Die Schadenbearbeitung hat sich in der vergangenen Dekade von einer individualistischen, rein technischen Schadenbearbeitung hin zu einer nach Effizienzgesichtspunkten gesteuerten prozessorientierten Bearbeitung gewandelt. So erschöpfte sich die bisherige Schadenregulierung hauptsächlich in der Beantwortung juristischer, medizinischer und technischer Fragen sowie in der Unterordnung des jeweiligen Schadensachverhalts unter die Versicherungsbedingungen. Die Schadenorganisation der Versicherer bestand daher vor allem aus technischen Experten. Heute liegt der Fokus stattdessen auf einer zentralisierten und prozessorientierten Handhabung der Schäden, bei der sich entsprechend auch die Anforderungen an die Mitarbeiter geändert haben.

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Die neue Realität

Was bedeutet diese neue Prozessorientierung? Arbeitsabläufe, die bislang vom ersten bis zum letzten Schritt von einem verantwortlichen Bearbeiter abgewickelt wurden, werden jetzt auf mehrere Beteiligte verteilt. Erstkontakt und Schadenlage von dem einen, Schadenbearbeitung vom nächsten und die Auszahlung der Versicherungsleistung von einem dritten Mitarbeiter. Während die ersten und letzten Arbeitsschritte heute nicht selten aus der Versicherungsorganisation ausgegliedert wurden, verblieb die technische Bearbeitung beim Versicherer selbst. Auch das hat sich geändert. Schäden werden nicht mehr nur nach Sparten gegliedert, sondern auch in Größenklassen bearbeitet. Diese Spezialisierung geht so weit, dass beispielsweise in der Kfz-Versicherung ein und dasselbe Schadenereignis von zwei Mitarbeitern bearbeitet wird: Der eine bearbeitet den Kaskoschaden, der andere den Haftpflichtschaden. Der Zugewinn an Effizienz und Wirtschaftlichkeit hat allerdings zugleich zur Folge, dass fachliches Know-how heute verstärkt von außen zugekauft werden muss, da etwa Stabstellen abgebaut und Fachliteratur reduziert wurde oder auch die Zeit, sich mit einzelnen Fragestellungen in der Tiefe zu beschäftigen, angesichts des steigenden Volumens an Schäden nicht mehr vorhanden ist.

Anforderungen an Mitarbeiter steigen

Die beschriebenen Entwicklungen und Anforderungen bedeuten für die Mitarbeiter neue und zusätzliche Herausforderungen, denn Kunden erwarten heute einen umfangreichen Claims Service, der über die rein technische, fachlich fundierte Bearbeitung an der Akte hinausgeht. Anstatt technischer Experten sind in der modernen Schadenbearbeitung daher mittlerweile Mitarbeiter gefragt, die über Managerqualitäten verfügen, die mehrsprachig sind und sich flexibel auf andere Kulturen einstellen können – wichtige Faktoren, um Kunden, von denen immer mehr multinational agieren, im Schadensfall tatsächlich unterstützend zur Seite stehen zu können.

Der Kunde erwartet mehr – und landet in der Warteschleife?

Die technische Schadenbearbeitung bedeutete in der Vergangenheit die Fallbearbeitung an der Akte – eine Vorgehensweise, die heute in einem vom Wettbewerb geprägten Marktumfeld mit gestiegenen Kundenbedürfnissen jedoch nicht mehr zeitgemäß ist. Ohne Prozessorientierung ist eine Schadenregulierung heute nicht mehr möglich, da das Volumen an Schäden deutlich zugenommen hat, vor allem im Kfz-Bereich und aufgrund von verstärkt auftretenden Naturkatastrophen.

Die klar strukturierten Arbeitsabläufe der Prozessorientierung führen daher dazu, dass Schäden schneller, verlässlicher und transparenter reguliert werden können, was bei der Masse an Schäden sinnvoller und schneller als etwa ein personalintensiver Prozess ist. Bei allen wirtschaftlichen Vorteilen birgt die Prozessorientierung nicht nur Vorteile, sondern zugleich auch bestimmte Herausforderungen: Durch die Auslagerung bestimmter Arbeitsschritte aus dem Unternehmen kann es sein, dass es dem Kunden im Schadenfall oftmals nicht mehr möglich ist, auf einen Ansprechpartner direkt vor Ort zurückzugreifen. Stattdessen landet dieser in vielen Fällen in der Warteschleife eines Call Centers. Die Gefahr, dass der Kunde zum Störfaktor eines perfektionierten Arbeitsablaufes wird, oder er vergessen wird, ist daher bei der Prozessorientierung nicht zu unterschätzen.

Herausforderung Prozessorientierung

Eine reine Prozessorientierung birgt auch Risiken, wenn sie sich zu einer Industrialisierung ausweitet. Sie darf nicht dazu führen, dass der Kontakt mit dem Kunden seitens des Versicherers als störend empfunden wird. Das kann nicht nur für den Klienten, sondern auch den Versicherer problematisch sein. Denn bei der Wahl des Versicherers gibt es für den Kunden einen wichtigen Faktor: eine gut funktionierende, den Bedürfnissen und Erwartungen entsprechende Schadenregulierung. Sollte es dem Kunden im Schadenfall unmöglich sein, direkten Kontakt zu seinem Schadenbearbeiter aufzunehmen, kann dies das Ende der Geschäftsbeziehung bedeuten. Der Kunde, dessen Bedürfnisse und Anforderungen – das muss der Fokus sein.

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Dr. Peter Albrecht, Schadenleiter bei der ACE Group, schreibt über den Wandel im Schadenmanagement. ACE Group Dr. Peter Albrecht (43), promovierter Jurist, ist seit Oktober 2010 gesamtverantwortlicher Schadenleiter für die Länder Deutschland und Österreich sowie für den Personenversicherungsbereich in der Schweiz bei der ACE Group (ACE) in Frankfurt am Main. Seit Juli 2014 ist Albrecht auch für den Schadenbereich in Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn verantwortlich.

Ein ausführliches Interview mit Dr. Albrecht finden Sie im Versicherungsbote-Fachmagazin 02/2014, das am 28. Oktober anlässlich der Fachmesse DKM erscheint.

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