Versicherungsbote: Macht sich DIE LINKE für den Erhalt des dualen Systems in der Krankenversicherung mit den beiden Säulen „gesetzlich“ und „privat“ stark? Wie positionieren Sie sich zu der Idee einer Bürgerversicherung, wonach private Krankenversicherer nur noch Zusatzversicherungen anbieten dürfen?

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Matthias W. Birkwald, geboren 1961 in Münster/Westfalen, ist Diplom-Sozialwissenschaftler. Seit 2009 gehört er für Die Linke dem Bundestag an und ist rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.Matthias W. Birkwald: Nein, DIE LINKE sieht in der Koexistenz der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Hauptursache für die Zwei-Klassen-Medizin. Das sorgt für Ungerechtigkeiten und Ineffizienzen in der Versorgung und für Probleme in der Angemessenheit der Beiträge. Nach unserer Auffassung hat jeder Mensch das gleiche Recht auf eine gute gesundheitliche Versorgung auf dem Stand der Wissenschaft. Deshalb sind zwei Versicherungssysteme kontraproduktiv. Weil privat Versicherte schneller Termine erhalten, müssen gesetzlich Versicherte länger warten. Umgekehrt erhalten privat Versicherte auch Leistungen, die zweifelhaft sind. Sie sind tendenziell überversorgt, was nicht nur eine Ressourcenverschwendung ist, sondern auch negative gesundheitliche Folgen haben kann.

Dazu kommt, dass die private Krankenversicherung (PKV) aufgrund der weitgehenden Nichtsteuerbarkeit der Versorgung, den hohen Verwaltungs- und Provisionskosten und nicht zuletzt aufgrund der Niedrigzinsen wenig zukunftsfähig ist. Nach unserer Ansicht wäre es daher besser, die private Krankenversicherung geordnet zu einem Stichtag abzuschaffen und die dort Versicherten in die ‚Bürgerversicherung‘ einzubeziehen. Freiwillige Zusatzversicherungen können selbstverständlich weiter angeboten werden.

Schließlich ist das duale Krankenversicherungssystem auch deshalb zu hinterfragen, weil es für Versicherte an der Grenze von GKV und PKV teils absurde Härten verursacht. Das gilt beispielsweise für geringverdienende Selbstständige, für verwitwete oder geschiedene Beamtengatt*innen, für Rentnerinnen und Rentner, die Vorversicherungszeiten in der GKV nicht erfüllen, für Menschen mit Vorerkrankungen oder für freiwillig gesetzlich Versicherte mit geringem Einkommen.

Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu koppeln. Wie positioniert sich DIE LINKE zu einer möglichen Anhebung des Renteneintrittsalters – und wo ist aus Ihrer Sicht die Schmerzgrenze?

Die Rente erst ab 67 muss abgeschafft werden – ohne Wenn und Aber. Jede und jeder muss wieder spätestens ab 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Nach 40 Beitragsjahren wollen wir einen abschlagsfreien Einstieg in die Rente schaffen. Das soll bereits ab der Vollendung des 60. Lebensjahres möglich sein. Dies ist notwendig, weil es viele Berufe gibt, in der die Beschäftigten bei ihrem durchschnittlichen Berufsaustritt deutlich jünger als 63 Jahre sind. Bauarbeiter können zum Beispiel mit 57,6 Jahren nicht mehr arbeiten und das Berufsaustrittsalter von Krankenschwestern liegt bei knapp 61 Jahren. Forderungen, die Regelaltersgrenze immer weiter anzuheben sind vor diesem Hintergrund extrem unsozial.

Im Dezember 2015 waren 1.038 Millionen Bundesbürger auf Leistungen aus der Grundsicherung im Alter (SGB XII) angewiesen: eine Verdoppelung gegenüber 2003. Was kann und muss aus Sicht Ihrer Partei getan werden, um der Altersarmut entgegenzuwirken?

Nur die Rückkehr zu einem Rentenniveau von 53 Prozent und ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro brutto garantieren, dass man in Zukunft nach 45 Jahren Arbeit nicht auf das Sozialamt gehen muss. Die von der Bundesregierung geplante aber nicht umgesetzte sogenannte 'Solidarische Lebensleistungsrente' verdient ihren Namen nicht. Sie ist ein Hohn und brächte im Westen gerade einmal 813 Euro netto und im Osten nur 765 Euro netto. DIE LINKE fordert deshalb eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente. Niemand soll im Alter von weniger als 1.050 Euro netto leben müssen.

Wir wollen außerdem Lücken in der Erwerbsbiographie schließen. Dazu sollen erstens die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten abgeschafft werden und zweitens aus Steuermitteln wieder Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose (ALG II) gezahlt werden und zwar auf der Basis eines halben Durchschnittsverdienstes. Drittens muss die bis einschließlich 1991 gültige „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ entfristet werden, die Beschäftigte mit niedrigen Arbeitseinkommen in der Rente besserstellt und viertens fordern wir endlich einen dritten Entgeltpunkt auch für die Erziehung von Kindern, die vor 1992 geboren wurden!

Wie positioniert sich DIE LINKE zur staatlich geförderten Altersvorsorge, speziell zur Riester- und Basis-Rente? Zuletzt gab es auch aus den Reihen der Politik viele kritische Stimmen, Horst Seehofer bezeichnete das Modell gar als „gescheitert“.

Das Totalversagen der Riesterrente wurde auch bei der jüngsten Anhörung des Bundestages am 23. Januar 2017 vom „Bund der Versicherten“ und dem „Verbraucherzentrale Bundesverband“ eindrucksvoll bestätigt. Die hohen Verwaltungskosten der Riester-Rente und die niedrigen Renditen machen demnach die private Vorsorge zu einem Minusgeschäft. Das muss endlich auch von der Bundesregierung in ihren völlig überzogenen Prognosen berücksichtigt werden, da ansonsten die Menschen getäuscht werden. An einer Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent führt deshalb kein Weg vorbei.

Zudem hat DIE LINKE im Bundestag ein klares Konzept vorgelegt, wie Riesterversicherte freiwillig ihre bisher erworbenen individuellen Ansprüche kostenarm auf das persönliche Rentenkonto bei der gesetzlichen Rentenversicherung übertragen können. Die staatliche Riesterförderung von über drei Milliarden Euro jährlich wollen wir dann einstellen und um diese Summen die Bundeszuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung erhöhen. Außerdem soll es Versicherten und ihren Arbeitgeber*innen deutlich erleichtert werden, bis zu einer bestimmten Höhe freiwillig zusätzliche Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung auf ihr persönliches Rentenkonto einzuzahlen. Dies wäre eine sinnvolle Alternative zu Riester und zur heutigen betrieblichen Altersvorsorge.

Wie positioniert sich Ihre Partei zu einer Altersvorsorge-Pflicht für Selbstständige – und wie könnte diese gestaltet sein? Mindestens 700.000 Selbständige sorgen nicht für ihr Alter vor, so eine DIW-Studie. Dennoch haben diese Menschen im Alter Anrecht auf Grundsicherung und werden mit Steuergeldern aufgefangen.

Die Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung ist ein längst überfälliger Schritt. Damit erhielten Selbstständige den Zugang zum vollständigen Leistungspaket der gesetzlichen Rentenversicherung: von der Absicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung bis hin zur Sicherung der Hinterbliebenen. Innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung greifen zudem die Instrumente des sozialen Ausgleichs, die auch Selbstständigen mit geringen Einkünften zu Gute kommen. Darüber hinaus müssen wir aber darauf achten, dass wir gerade Soloselbständige nicht finanziell überfordern. Die Beiträge müssen sich daher an dem tatsächlichen Einkommen orientieren – und nicht an pauschalen oder fiktiven Mindesteinkommen wie in der Gesetzlichen Krankenversicherung. DIE LINKE prüft derzeit auch, ob und in welchem Umfang ein degressiv gestalteter Steuerzuschuss zu den Beiträgen sinnvoll ist.

Die Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung muss integraler Bestandteil einer grundlegenden Reform der Alterssicherung werden. Wir wollen, dass alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und damit auch wirtschaftlich leistungsfähige Berufsgruppen wie Ärzt*innen, Apotheker*innen, Politiker*innen und Beamt*innen. Auch sie müssen in das Solidarsystem der gesetzlichen Rente einbezogen werden und endlich Beiträge in die Rentenkasse einzahlen! Die Beitragsbemessungsgrenze wollen wir in einem ersten Schritt auf die bereits existierende Grenze der knappschaftlichen Rentenversicherung anheben, in weiteren Schritten drastisch anheben, um sie letztendlich vollständig aufzuheben. Gleichzeitig müssen Rentenansprüche über dem Doppelten des Durchschnittes der Standardrente (zur Zeit: Renten über 2740 Euro) abgeflacht werden – und damit Solidarität im System gestärkt werden. Es soll somit eine Beitragsäquivalenzgrenze eingeführt werden. Mehr Versicherte bedeuteten in einem solidarischen und umlagefinanzierten System auch niedrigere Beiträge für alle.

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden, etwa durch Anhebung des Rentenniveaus? Wenn ja: Wie kann verhindert werden, dass angesichts der Alterung der Gesellschaft die Beiträge zur Rentenkasse zu stark steigen?

Das „Sicherungsniveau vor Steuern“ der gesetzlichen Rente muss wieder auf 53 Prozent erhöht werden, damit der Lebensstandard im Alter gesichert werden kann und die Renten für Alle spürbar steigen. Dieses Rentenniveau ist auch im Jahr 2030 und danach finanzierbar, wenn wir Arbeitgeber wieder paritätisch an der Finanzierung der Rente beteiligen. Die Bundesregierung erwartet heute von den Beschäftigten, dass sie zusätzlich vier Prozent ihres Lohnes in eine Riesterrente und weitere 3,2 Prozent in eine betriebliche Altersvorsorge (oder betriebliche Altersversorgung) stecken: also 7 Prozent Beitragssatz alleine finanzieren!

Ein Rentenniveau von 53 Prozent und damit die Abkehr vom Drei-Säulen-Modell würde nach den Angaben der Bundesregierung (Alterssicherungskonzept Seite 56) im Jahr 2030 zu einem Beitragssatz von 25,7 Prozent führen. Dies würde Beschäftigte und ihre Arbeitgeber*innen mit Durchschnittsverdienst lediglich jeweils 88 Euro (bezogen auf geschätzte 4.500 Euro brutto im Monat) mehr kosten. Der Lebensstandard würde ausschließlich durch die GRV gesichert. Dafür könnten Arbeitnehmer*innen auf vier Prozent Beitrag für eine Riesterrente verzichten - bei Durchschnittsverdienenden also auf 166 Euro. Durchschnittsverdienende hätten unter dem Strich auch im Jahr 2030 sogar 78 Euro mehr in der Tasche! Die bisher aus Steuermitteln finanzierten Riesterzulagen könnten direkt in die Rentenversicherung umgelenkt werden.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig. Die Antworten von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/die Grünen, FDP und Piratenpartei werden im Laufe der nächsten Tage auf der Webseite des Versicherungsboten veröffentlicht. Die AfD wurde auch angefragt, antwortete jedoch nicht auf unsere Fragen.

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