Versicherungsbote: Sie gelten als Befürworter der Riester-Rente. Wir erhalten von Versicherungsvermittlern unterschiedliche Rückmeldungen zu Riester. Es gibt eine nicht kleine Zahl, die Riester kritisch sieht. Die sagen: Auch wir haben Probleme, die Produkte dem Kunden zu vermitteln, weil sie mitunter intransparent und für Laien schwer zu verstehen sind. Müsste man hier nicht auch die Versicherer strenger in die Pflicht nehmen?

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Bernd Raffelhüschen: Man muss sich klarmachen, dass es die eine Riester-Rente gar nicht gibt. Sondern dass sie in der Refinanzierungsstruktur alle möglichen Formen aufweist. Ich kann meine Riester-Rente refinanzieren durch Rentenversicherungs-Lösungen, ich kann sie refinanzieren über Banksparpläne oder Staatspapiere. Und ich kann über Aktien und Fonds verschiedene Mischungen herstellen.

Es gibt verschiedene Lösungen der Refinanzierungsstruktur, und da muss sich ein Vermittler genau anschauen, welchen Kunden er vor sich hat, wenn er ihm zu solch einer Vorsorge raten will. Ich sehe hier eher Beratungs- und Verständnisbedarf. Ich muss, wenn ich als Vermittler zu Riester beraten will, auch die Dinge verstehen. Verstehen zum Beispiel, dass es eigentlich gar keine Zulage gibt, sondern der Sonderausgabenabzug das eigentliche Argument ist. Man muss auch verstehen, dass die Riester-Rente eigentlich eher nicht für Arme gemacht ist, weil die Entgeltumwandlung für diese Personen oft günstiger ist. Aber wenn man das alles versteht, ist das, was wir haben, nichts Schlechtes. Man muss nur sehen: Was ist für wen gut und was ist eher nicht angebracht?

Versicherungsbote: Wie aber kann denn der Altersvorsorge-Sparer das überschauen? Sie haben mal gesagt, es gibt 1.500 Produktvarianten von Riester. Immer mehr Verbraucher schließen online ab. Ist die Altersvorsorge nicht derart wichtig, dass man sich als Kunde darauf verlassen können muss, einen guten Vertrag zu erhalten? Es gibt auch schwarze Schafe auf dem Markt.

Raffelhüschen: So, wie es gute und schlechte Bäcker gibt, gibt es gute und schlechte Versicherungen. Aber das regelt der Wettbewerb. Und da muss man natürlich beiden Seiten sagen, sowohl Verbrauchern wie Vermittlern: Leute, Ihr müsst Euch informieren! Das betrifft in der Regel nicht 1.500 Produkte. Die Produktkategorien, die für einen Sparer in Frage kommen, umfassen vielleicht -je nachdem, welches Risiko er eingehen will- fünf oder sechs verschiedene Durchführungswege und fünf oder sechs verschiedene Refinanzierungsstrukturen.

Hier ist auch der Versicherungsmakler in der Pflicht. Er muss gut informiert sein, wen er vor sich hat und berät, sollte also erst einmal Fragen stellen statt Antworten parat zu haben. Antworten kann ich nämlich nur dann geben, wenn ich zuvor vernünftige Fragen gestellt habe. Und die andere Seite ist: Wenn der Kunde für seine langfristigen Kapitalanlagen nicht mal so viel Zeit investieren möchte wie für die Sportschau am Samstag, dann wird es natürlich schwierig, einen guten Anbieter zu finden. Auch der Kunde ist in der Pflicht, Angebote zu vergleichen und sich zu fragen, ob das Finanzprodukt zu seiner Lebenssituation passt.

Versicherungsbote: Sie warnen oft vor den Folgen der Demografie für die gesetzliche Rente. Wie bewerten Sie die demografischen Risiken für die privaten Versicherer, also speziell für Lebensversicherer und Riester-Anbieter? Müssen sie nicht auch existentielle Risiken befürchten, wenn viele Renten- und Leistungsbezieher einer sinkenden Zahl an Beitragszahlern gegenüberstehen?

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Raffelhüschen: Die Demografie ist für eine vernünftig kalkulierte Kapitaldeckung eigentlich kein Problem. Aber sie schlägt natürlich auch durch. Wenn ich beispielsweise eine reine Refinanzierung über Staatspapiere habe, dann ist der Steuerzahler selbst derjenige, der diese Papiere bedienen muss. Wenn dieser Steuerzahler nicht geboren worden ist, dann habe ich ein Problem, denn dann ist der Steuerzahler der Zukunft nicht da. Wenn ich hingegen durch Produktivkapital oder Immobilien eine Refinanzierungsstruktur habe, dann ist das deutlich weniger demografisch anfällig. Das ist genau das, was ich immer betone: Wir müssen sowohl die Umlage haben, die nunmal demografieanfällig ist, als auch die Kapitaldeckung, die weniger demografieanfällig ist, aber ein höheres Verlustrisiko birgt. Das gilt übrigens auch für Staatsanleihen, siehe Griechenland.

"Die Versicherer hätten schon zeitiger tätig werden müssen"

Versicherungsbote: Viele Lebensversicherer reagieren auf den Niedrigzins am Kapitalmarkt, indem sie Produkte der sogenannten neuen Klassik einführen. Diese bieten nur noch minimale Garantien, etwa den Erhalt der eingezahlten Beiträge, und setzen stärker auf den Kapitalmarkt. Der deutsche Sparer ist, wenn man auf Umfragen schaut, sehr sicherheitsorientiert. Müssen sich die Sparer von Garantien in der Lebensversicherung verabschieden?

Raffelhüschen: Eine wirkliche Garantie kann es ohnehin nicht geben. Wir haben das ja auch schon mehrfach durchexerziert. Ich weiß spontan nicht, wie viel die Lebensversicherer ausgezahlt haben, nachdem die Reichsanleihen nach dem 1. und 2. Weltkrieg nicht zurückgezahlt worden sind. Ich denke mal, das war eine Nullauszahlung. Zu deutsch: Es gibt keine hundertprozentige Garantie! Weder auf dem Kapitalmarkt oder für Anleihen noch auf dem Markt für Produktivkapital, also Aktien oder GmbH-Anteile, noch auf dem Immobilienmarkt. Eine hundertprozentige Garantie ist im Leben leider nicht verfügbar.

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Die einzige Garantie, die man hat, ist, wenn man ratierlich und diversifiziert spart. Also indem man nicht alle Eier in einen Korb legt, die Körbe langsam befüllt und langsam auch entfüllt. So lässt sich das Risiko minimieren, aber es wird immer ein Restrisiko bleiben.

Jetzt im Niedrigzins entpuppen sich eher die alten Garantien als trügerisch und teuer. Die Versicherungen hätten seit 20 Jahren schon diskutieren müssen, warum sie die Fesseln des Versicherungsaufsichtsgesetzes und der Bilanzrichtlinien ertragen. Diese führen unausweichlich zu viel zu hohen Staatsschuldanleihen oder damit hoch korrelierten anderen Anleiheanteilen in den Refinanzierungsstrukturen. Das führt zu einem immensen Problem, wenn zur Rettung des Euros die Zentralbank eine Nullzinspolitik betreibt.

Versicherungsbote: Abschließend eine Prognose: Wie kann ein stabiles Rentensystem in 30 Jahren aussehen?

Raffelhüschen: Im Grunde genommen würde ich unser System nehmen und das Rentenzugangsalter ab 2030 noch weiter erhöhen. Dann haben wir eigentlich alles in trockenen Tüchern.

Versicherungsbote:...obwohl die private und betriebliche Altersvorsorge die Erwartungen nicht voll erfüllt und viele nicht vorsorgen?

Raffelhüschen: Dem würde ich widersprechen. Wir haben ja bereits eine große Zahl an privater und betrieblicher Altersvorsorge, allein bei Riester 16,5 Millionen Verträge. Man darf hierbei nicht vergessen: Viele Bürger sorgen auch durch andere Formen vor, etwa Aktien oder Immobilien. Wenn sich das weiter ausfährt, haben wir einen gesunden Mix. Wir brauchen die gesetzliche Rente im Umlageverfahren als Basisversorgung, das würden wir auch bekommen, wenn man sie in Ruhe ließe. Allerdings wollen große Teile in der SPD die Weichen wieder umstellen und die gesetzliche Rente wieder ausbauen, was ich für Blödsinn halte. Wenn wir es so lassen, wie es derzeit ist, und noch ein bisschen reparieren, dann haben wir etwas Gesundes vor uns.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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