In einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag am Mittwoch, 5. Juni 2013, hatten sich die Experten zur Umsetzung des neuen Kranken- und Pflegeversicherungskonzeptes verständigt. Anlass war ein Antrag der Fraktion die Linke an die Bundesregierung Ende September 2011. Darin hatte die Partei aufgezeigt, dass die Kosten für Gesundheit und Pflege auf einem solidarischen Weg finanzierbar seien und das Modell einer Bürgerversicherung vorgeschlagen. Vor allem von der Union benannte Experten halten dieses Konzept für nicht umsetzbar und auch verfassungsrechtlich bedenklich.

Anzeige

Bürgerversicherung: Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze unsolidarisch

Ein Streitpunkt stellt die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze dar: Da ab einer bestimmten Höhe des Einkommens die Beteiligung an den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung immer prozentual geringer ist, werden Menschen mit niedrigerem Einkommen benachteiligt, argumentiert die Linke in dem Antrag von 2011. Es sei europaweit einzigartig und gleichermaßen unsolidarisch, dass sich Besserverdienende und Selbstständige grundsätzlich aus der Zahlung in die gesetzliche Krankenversicherung befreien können, indem sie sich privat absichern.

Robert Paquet, Journalist und Berater im Gesundheitswesen, wies den Gesundheitsausschuss darauf hin, dass mit Aufgabe der Beitragsbemessungsgrenze auch das Sozialversicherungsprinzip aufgegeben werde. Stattdessen würde eine Art „Flat-tax“, also eine Einheitssteuer, eingeführt werden. Dies bedeutet u.a., dass sich bei steigendem Durchschnittseinkommen auch die Steuer für jeden Einzelnen erhöhen würde.

In ähnlicher Weise argumentiert der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing: Die Beitragsbemessungsgrenze sei „nicht Ausdruck gesetzgeberischer Beliebigkeit.“ Als Gegenleistung für eine bestimmte Leistung wäre sie konstitutiv für die Sozialversicherung und somit „nicht verzichtbar“. Der Solidaritätsbegriff wäre im Antrag undifferenziert, so Thüsing.

Zusätzlich würde die Forderung nach einem Rücklagenverbot künftige Generationen benachteiligen. Klaus Dauderstädt vom Beamtenbund mahnte, dass damit eine "massive Verletzung der Fürsorgepflicht" vorliegen könne und dies gegebenenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werde müsse.

Überführung von PKV in GKV nicht umstandslos möglich

Die Geschäftsprozesse der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung liegen weit auseinander, erläuterte Paquet. Eine umstandslose Überführung der PKV in die GKV wäre daher nicht möglich. Die Abschaffung der privaten Krankenversicherung würde weiterhin 60.000 bis 67.000 sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter und tausende selbständige Versicherungsvermittler treffen.

Ähnliche Aussagen in Studienergebnissen von Paquet hatte die Dienstleistungsgewerkschaft verdi Studienergebnisse kürzlich offiziell angezweifelt (Versicherungsbote berichtete: Bürgerversicherung als Jobkiller.) So enthielt der Entwurf von verdi-Mitglied Herbert Weisbrod-Frey Fürsprache. Die Dienstleistungsgewerkschaft sehe das Modell, nach dem sich einzelne aus der GKV ausklinken könnten, ebenfalls als überholungsbedürftig an: „Mit der derzeitigen Weichenstellung, die in Zukunft über Kopfpauschalen die Versicherten zusätzlich belastet, wird ein ungerechtes Gesundheitssystem erhalten“, so Weisbrod-Frey.

Im Gegensatz zu vielen Vertretern der Branche sieht der Berliner Jurist Franz Knieps keinen Systemwettbewerb zwischen den beiden Krankenversicherungssystemen: Da die PKV ohnehin lediglich einem eingeschränkten Personenkreis offenstehe, würde sie für viele zur „Entscheidung auf Lebenszeit“. Unter den gesetzlichen Krankenkassen wäre der Wettbewerb intensiver, da der Wechsel zwischen den Anbietern sehr viel häufiger vorkommt, wenn die Kunden unzufrieden sind. Dass die PKV über einen größeren Leistungskatalog verfüge, sei eine der „großen Mythen“, erklärte Knieps. Für Familien, Ältere und Menschen mit seltenen Erkrankungen sei der Leistungskatalog der GKV „wesentlich präziser“ und „zum Teil umfassender“ formuliert.

Anzeige

Für eine Bürgerversicherung sprachen sich Vertreter der BAG Selbsthilfe, des AWO Bundesverbandes und des Sozialverbands VdK aus. Für die SPD steht das Thema Bürgerversicherung längst auf der Agenda, sollte die Partei die Bundestageswahl gewinnen. Auch von Bündnis 90/die Grünen wird das Konzept unterstützt.

Anzeige