Die Zahl der Arbeitnehmer steigt, die aufgrund einer psychischen Störung früher in Rente gehen müssen. 2013 erhielten 42,7 Prozent aller Frührentner aufgrund einer solchen Erkrankung erstmals eine Erwerbsminderungsrente. Laut der neuen Publikation „Rentenversicherung in Zeitreihen“ der Deutschen Rentenversicherung (DVR) stellt dies einen neuen Rekordwert dar. Der Anteil betrug 2012 noch 42,1 Prozent und 1993, vor gut zwanzig Jahren, waren es nur 15,4 Prozent. Innerhalb dieser Zeitspanne stieg somit die absolute Zahl von 41.409 auf 74.745 Frühverrentungen aufgrund psychischer Störungen.

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Erkrankungen am Skelett, den Muskeln oder dem Bindegewebe waren mit 13,6 Prozent der zweithäufigste Grund für eine Frührente. Krebserkrankungen stehen mit 12,3 Prozent an dritter Stelle. Ebenfalls 12,3 Prozent und damit an vierter Stelle stehen Herz- und Kreislauferkrankungen. Diese Krankheiten waren 1993 noch doppelt so häufig der Grund für eine Frühverrentung, wie Welt Online berichtet.

Psychische Erkrankungen bei Frauen häufiger

Seit einigen Jahren sind psychische Erkrankungen die Hauptursache für eine Frührente. Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer. In die Erwerbsminderungsrente geht fast jede zweite Frau aufgrund eines psychischen Leidens. Der Anteil an Frührentnern mit einer kranken Psyche liegt bei den Männern hingegen nur bei 36,5 Prozent.

Angststörungen, Alkoholstörungen und Depressionen sind die am häufigsten auftretenden psychischen Störungen. Laut der DRV werden im Vergleich zu früher von Haus- und Fachärzten jedoch auch mehr solcher Fälle diagnostiziert. Dies dürfte an der „Entstigmatisierung“ und einer zunehmenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit liegen.

Gründe für psychische Erkrankungen

Vorwiegend aufgrund von veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen nehmen psychische Erkrankungen aber auch real zu. Gründe sind laut der Leiterin des Sozialmedizinischen Bereichs der DRV, Susanne Weinbrenner:

  • der Ausbau des Dienstleistungssektors: dieser fordert eine ständige Erreichbarkeit und hohe Sozialkompetenz
  • Rationalisierungen
  • prekäre und unsichere Arbeitsverhältnisse
  • Arbeitslosigkeit
  • Belastungen durch moderne Informations- und Mediengesellschaft: diese gibt einen zeitlich schnelleren Takt und eine höhere Effizienz vor
  • Veränderung der sozialen Strukturen (z. B. familiärer Zusammenhalt)
  • erhöhtes Krankheitsrisiko durch steigende Mobilität
  • schlechtes Betriebsklima

In einem Positionspapier der Deutschen Rentenversicherung heißt es: "Immer mehr moderne Arbeitsplätze verlangen den psychomental uneingeschränkt leistungsfähigen Beschäftigten". Psychische Belastungen würden im Rahmen des Arbeitsschutzes durch Gefährdungsbeurteilungen oft nicht ausreichend berücksichtigt.

Arbeitsschutz mit „Anti-Stress-Verordnung“ verbessern

Den Arbeitsschutz wollen mehrere Initiativen mit einer „Anti-Stress-Verordnung“ verbessern. In den vergangen Jahren haben sich vor allem die Gewerkschaften dafür eingesetzt. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist ebenfalls davon überzeugt. Jedoch sei die gesetzliche Umsetzung einer solchen Verordnung ihrer Meinung nach eine Herausforderung.

Ob und wie Belastungsschwellen festgelegt werden können, müsse der Ministerin zufolge nun die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) prüfen. "Wir brauchen allgemeingültige und rechtssichere Kriterien, bevor wir den Betrieben etwas vorschreiben", so Andrea Nahles weiter. Doch es gibt Gegenwind, in der Bundesregierung stehen sich Befürworter und Gegner gegenüber. Rückendeckung haben die Arbeitgeber, die solche Vorschriften ablehnen, inzwischen von der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erhalten. Sie sagte in einer Video-Botschaft, dass sie einer Anti-Stress-Verordnung „sehr kritisch gegenüber“ stehe.

Hohe Kosten bei Rentenversicherung und Wirtschaft

Die Kosten für psychische Erkranken sind hoch. Auf der einen Seite stehen die Kosten der Rentenversicherung. Diese muss neben dem frühen Renteneintritt medizinische Rehabilitationsmaßnahmen finanzieren. Diese sollen während des Arbeitslebens die Chancen der Arbeitnehmer erhöhen, wieder zurück in ihren Job zu können. Die Experten der Rentenversicherung schreiben jedoch, dass Rehabilitationsangebote in der Regel zu spät kommen. Der Grund liegt in dem sehr langen und komplexen Prozess der Rentenantragsstellung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Versicherten mit einer psychischen Störung eine adäquate Behandlung und Reha rechtzeitig zukommen zu lassen müsse daher das Ziel sein. Rentenversicherung, Krankenversicherung und Ärzteschaft müssten laut einem Positionspapier der DRV besser zusammenarbeiten.

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Unter den Folgen von psychischen Erkrankungen leidet auch die Wirtschaft. Zu den höchsten Fehlzeiten im Jahr führten 2013 zwar Atemwegs- und Muskel-/Skelett-Erkrankungen. Jedoch machen psychische Erkrankungen dennoch zehn Prozent der Krankschreibungen bei den erwerbsfähigen AOK-Versicherten aus. Die Zahl der Krankheitstage aufgrund psychischer Leiden hat sich laut dem AOK-Fehlzeiten-Report von 2003 bis 2013 um 60 Prozent erhöht. Die Produktionsausfallkosten aufgrund psychischer Erkrankungen betrugen laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz 2012 sechs Milliarden Euro. Damit führten sie zu einem Ausfall von 10,5 Milliarden Euro bei der Bruttowertschöpfung.

Welt Online

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