrages verdeutlichte, den ein 20jähriger Soldat mit 35 Laufzeit abgeschlossen hat. Schnell können sich bei solch einer Police die jährlichen Verwaltungskosten auf 90 Prozent der Gesamtkosten summieren, während für den Vertragsabschluss "nur" zehn Prozent der Kosten anfallen. Dennoch haben die Vorsorgeanbieter gerade bei den laufenden Kosten viele Optionen zu verbergen, was die Kundin oder der Kunde tatsächlich zahlen muss.

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Auch das Ausweisen der Gesamtkostenquote durch "Reduction in Yield" bezeichnete Benda als "groben Unfug". Stark vereinfacht soll diese Quote dem Sparer deutlich machen, wie versicherungs- und fondsbezogene Kosten die Rendite eines Vertrages maximal schmälern. Aber weder Vermittler noch Kunde könnten dieser Quote entnehmen, was zum Beispiel ein fondsgebundener Leben-Vertrag tatsächlich für Kosten verschlingt. Versicherer und andere Vorsorgeanbieter hätten bei den Modellrechnungen einfach einen zu großen Gestaltungsspielraum. Das zeigte er an einem Vorsorgeanbieter, der als "Reduction in Yield" eine Renditeminderung von 0,65 Prozent bis 4,71 Prozent auswies. Auf die einfache Frage: "Was kostet mein Vertrag?", könnten solche Werte keine befriedigende Antwort liefern.

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