Ständige Verfügbarkeit, hoher Leistungsdruck, Arbeit auch am Wochenende: Dass Arbeit krank machende Potentiale haben kann, ist keine neue Erkenntnis. Nun präsentiert die Bild in ihrer heutigen Montagsausgabe erschreckende Zahlen. „So krank macht uns der Job“, titelt Deutschlands größtes Boulevardblatt auf seiner Titelseite – immer mehr Menschen müssten aufgrund psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz ausfallen.

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Stressbedingte Fehltage auf Arbeit steigen um 165 Prozent

Allein in den letzten 15 Jahren seien die Fehltage durch allgemeine psychische Erkrankungen um 165 Prozent gestiegen. Dies gehe aus dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport hervor, berichtet die Bild. Durch Psycho-Stress ausgelöste Leiden rückten damit auf Platz 2 aller Krankheitstage im Job vor, wobei der Anteil im Westen mit 15 Prozent etwas höher liegt als in den neuen Bundesländern, wo 12,4 Prozent der Beschäftigten aufgrund von Stresssymptomen ausfallen. Die Spitzenposition bei den Krankmachern nehmen nach wie vor die Rückenleiden ein.

Eine Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zeigt zudem, dass die betroffenen Personen für längere Zeit an ihrem Arbeitsplatz fehlen. Im Schnitt mussten psychisch Erkrankte in 2012 über 40 Tage zu Hause bleiben. Grund genug für KKH-Chef Ingo Kailuweit, vor einer epidemieartigen Ausbreitung von Psycho-Leiden zu warnen. „In ein paar Jahren könnte das die Volkskrankheit Nummer eins werden“, sagte er der Bild. Die meisten Fehltage wegen psychischen Erkrankungen weisen Beschäftigte im Einzelhandel auf (43,6 Fehltage), im Gesundheits- und Sozialwesen (40,7) sowie im Bereich Finanzdienst/Versicherungen (40,5).

Mehr Erfolgsdruck und höhere Anforderungen im Beruf

Warum aber sind die Krankheitszahlen derart in die Höhe geschnellt? Experten führen dies auch auf gestiegene Anforderungen im Job zurück. Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) müssen 63 Prozent der Arbeitnehmer heute in der gleichen Zeit mehr leisten als noch vor einigen Jahren – die Hälfte gab eine Wochenarbeitszeit von mindestens 45 Stunden an. Die Zahl der Überstunden sei ebenfalls stark gestiegen. Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) bestätigen diesen Trend. Demnach klagten 59,1 Prozent der Angestellten über sogenannte „atypische Arbeitszeiten“: Überstunden, Wochenendarbeit und Dauerbereitschaft sogar in der Freizeit.

“Erfolgsdruck und ständige Erreichbarkeit sind auf Dauer eine Gefahr für die Gesundheit. Da müssen wir mit den Arbeitgebern gegensteuern“, appelliert KKH-Vorstand Kailuweit. Auch die Bundesregierung will verstärkt gegen Psycho-Stress am Arbeitsplatz vorgehen und hat für heute ein Treffen des Bundessozialausschusses einberufen, auf dem Maßnahmen für mehr Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung beschlossen werden sollen. Die SPD und der CDU-Sozialflügel hatten bereits eine Anti-Stress-Verordnung gefordert, und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) legte einen Gesetzentwurf für mehr Prävention vor. „Einen Schwerpunkt setzen wir in der betrieblichen Gesundheitsförderung: Auch in diesem Bereich sollen die Krankenkassen ihre Ausgaben verdreifachen“, sagte Bahr am 23. April in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.

Steigende Sensibilität im Umgang mit psychischen Erkrankungen

Doch nicht allein die Zunahme der Belastung am Arbeitsplatz machen Gesundheitsexperten für die Explosion der Fehlzeiten verantwortlich. Arbeitnehmer und Ärzte seien auch zunehmend für psychische Leiden sensibilisiert, so dass Mediziner bei der Diagnose verstärkt nicht nur nach körperlichen Ursachen suchen, sondern auch nach psychischen Krankheiten. Wenn Menschen früher wegen Magenbeschwerden krank geschrieben worden, so stellen heute Ärzte eher die Diagnose, dass der Bauch aufgrund von Psychostress schmerzt. Auch Rückenprobleme und andere Gelenkbeschwerden können eine Ursache im Stress haben.

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Zudem steht zumindest der Verdacht im Raum, dass es sich bei psychischen Erkrankungen ein Stück weit um eine Modediagnose handelt. Ein genaues Krankheitsbild für Psycho-Erkrankungen wie Burn Out gibt es nicht. Für den Allgemeinmediziner ist es nur schwer erkennbar, ob der Patient echte psychische Probleme hat oder diese nur vorgaukelt, um zwei Wochen blau zu machen. Und gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen dürfte es schwierig sein, Gesundheitsprogramme einzuführen und zu finanzieren, ohne dass der Arbeitsalltag gestört wird. Hier fehlen in Sachen Stress-Prävention noch praktikable Lösungen für die Zukunft.

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