Die Rente ist ... prekär

Wie tragfähig sind die drei Säulen aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge, auf denen das deutsche Rentensystem ruht? Die alternde Gesellschaft gibt Anlass zur Sorge. So erklärte die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, erst neulich wieder in einem Interview: Auswirkungen des demographischen Wandels lassen schon „ab Anfang des kommenden Jahrzehnts“ die Finanzbelastung der Rentenkasse deutlich steigen und können nur durch Zugriff auf Finanzreserven abgefedert werden (der Versicherungsbote berichtete). Die Zukunft der gesetzlichen Rente liegt jedoch in den Händen einer Kommission, die erst im März 2020 Lösungen liefern muss.

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Berichte über fehlende Transparenz und hohe Kosten haben außerdem das Vertrauen in Riester-Lösungen beschädigt: Laut Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) seien geschätzt ein Fünftel aller Riester-Verträge ruhend gestellt, wie in einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zu lesen ist. Zudem habe die Gesamtzahl der Riester-Verträge in den vergangenen sechs Jahren um weniger als eine Million zugenommen, die Zahlen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück: nur etwa jeder dritte Arbeitnehmer riestert. Hier gilt es aber zu bedenken, dass sich viele Beschäftigte auch für eine andere Art der Vorsorge entscheiden, die nicht staatlich gefördert ist.

Und die Betriebsrente als tragende Säule? Das Anfang 2018 in Kraft getretene sogenannte Betriebsrentenstärkungsgesetz der damaligen Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) wurde allerorts gelobt … und wird dennoch nur sehr zögerlich angenommen, wie Experten beim Versicherungsboten berichten. Abhilfe aus dieser durch eine alternde Gesellschaft ausgelösten Vorsorge-Misere tut also Not.

Neues Konzept ruft an die Börsen

Eine potentielle Lösung wird nun mit einem neuen Konzept beworben, das ganz auf eine zusätzliche, kapitalgedeckte Altersvorsorge setzt. Zeigen doch Studien: Trotz der Kursschwankungen erzielen Anleger, bei entsprechender Risikostreuung und mit entsprechendem Durchhaltevermögen, auf lange Sicht an den Kapitalmärkten positive Realrenditen (der Versicherungsbote berichtete). Diese Tatsache soll nun in Zeiten des Niedrig-Zins ausgerechnet der gesetzlichen Rentenversicherung aus der Vorsorge- Misere helfen.

Der Vorschlag dazu kommt aus unerwarteter Richtung. Erarbeitete doch die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV) zusammen mit der SPD- nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und ebenso mit verschiedenen Verbraucher-Organisationen wie dem Bund der Versicherten (BdV) jenes nun durch eine Studie beworbene Konzept eines kapitalgedeckten Vorsorgekontos, das von der Entwicklung der Kapitalmärkte profitieren soll. Auf dem ersten Blick wirkt paradox, wenn derartige Akteure Kapitalmärkte als Mittel gegen die Altersarmut (an)preisen. Auf dem zweiten Blick aber erweist sich der Vorschlag als konsequent, da zwar von Kapitalmärkten profitiert, zugleich aber das vermeintliche Profitstreben vermittelnder Instanzen ausgeschaltet werden soll.

Geld kann sogar vererbt werden

Die Idee ist simpel: Unter dem Dach der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wird ein Träger der Sozialversicherung eingerichtet. Bei diesem Träger kann jeder freiwillig einen Vertrag abschließen und damit ein sogenanntes „Vorsorgekonto“ eröffnen. Einzige Bedingung: Irgendwann in der Erwerbsphase wurde eine Anwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Da möglichst viele Menschen angesprochen werden sollen, besteht die Möglichkeit unabhängig vom aktuellen Versicherungs- und Beschäftigungsstatus. Eine irgendwann erworbene Anwartschaft für die gesetzliche Rentenversicherung genügt.

Eröffnet eine Person ein Vorsorgekonto, zahlt sie Beiträge ein. Die Höhe der Beiträge soll sich nach dem individuellen Einkommen richten, wie bei Riester-Verträgen dienen vier Prozent des Bruttolohns als Orientierungswert. In der Studie wird aber darauf hingewiesen: Monatsbeiträge können flexibel festgelegt werden, wodurch auch ein Einzahlen für jene möglich sein soll, die sich nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis befinden oder für jene, die einen finanziellen Engpass zu beklagen haben.

Die eingezahlten Gelder fließen jedoch nicht in die Umlage der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern werden kapitalgedeckt angelegt. Das Geld auf den individuellen Konten bleibt dabei ausschließliches Eigentum der Vorsorgesparerinnen und Vorsorgesparer, kann sogar vererbt werden. Eine Einschränkung ist jedoch zu nennen: Ein Teil der Erträge und Risikogewinne nämlich fließt zunächst in einen Topf, der als kollektiver Reservepuffer gilt und in Zeiten schlechter Börsenwerte Ertragsschwankungen ausgleichen soll. Dieser kollektive "Risiko-Teil" wird nicht unmittelbar gutgeschrieben.

Breites ETF-Portfolio als feststehende Anlagestrategie

Das Anlegen der Gelder soll nach Ausschreibung durch externe Vermögensverwalter erfolgen, jedoch unter dem Dach der DRV. Gehandelt wird als Non-Profit-Organisation ohne privatwirtschaftliche Interessen der verwaltenden Akteure, so dass weder Abschlusskosten noch Provisionen anfallen dürfen. Die Anlagestrategie für die Vorsorgegelder ist hierbei fest vorgegeben: ein breit gestreutes, passiv gemanagtes Portfolio mit kostengünstigen ETFs, die einen Börsenindex nachbilden. So wird aus Sicht der Studienmacher das Anlage-Risiko so gering wie möglich gehalten.

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Über den „Stand“ des Vorsorgekontos, die Rendite etc. informiert eine jährliche Standmitteilung im Zuge der Renteninformation. Aufgrund von Vergleichsrechnungen zum Beispiel mit Kosten des norwegischen Staatsfonds gehen die Studienmacher von geringen Kapitalanlagekosten in Höhe von etwa 0,25 bis 0,35 Prozent des Kapitals aus. Eine Kapitalerhaltgarantie soll zudem jedem Vorsorgesparer zumindest die eingezahlten Gelder sichern, wie es aus anderen Vorsorge-Produkten mit Garantie bekannt ist.

Gelder sind vor dem Zugriff des Staates zu schützen

Das kapitalgedeckte Vorsorgekonto soll ausschließlich dazu dienen, den Sparerinnen und Sparern ein zu erwartendes Absinken des Rentenniveaus abzumildern oder auszugleichen. Denn bis 2025 ist zwar das Rentenniveau und damit das Verhältnis einer durchschnittlich verfügbaren Rente zum Durchschnittslohn bei 48 Prozent gesichert (der Versicherungsbote berichtete). Jedoch erreichen dieses Niveau zum einen jene Menschen nicht, die „gebrochene“ Erwerbsbiographien mit Phasen der Arbeitslosigkeit oder mit geringem Verdienst aufweisen. Zum anderen steht in den Sternen, wie es nach 2025 mit dem Rentenniveau weitergeht. Das „Vorsorgekonto“ gilt als freiwilliges Mittel des Gegensteuerns für die Vorsorgesparer.

Man führe den Staat nicht in Versuchung

Wichtig ist den Entwicklern dieses Konzepts dabei, die Vorsorge-Gelder auch vor dem Zugriff des Staates zu schützen. So darf aus Sicht der Studie das angesparte Geld der Konten nicht zu einer Minderung der Sozialleistungen oder der späteren Rentenansprüche der Vorsorgesparer*innen führen, weswegen das neue Angebot besonders streng vom System der umlagefinanzierten Rente zu trennen ist. Aus diesem Grund ist auch eine steuer- und sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung über die Konten ausgeschlossen.

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Auch soll eine Treuhand- oder Verpfändungslösung zugunsten der Kontoinhaberinnen und Kontoinhaber den Staat von den Geldern fern halten, sobald eine Not in den Rentenkassen weitere Begehrlichkeiten wecken könnte. Die neu zu schaffende Institution soll als eigenständige „Rechtspersönlichkeit“ auch gegenüber der GRV völlig unabhängig sein.

Wozu darf das Vorsorgegeld verwendet werden?

Drei Möglichkeiten der Verwendung aber sollen möglich sein bei einem Leistungsanspruch, der nach Zahlung von mindestens 60 Monatsbeiträgen besteht:

  • Für den „klassischen Fall“ sichern die angelegten Gelder des Kontos eine zusätzliche Altersrente, die regelmäßig ausgezahlt wird. Das Geld, das im Konto verbleibt, wird weiterhin auf dem Kapitalmarkt angelegt.
  • Das Kapital des Kontos soll aber auch verwendet werden dürfen, um Nach- oder Ausgleichszahlungen an die gesetzliche Rentenkasse zu leisten und so Abschläge von der Regelrente auszugleichen. Ausgleichszahlungen sind nach § 187a SGB VI ab dem 50. Lebensjahr möglich (der Versicherungsbote berichtete). Die Möglichkeit wird jedoch kaum genutzt, darauf weisen die Studienmacher hin – wohl aufgrund „nicht unerheblicher“ Ausgleichsbeträge, die sich viele nicht leisten können. Das Vorsorgekonto hingegen könnte ein Mittel werden, einen zeitigeren Berufsausstieg ohne Abschläge zu planen.
  • Ebenso soll möglich sein, mit den angesparten Geldern bei Erwerbsminderung Abschläge auf die Regelrente auszugleichen. Für derartige Ausgleichszahlungen gilt: Anders als bei der Entgeltumwandlung besteht keine Gefahr einer Vermischung mit dem umlagefinanzierten Rentensystem (und damit keine Gefahr der Verminderung der Rentenansprüche durch Anrechnen der gesparten Gelder).

Konkurrenz für Versicherer?

Verspricht das Konzept, was die Studienmacher verheißen? Und ist es auch umsetzbar? Zumindest bei der zweiten Frage hegt der Spiegel in einem jüngsten Bericht über das "Vorsorgekonto" Zweifel. Der Grund: Widerstand der Versicherungswirtschaft. Zeigte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in einer Stellungnahme doch schon 2015 wenig Gegenliebe, als das Konzept eines kapitalgedeckten Vorsorgekontos unter dem Dach der GRV erstmals diskutiert wurde (der Versicherungsbote berichtete).

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Wenngleich GDV-Geschäftsführer Peter Schwank für die Geschäftsführung des GDV damals noch viele Unklarheiten bei einem solchen Vorschlag ausmachte, so war für ihn dennoch offenkundig, der Staat dürfe "nicht in den Wettbewerb eingreifen“. Droht der Staat mit einem solchen Vorsorge-Instrument den Versicherern doch ein Kerngeschäft streitig zu machen: Die kapitalgedeckte Altersvorsorge.

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