Es ist ein Bild, das am Ende eines Vortrages hängen bleibt, den Alexander Vollert, Chef der Axa in Deutschland, am Dienstag beim Vorlesungstag des Institutes für Versicherungswissenschaften in Leipzig hielt. Da sitzt der Manager mit einem Hörer und Sprechgerät im Callcenter und redet mit den eigenen Kundinnen und Kunden. Ein paarmal habe er das jetzt schon gemacht, berichtet Vollert, und ein einziges Mal habe ein Anrufer nicht mit ihm sprechen wollen. Das Bild steht für die neue Unternehmenskultur im Konzern, die Vollert mit etabliert hat. Flache Hierarchien, mehr Austausch. Und näher vom Kunden her denken.

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Vollert ist ein durchaus sympathischer Mann, der viel Agilität verströmt. Am Dienstag spricht er im Anzug in Leipzig, aber ohne Krawatte, wie Moderator Fred Wagner, Leiter des gastgebenden Institutes, hervorhebt. Sein Thema: eben die sich wandelnde Unternehmenskultur bei der Axa. Und die beginnt schon im eigenen Büro: oder Nicht-Büro, wie es exakt heißen müsste:

Denn die Konzernzentrale in der Domstadt hat der Chef in ein Haus mit Start-up-Atmosphäre verwandelt. Feste Schreibtische abgeschafft, Meeting-Räume eingerichtet, sogenannte Bubbles, ein Kaminzimmer und eine Bibliothek. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen sich jetzt jeden Tag ihren Arbeitsplatz neu und haben Anspruch auf zwei Tage die Woche Home Office, was nach eigenem Bekunden 70-80 Prozent der Belegschaft nutzen. Die Vorbilder für solches Arbeiten sitzen im Silicon Valley und heißen zum Beispiel Google.

“Eigentlich superspannende Zeiten!“

Die Axa Deutschland sei „Teil einer globalen Gruppe“, stellte der Manager zu Beginn der Rede sein Unternehmen vor, das Geschäft mache ungefähr zehn Prozent der französischen Konzernmutter aus. Das ist nicht wenig: Aktuell beschäftige man hierzulande 9.038 Mitarbeiter, 3.600 Vertreter und verkaufe Versicherungen auch über 13.500 Makler. Knapp acht Millionen Kunden haben Verträge bei den Kölnern abgeschlossen.

Versicherungschef Alexander Vollert im Callcenter:Versicherungschef Alexander Vollert im Callcenter:Versicherungschef im Callcenter: Alexander Vollert spricht beim Vorlesungstag in Leipzig.Versicherungsbote

Die Versicher bewegen sich in einer „Welt der Unsicherheit“ und in „risikoreichen Zeiten“, so schätzt der 49jährige das aktuelle Marktumfeld ein. Er nennt als potentielle Krisenherde Niedrigzins, die alternde Gesellschaft, Klimawandel, strengere Regulierung, technischen Fortschritt sowie neue Wettbewerber wie zum Beispiel InsurTechs.

Doch Vollert wendet die aktuelle Situation bei seinem Vortrag ins Positive: Es seien zugleich „superspannende Zeiten“ für Versicherer, in denen es darum gehe, „Veränderungen aktiv zu managen und nicht darauf zu warten, dass man verändert wird“. Denn „was ist denn unser Geschäft?“, fragte er an die Versicherer-Vorstände im Publikum gerichtet. „Unser Geschäft ist es, mit Risiken umzugehen und sie zu managen!“

“Kunden wollen Sicherheit, kein rechtliches Konstrukt!“

Freilich müsse man die Risiken auch richtig managen, damit die Sache Spaß macht. Und so präsentierte Vollert in seinem Vortrag sechs Erkenntnisse der Axa, teils schmerzhaft gewonnen, die auch den neuen Bauplan des Versicherers bestimmen.

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis: „Kunden wollen keine Versicherung, sie wollen Sicherheit“. Keineswegs sei es nämlich Absicht des Kunden, eine Art rechtliches Konstrukt zu erwerben, das zahlreiche Paragraphen und Klauseln beinhalte. Stattdessen wollen sie eine Art „Peace of Mind“, also das beruhigende Gewissen, dass der Versicherer im Ernstfall da ist und hilft. Das hätten speziell die neuen Wettbewerber erkannt, die radikal vom Kunden her denken.

""Wir bleiben als Versicherer nur relevant, wenn wir radikal vom Kunden her denken", war dann auch eine weitere Erkenntnis, die man aktuell oft liest und hört. Weitere "Erkenntnisse" waren ebenfalls nicht neu, wurden von Vollert aber mit Leben und anschaulichen Beispielen gefüllt. Zum Beispiel, dass ein Versicherer auch über den Schadenfall hinaus für den Kunden da sein müsse und positive Erlebnisse schaffen: oder „Touchpoints“, wie es im Marketing-Sprech heißt.

Wie das geht, hat Axa mit der Begleit-App „WayGuard“ gezeigt. Wer allein im Dunkeln unterwegs ist und bedroht wird, kann damit einen Verwandten oder eine Einsatzstelle zu Hilfe rufen und per GPS seinen Aufenthaltsort mitteilen. Mehr als 240.000 Nutzer würden WayGuard regelmäßig anwenden, so der Manager: 80 Prozent seien Frauen, 90 Prozent unter 30. So könne der Versicherer auch im Alltag der Nutzer präsent sein und ein Gefühl von Sicherheit schaffen. Als weiteres Beispiel aus dem Gewerbebereich nannte er die Partnerschaft mit dem App-Anbieter "Zeitgold", eine Art digitaler Buchhalter für kleine Firmen.

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Die Branche müsse weg von der Denkweise, ein Versicherer sei im "Sonderfall" für den Kunden da, forderte Vollert: also etwa nach einem Schaden durch Unfall oder Tod. Nun müsse man Versicherung vom Normalfall her denken: also, wie sie sich auch im Alltag des Kunden präsent zeigen kann und regelmäßig positive Gefühle erzeugen. Dieser neue Ansatz sei der vielleicht größte Bruch in der 150jährigen Unternehmensgeschichte der Axa gewesen, so der 49jährige.

..."nur flexible, lernende Organisationen haben Erfolg!"

Dass sich auch die Produktwelt bei der Axa ändern soll und wird, macht Alexander Vollert mit der Erkenntnis „Einfachheit gewinnt!“ deutlich. Man müsse darüber nachdenken, wie man Versicherung einfacher gestalten könne, und zwar von Grund auf: die Tarife, Prozesse, IT und Organisationsstruktur. Auch dies folge dem Grundsatz, radikal vom Kunden her zu denken.

„Ich habe noch keinen Kunden gesehen, der vor der Axa-Zentrale steht und brüllt: Ich will ein komplexeres Produkt!“, witzelte der Manager. „Und wenn Sie doch einen solchen Kunden kennen, schicken Sie ihn zu uns, da fühlt er sich wohl!“, sprach er mit Blick auf die immer noch komplizierte Tarifwelt des Versicherers. Und wie bekommt man Komplexität aus dem Unternehmen raus? Dafür brauche man eine "klare Architektur".

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Auch der von ihm ausgegebene Grundsatz "Mobile first!", also Tarife zuerst für das Smartphone zu entwickeln, verfolge nicht das Ziel, den Vermittlern Geschäft wegzunehmen: persönliche Beratung werde wichtig bleiben, so der Vorstand. Stattdessen wolle man schon beim Bau der Tarife Komplexität reduzieren.

Den eigenen Beschäftigen Sicherheit geben - und Wandel fordern

“Nur flexible, lernende Organisationen werden in diesem Umfeld erfolgreich sein“, ist eine weitere Erkenntnis. Und dafür brauche man einen neuen Typus Mitarbeiter: solche, die sich einbringen und Vorschläge machen, statt passiv auf Anweisungen zu warten. Auch deshalb hat die Axa ihre Konzernzentrale in eine Art Arbeits-Erlebnispark verwandelt. „Es sind die Menschen, die Veränderungen gestalten, keine Maschinen!“, sagt Vollert, und spricht vom „Empowerment“ der Mitarbeiter, das notwendig sei. Strategien also, die Menschen befähigen eigenverantwortlich zu handeln, auch mit einer gewissen Fehlertoleranz.

Ziel der „neuen“ Arbeitswelt: auch Schnelligkeit. Früher habe er ewig nach einem leeren Raum suchen müssen, um eine Sache im Team zu besprechen, berichtet Vollert. Nun könne man schnell zusammenkommen, um auf Entwicklungen auf dem Markt zu reagieren, auch über Abteilungsgrenzen hinweg. Dass damit auch eine Drohung verbunden sein könnte und wiederum Anpassungsdruck, wird in den Nachfragen von Moderator Wagner deutlich: die Mitarbeiter müssten den Konzernumbau ja auch mit tragen?

Massiv in Technik investieren

Man müsse mit jedem Mitarbeiter reden, ob er Teil der Veränderung sein wolle oder nicht, erklärte Vollert. Und sich eben notfalls von ihnen trennen. Man habe beim schmerzhaften Umbau des Konzerns — Stichwort „Digitalisierung“ — bewusst auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet. Denn nicht nur dem Kunden müsse man Sicherheit geben, auch den eigenen Beschäftigten. Vollert spricht von „Strategic Workforce Planning und Learning“ — es fallen auch viele aktuell sehr gehypte Begriffe in dem Vortrag.

Damit der Umbau klappt, will die Axa künftig massiv in Technologie investieren und mit "starken Partnern" arbeiten. Die eigene Start-up-Schmiede "Data Innovation Lab" bezeichnete er als "technologische Herzkammer der Axa".

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Apropos Krawatte: Vollert wurde gefragt, ob man diese tragen müsse, wenn man als neuer Mitarbeiter bei der Axa anfangen wolle: da er doch darauf verzichte. "Wenn Sie die Krawatte als modisches Accessoire sehen, gern", so seine Antwort. "Aber wenn Sie diese als Symbol starrer Hierarchien betrachten, sind Sie bei uns fehl am Platz!"

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