Wenn Aufmerksamkeit um jeden Preis auch jeden Preis wert ist, Poolchef Oliver Pradetto bezahlt ihn offenbar. Die Währung, die er einsetzt, heißt Niveau. In einem Interview, für das es außer zur Selbstdarstellung eigentlich keinen Anlass gab, entäußerte sich der Mann zu den Diskussionen um das Dildo-dominierte Viral-Video der Ideal-Versicherung. Am Ende stehen die Aussagen zu lesen, mit denen Pradetto über die Maklerschaft richtet: „Fakten zeigen: Makler fragen ihre Kunden nicht einmal mehr.“

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Was hat Kritik an einem Video mit dem Berufsethos zu tun?

Womit Pradetto diese angeblichen Fakten belegt? Man weiß es nicht. Aber so steht es in dem Interview geschrieben. Versicherungsmakler Lutz Birke kommentierte dazu in einer Facebook-Fachgruppe und genehmigte auch dem Versicherungsboten das Zitat. Birke findet das Video der Ideal auch nicht gut, wie er sagt.: „Noch viel schlimmer finde ich aber die möchtegernprovokativen Deutungen meiner Meinung.“ Birke fragt sich auch, wie Pradetto von der thematischen Kritik an einem Werbevideo (im Grunde einer rein ästhetischen Frage) verallgemeinernd auf die Arbeitsweise oder gar den Berufsethos der Makler schließt und mit welchem Recht.

Pradetto geht aber weiter und betätigt sich als Orakel. Zunächst bezweifelt er, dass das Video der Ideal schaden werde, sie werde „womöglich eine Menge verärgerte Vertriebspartner verlieren“. Obwohl „Menge“ hier nicht quantifiziert wird; verlorene Vertriebspartner – käme es so – wären durchaus ein Schaden für die Ideal-Versicherung. Der Mann widerspricht sich in zwei aufeinander folgenden Sätzen.

Kann Pradetto übers Wasser gehen?

In dem Interview folgt Pradettos nächste Deutung zu dem Ideal-Video und den Folgen: „Im Gegenteil: Die zweifelhafte Reaktion der Maklerschaft könnte bei anderen Versicherern den Eindruck schüren, es sei hoffnungslos, in der Zukunft auf Makler zu setzen.“ Weil (zudem nur Teile!) der Maklerschaft ein Video kritisiert, sich also rein zu Geschmackfragen äußert, soll es für Versicherer hoffnungslos sein, auf Makler zu setzen?

Entweder ist dieser nicht bewiesene, arg küchenpsychologische Schluss an den Haaren herbeigezogen. Oder Herr Pradetto kann übers Wasser gehen und das Rote Meer teilen. Nein, logisch ist dem Orakel nicht beizukommen. Oder sollen wir jetzt glauben, die ersten Versicherer machten bald ihre Maklervertriebe dicht? Weil einige Makler keine Dildo-dominierte Werbevideos mögen?!

Der Islamisten-Vergleich

Kann man Oliver Pradetto überhaupt beim Wort nehmen? Er berichtet, „Islamisten“ hätten (wo, sagt er nicht) mit Beleidigungen („einige mussten gelöscht werden“) reagiert. Das kann gut sein. Bei strenggläubigen Muslimen kommt ein Dildo-Video eher nicht gut an. Wie bei strenggläubigen Katholiken auch, ist zu vermuten. Pradetto spricht aber wenig differenziert von „Islamisten“. Um sodann Makler in die Nähe von Islamisten zu rücken.

Hier eine Geschmacksprobe und wie Pradetto sich im Weiteren verbal entlädt: „Offenkundig sind beide Gruppen, Makler und Islamisten, vergleichbar wertkonservativ und gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber wenig aufgeschlossen.“ Offenkundig ist hier zuallererst, dass der Berufsstand Makler nicht nur in die Nähe etwa streng gläubiger Religionsanhänger gerückt wird, sondern gar in die Nähe religiös getriebener Terrorristen?

Je nach persönlicher Lesart; letztere Frage beantwortet jeder Leser für sich. Je nach eigener Deutung und auch davon abhängig, inwieweit weniger informierte Leser intellektuell in der Lage sind, Islamismus, Terrorismus oder ähnliche Begriffe und Bedeutungen trennscharf zu unterscheiden. Oder nicht. Oder kann der normal verständige Leser (vor Gericht gibt es ja auch den „normal verständigen Verbraucher“) zwischen "jihadistischem" und "institutionellem Islamismus" unterscheiden?

(Nur) Letzterer ist nach einem Aufsatz des Politologen Armin Pfahl-Traughber von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung als parlamentarisch/demokratisch zu definieren. Aber im Kopf des Lesers, der kein Politologe ist, entfaltet das Wort „Islamismus“ stets seine eigene Deutung und Bedeutung. Ein Geschwurbel mit dem Begriff „Islamisten“, räumlich im Text verbunden mit den Worten „derben Beleidigungen“, die man gar löschen musste, ist ein populistisches Spiel mit dem Feuer, wenn Pradetto im Folgesatz sodann auch noch zu einem Vergleich mit dem Berufsstand des Maklers überleitet.

„Makler und Islamisten“ muss natürlich auf den Titel, oder?

So darf man den Islamisten-Vergleich mit Maklern zumutbar korrekt deuten als Leser. Zumindest ist das eine mögliche Lesart. Zudem war sich das Medium „Provision-Online“ nicht zu schade, so zu titeln: „Was Makler und Islamisten gemeinsam haben“. Weswegen es der Begriff „Islamisten“ nicht in den Titel dieses Beitrags geschafft hat.

Pradetto sagt im Interview weiter, sein Blau-Direkt-Blog und der hauseigene Youtube-Kanal konzentriere sich auf die Maklerschaft, der Ideal-Youtube-Kanal dagegen eher auf Kunden. Und dann folgt die nächste Verallgemeinerung: „Der direkte Vergleich des Auditoriums ist erschütternd. Er stellt Maklern kein gutes Zeugnis aus.“ Mit diesem Satz beendet Oliver Pradetto seine Antwort zu der Interviewfrage. Diese Antwort zu einer Frage, zur Betonung, ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Hier noch einmal die thematische Abfolge:

  • 1. Islamisten/Beleidigungen
  • 2. Makler/Islamisten-Vergleich
  • 3. „Der direkte Vergleich ... stellt Maklern kein gutes Zeugnis aus“

Bedenklich sind Pradettos beleglose Feststellungen und seine von weit, weit hergeholten Orakel und Widersprüche. Auch ausweislich seiner Worte „Fakten...“, „offenkundig.

Zusammengefasst (von oben wiederholte Zitate hier gekürzt):

  • „Fakten zeigen: Makler fragen ihre Kunden nicht einmal mehr“
  • Der Widerspruch, die Ideal-Versicherung verlöre womöglich „eine Menge“ Vertriebspartner versus „ich bezweifele, dass es [das Video?; Anm. der Red.] der Ideal schaden wird“
  • Versicherer, für die es „hoffnungslos“ werde, auf Makler zu setzen. Wegen eines Videos?!
  • Der Islamisten-Vergleich und das Wort „offenkundig“: „Offenkundig sind beide Gruppen, Makler und Islamisten, vergleichbar wertkonservativ...“ - „Der direkte Vergleich des Auditoriums (...) stellt Maklern kein gutes Zeugnis aus“

Über Blähungen

Aber vielleicht kann Herr Pradetto sich halt nur nicht klar ausdrücken? Oder er will es nicht? Wir wissen es nicht. Indizien für ein perönlich gezogenes Inhaltslos lieferte allerdings sein letztbegangener Aufreger vor knapp zwei Monaten: „Vermittler blähen BU-Prämien auf“. Dort referierte Pradetto nach einer deutungsweise kaum zu de-konstruierenden Theorie über die Weber und ihre Aufstände Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die mechanisierten Webstühle – was zudem falsch ist: Die Weberaufstände waren sozusagen maschinenlose, nämlich soziale Aufstände, wie sie zu dieser Zeit für alle Branchen typisch waren, etwa auch in der Eisen- und Stahlindustrie.

Jedenfalls verstieg sich Pradetto darauf (wie im Titel des Beitrags auch zu Maklern), damals „blähten“ die Weber die Preise auf, wohl weil sie sich (fälschlich angenommen) gegen den Arbeitsplatzabbau durch Webmaschinen wehrten. Blähen, vielleicht auch aufblasen, impliziert, dass etwas größer gemacht oder vergrößert wird. Falsch. Sinnfehler, also die Höchststrafe des Deutschlehrers, würde von diesem am Rand des Aufsatzes vermerkt. In dem Text fabuliert Pradetto auch über Honorare von Ärzten oder Anwälten. Aber statt dass der geneigte Leser nun dort eruieren könnte, ob hohe Honorare (und im Vergleich zum Maklerentgelt?) als Pro- oder Contra-Argument gelten sollen, liest der Leser: „Holla die Waldfee“.

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Bitte lese Sie den Beitrag „Vermittler blähen BU-Prämien auf“. Senden Sie eine E-Mail an redaktion@versicherungsbote.de, wenn Sie dort eine klare, inhaltlich belastbare Aussage finden. Achtung: Es zählen die dort ablesbaren Worte, nicht Interpretationen. Da müssen wir präzise sein.

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