Der einstige Vorstandschef der Allianz Deutschland wechselt zur einstigen Konkurrenz, der ERGO. Die Ergo hatte einen schweren Seitenhieb bekommen, als im Jahr 2011 die Sache mit den „Sex Prämien“ in Budapest bekannt geworden war. Und natürlich tun die ewigen Niedrigzinsen ihr übriges, um den angeschlagenen Konzern und sein Geschäft mit Lebensversicherungen weiter zu demoralisieren. Nebenbei hat man eine Anpassung an das digitale Zeitalter teilweise verschlafen. So wurde Ergo zum Sanierungsfall. Die Zahlen zuletzt: 18 Milliarden Euro Prämieneinnahmen, knapp dreißig tausend Festangestellte sowie 15.000 hauptberufliche Vertreter. Hier also will Rieß den Besen ansetzen: „Schaut man sich seine Bilanz bei der Allianz Deutschland an, wird Rieß bedeutende Veränderungen vornehmen“, sagen etwa die JP-Morgan-Analysten Michael Huttner und Rahul Parekh in London, wie Wirtschaftswoche Online berichtet.

Digitalierung, Verschlankung, neue Produkte

Es sind drei große Projekte, an denen sich der neue Ergo-Chef wird beweisen müssen. Das ist zum einen das darniederliegende Geschäft mit den Lebensversicherungen, welches durch neue Produkte neue Vitalität erhalten soll. Ab dem nächsten Jahr wird es darum bei der Ergo auch keine klassischen Garantie-Policen mehr geben, auch wird im Vertrieb aussortiert - er soll ausgedünnt werden und effizienter werden. Der bisher schwachen Stellung im Bereich der Digitalisierung will man mit Investitionen in Technik und mit neuen Produkte für den Webvertrieb stärken. Wenn dies alles umgesetzt ist, so erwartet JP Morgan, dürfte sich das sehr bald in besseren Margen und im schnelleren Wachstum niederschlagen.

Denn auch wenn Ergo im Vorjahr noch ein ganz leichtes Beitragsplus von 0,3 Prozent verzeichnete, so ist dies doch vor allem dem Ausland zu verdanken, in dem Ergo zuletzt bei 23 Prozent stand. In Deutschland selbst aber waren die Beitrags-Einnahmen bei der Lebensversicherung um 3,9 Prozent gesunken, im Bereich Schaden und Unfall um 1,0 Prozent und bei der Krankenversicherung um 0,6 Prozent. Im Vorjahr hatte der Nettogewinn bei 620 Millionen gelegen, doch kam das Plus von 42 Prozent auch durch eine Steuererstattung zustande. Im aktuellen Jahr liegt die Gewinnerwartung bei 400 bis 500 Millionen Euro und damit unter jener des Vorjahres.

Um sicherzustellen, dass die neuen Produkte auch von den Vertretern vertrieben werden, wird Rieß bei den Provisionen nachbessern, so erwarten die Analysten. Zwar habe sich auch der Vorgänger von Rieß Gedanken um den Erfolg gemacht und einzelne Optimierungen angeschoben, in der Gesamtheit aber blieben die Versuche von Oletzky ohne Durchschlagkraft und die Erfolge blieben aus. „Für sich genommen waren die meisten Einzelmaßnahmen sinnvoll“, sagt ein Insider, aber „ein schlüssiges Gesamtkonzept war das aber nicht, Oletzky hat es nicht konsequent durchgezogen.“ Mit einem niedergeschlagenen Team und kläglichen Erfolgen unter Oletzky sind die Erwartungen an Rieß nun extrem hoch. Er muss ALLES besser machen. „Rieß wird hier mittlerweile wie ein Heiland erwartet“, sagt ein führender Ergo-Manager, auch wenn Rieß' Ankunft einige harte Einschnitte mit sich bringen wird, im Klartext: Stellenabbau. Bis zum Jahr 2018 werden circa 1300 Arbeitsstellen gestrichen, vor allem im Vertrieb, so befürchtet der Betriebsrat in Düsseldorf. Doch weiß die Belegschaft noch nichts genaues.

Rieß: Jetzt gute Angebote machen

Weniger schmerzhaft, sondern dringend erwartet wird die große Digitalierungsmaßnahme. Bei der Allianz konnte Rieß schon beweisen, wie fit er in diesem Bereich ist, er selbst sagt: „Klar konnten wir manche Kunden in der Vergangenheit nicht optimal bedienen“. Das betrifft vor allem jüngere Menschen mit mittlerem Einkommen, die sehr aktiv im Internet unterwegs sind. „Denen müssen wir jetzt gute Angebote machen“, sagt Rieß. Vorgesehen ist, an das Kfz-Produkt für den Internetvertrieb rasch eine Kranken- und eine Lebensversicherung anzuschließen.

Erst hat er die Allianz auf Vordermann gebracht, jetzt wohl die Ergo. Rieß gilt als extrem ehrgeizig und duldet keine Niederlagen, analysiert die WirtschaftsWoche. Seine Maximen seien konsequentes Kostenmanagement in der Verwaltung sowie die gnadenlose Vereinfachung der Prozesse bei der Schadenregulierung. Anders als Oletzky sei Rieß zugleich der Typ „moderner Manager“, hier der kumpelhafte Kollege, dort der eiskalte Sanierer, immer alles im Blick, vor allem auch sein persönliches Fortkommen. Rieß zieht zugleich in den Munich-Re-Vorstand ein, seinem Vorgänger war dies nicht vergönnt gewesen. Ihm traut man zu, dass er mit seinem Charisma die Motivation der Belegschaft hinter sich vereinen kann, trotz Kündigungen, einfach indem er das Richtige tut und sich dies schnell für alle Involvierten angenehm bemerkbar macht: „Er wird erst zeigen, dass er die Ergo gedreht kriegt, und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun“, zitiert die Wirtschaftswoche einen Insider.

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