Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist für alle wichtig, die zur Erhaltung des erreichten Lebensstandards auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen sind. Darüber sind sich Vertreter und sogar Kritiker der Versicherungsbranche einig. Und trotzdem gibt es ein Problem! Denn nur circa 30 Prozent der Erwerbstätigen haben sich privat mehr oder weniger gut gegen den Verlust der Arbeitskraft versichert.

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Die Gründe für den Nicht-Abschluss sind vielschichtig.

Gerd Kemnitz. Diplomingenieur und Versicherungsmakler mit Spezialisierung auf BU-Versicherungen. Warum aber sichern sich die Bundesbürger nicht ab? Die einen unterschätzen ihr BU-Risiko und geben ihr Geld lieber für den kurzfristigen Konsum aus. Andere lassen sich vom schlechten Ruf in der öffentlichen Wahrnehmung leiten und verzichten daher auf den Abschluss. Ganz schuldlos an diesem schlechten Ruf ist die Versicherungsbranche jedoch nicht. So wurden viele Jahre BU-Versicherungen mit – aus heutiger Sicht – mangelhaften Versicherungsbedingungen (z. B. ohne Verzicht auf abstrakte Verweisung) vermittelt und auch die wahrheitsgemäße Beantwortung der Antragsfragen wurde offensichtlich von einigen Vermittlern verharmlost. Daraus resultierten Leistungsablehnungen und gerichtliche Auseinandersetzungen, die dem Ruf heute schaden.

Doch häufig ist der BU-Schutz auch nicht bezahlbar. Und Grund hierfür sind nicht etwa die verbesserten Versicherungsbedingungen, sondern die zunehmende Berufsgruppendifferenzierung in den letzten Jahren. Denn selbst BU-Tarife ohne Verzicht auf abstrakte Verweisung und verkürztem Prognosezeitraum sind meist nur geringfügig preiswerter als eine 5-Sterne-Versicherung.

Wenn heute beispielsweise ein gesunder 25-jähriger Bäcker für einen guten Tarif mit 1.500 Euro versicherter BU-Rente bis zum 65. Lebensjahr je nach Anbieter monatlich zwischen 133 und 258 Euro bezahlen soll (Quelle: www.berufsunfaehigkeitsversicherung-sofort-vergleich.de), dann ist das häufig nicht finanzierbar.

Zum Vergleich: Ein 25-jähriger Notar würde den oben genannten Versicherungsschutz schon für einen monatlichen Zahlbeitrag ab 38 Euro bekommen. Die Versicherer sehen darin eine risikogerechte Prämienkalkulation – Kritiker nennen es Rosinenpickerei.

Doch inzwischen sehen sogar einige Führungskräfte der Versicherungsgesellschaften diese Entwicklung kritisch. So sagte beispielsweise ein Vorstandsmitglied einer bekannten Versicherung, Jürgen Hansemann (vorgestellt als Vorstand, Nürnberger Versicherung), bereits 2014 in einem Interview bei Cash-Online:

„Ich glaube, mit der Entwicklung bei den Berufsgruppen sind wir alle unglücklich. Vor dem Jahr 2000 waren die Prämien für alle Berufsgruppen identisch, mal abgesehen von individuellen Risikozuschlägen. Berufe mit starken körperlichen Tätigkeiten waren dadurch bezahlbar.“

Und so muss es auch wieder werden. Denn es macht für unsere Gesellschaft keinen Sinn, wenn sich nur Berufstätige mit niedrigerem BU-Risiko privat absichern können – alle anderen aber mit „Abschreckprämien“ ferngehalten und im Falle einer Berufsunfähigkeit in die Abhängigkeit staatlicher Sozialleistungen gedrängt werden.

Da aber keine Versicherungsgesellschaft die Fehlentwicklung der vergangenen Jahre im Alleingang korrigieren kann, benötigen die BU-Versicherer Hilfe. Doch der GDV ignoriert das Problem und veröffentlicht stattdessen praxisferne Statistiken, nach denen bei Anträgen auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine Annahmequote von über 94 Prozent suggeriert wird.

Keine Lösung in Sicht!

Weil der Umsatz nun stagniert, beeilen sich die Versicherer Erwerbsunfähigkeitsversicherungen und sogenannte Alternativen mit löchrigem Versicherungsschutz auf den Markt zu bringen.

Aber was haben Grundfähigkeits-, Dread-Disease- oder auch Multi-Risk-Versicherungen eigentlich mit der Arbeitskraftabsicherung zu tun? Sie erbringen oder verweigern die Leistung unabhängig davon, ob der Versicherte noch eine (Rest-)Arbeitskraft besitzt.

Die Dread-Disease-Versicherung beispielsweise leistet bekanntlich nur bei exakt definierten, schweren Erkrankungen. Doch ein Betroffener kann sich nicht aussuchen, infolge welcher Krankheit er berufsunfähig wird. Die Leistung erfolgt immer als Einmalzahlung. Selbst wenn der Betroffene durch die „richtige“ Krankheit berufsunfähig wird – welche utopische Versicherungssumme müsste beispielsweise ein 30-Jähriger wählen, um auch im Falle einer dauerhaften Berufsunfähigkeit ausreichend abgesichert zu sein?

Diese sogenannten Alternativen sind preiswerter weil die Wahrscheinlichkeit von Versicherungsfällen und/oder die Höhe der Versicherungsleistungen niedriger ist. Es ist eine Täuschung der Verbraucher, bei solchen Versicherungsprodukten von Alternativen zur BU-Versicherung zu sprechen. Ich fürchte, dass sich der Ruf der Branche weiter verschlechtert, wenn die Verbraucher in einigen Jahren die „falsche“ Erkrankung erleiden und dann trotz Berufsunfähigkeit und jahrelanger Beitragszahlung keine Leistungen erhalten.

Selbst die Erwerbsunfähigkeitsversicherung in ihrer jetzigen Form ist nur eine Notlösung

Lediglich Erwerbsunfähigkeitsversicherungen leisten unabhängig davon, durch welche Krankheit oder Körperverletzung der Arbeitskraftverlust eingetreten ist. Aber im Gegensatz zur Berufsunfähigkeitsversicherung leistet sie eben nur, wenn der Versicherte gar keine Berufstätigkeit mehr regelmäßig und dauerhaft – bei den meisten Tarifen mindestens 3 Stunden täglich – ausüben kann.

Trotzdem könnte dies eine Alternative für alle sein, die sich im Falle einer Berufsunfähigkeit trotz des angeschlagenen Gesundheitszustands zutrauen, eine ausübbare Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu finden – auch wenn das Einkommen dann vermutlich niedriger ausfallen mag.

Aber damit kommen wir zum nächsten Problem. Wovon soll ein Betroffener die Beiträge für die auch nicht ganz preiswerte Erwerbsunfähigkeitsversicherung weiterbezahlen, wenn er zunächst „nur“ berufsunfähig wird? Wer sich bei guter Gesundheit in seinem gelernten Beruf keine BU-Versicherung leisten konnte, wird sich mit dem vermutlich niedrigeren Einkommen aus einem neu gefundenen Ersatzjob auch die EU-Versicherung nicht mehr leisten können. Muss in dieser finanziellen Notsituation der Versicherungsschutz aber gekündigt werden, geht der Betroffene logischerweise leer aus, wenn die oder eine andere Krankheit ein paar Jahre später doch noch zur Erwerbsunfähigkeit führt.

Fehlt den Versicherern der Wille zu verbraucherfreundlichen Lösungen?

Natürlich könnte die Versicherungsbranche hier schnell nachbessern und EU-Versicherungen grundsätzlich oder optional mit einer BUZ-Beitragsbefreiung ausstatten. Bei Lebens- oder Rentenversicherungen ist das durchaus üblich. Doch die Versicherer sehen hierzu keinen Handlungsbedarf. Das wäre aber für mich nur nachvollziehbar, wenn die Versicherungsbranche derzeit an einer für alle Berufsgruppen bezahlbaren Berufsunfähigkeitsversicherung arbeiten und die EU-Versicherung damit bedeutungslos werden würde!

Bei dieser BU-Versicherung sollten dann aber auch alle Versicherer eine stark vereinfachte Gesundheitsprüfung für Personen, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorsehen. Denn jeder Jugendliche muss nach Erlangung der Volljährigkeit innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (z. B. innerhalb von zwölf Monaten) die Möglichkeit bekommen, eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit stark vereinfachter Gesundheitsprüfung abzuschließen.

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Erstens kann er vor Vollendung des 18. Lebensjahres ohnehin keine Versicherung ohne Unterstützung der Erziehungsberechtigten abschließen. Und zweitens hat ein 18-jähriger auch bei der durch die Rechtsprechung geforderten „zumutbaren Anstrengung seines Gedächtnisses“ kaum eine Chance, die Gesundheitsfragen mit den üblichen Fristen vollständig zu beantworten. Warum sollten vereinfachte Gesundheitsfragen nur im Rahmen von Sonderaktionen oder im Rahmen einer betrieblichen BU-Versicherung möglich sein? Außerdem wäre dies für jeden Jugendlichen ein besonderer Anreiz, sich seinen BU-Schutz so zeitig wie möglich zu sichern. Und wenn es keine Berufsgruppen mehr gibt, muss auch keiner abwarten, bis er eine günstiger eingestufte Tätigkeit ausübt!

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