Die Deutschen hingegen verschuldeten sich nicht, um trotz stagnierender Einkommen ihren Lebensstandard zu halten. Im Gegenteil: Sie sparten einen größeren Teil ihres Einkommens. Diese typisch deutsche Reaktion ist auch dem typisch deutschen institutionellen Rahmen geschuldet, stellen die beiden Wissenschaftler fest:

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  • Deutsche Arbeitnehmer arbeiten vielfach in hoch spezialisierten Industriezweigen und verfügen über betriebsspezifisches Wissen. Beschäftigungsverhältnisse sind stabiler als in den USA. Wenn Arbeitsmarktreformen Entlassungen erleichtern und zugleich die Ungleichheit steigt, befürchten Arbeitnehmer, dass sie im Falle eines Jobverlusts aufgrund ihrer Spezialisierung nur schwer anderweitig unterkommen und Einkommensverluste hinnehmen müssen. Die Konsequenz: Sie sparen.
  • Weitere Reformen des Sozialstaats, wie die Teilprivatisierung der Altersrente, ließen die Beschäftigten ebenfalls mehr Geld auf die hohe Kante legen.
  • Erschwerend kommen die relativ niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen und der sehr große Lohnabstand zu den Männern hinzu: Die starke Ausbreitung von Minijobs gerade bei verheirateten Frauen bedeutet auch, dass diese vor allem über ihren Ehemann sozial abgesichert sind. Zugleich macht das Steuersystem es für sie finanziell unattraktiv, mehr zu arbeiten. In dieser Konstellation wäre ein Jobverlust des Mannes umso dramatischer - was die Deutschen in Reaktion auf die steigende Ungleichheit und die Deregulierung des Arbeitsmarkts noch mehr sparen ließ.
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All diese Faktoren ließen die Binnennachfrage nicht mehr wachsen, macht die Analyse der Wissenschaftler deutlich. Seit der Jahrtausendwende speiste sich das deutsche Wirtschaftswachstum allein aus dem Export. Starker Export, schwache Inlandsnachfrage und hohe Sparquote verursachten einen dauerhaft hohen Leistungsbilanzüberschuss. Deutschland lebte damit auch von der Überschussnachfrage der europäischen Nachbarn. Diese speiste sich wiederum aus Kreditblasen, die im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise platzten.

In Deutschland sollten Reformen deshalb darauf abzielen, die Einkommensungleichheit wieder zu reduzieren, empfehlen van Treeck und Sturn. Wichtig seien Lohnabschlüsse, die den Verteilungsspielraum ausnutzen, wie in jüngster Zeit geschehen. Die Politik könne dies unterstützen, indem sie die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifabschlüssen erleichtert, die Arbeitsmarktreformen um einen gesetzlichen Mindestlohn ergänzt und die Leiharbeit eindämmt. Damit ließen sich die schwache Konsumnachfrage und die starke Abhängigkeit der Wirtschaft vom Export überwinden - zum Wohle ganz Europas.

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Till van Treeck, Simon Sturn: Income inequality as a cause of the Great Recession? A survey of current debates, International Labour Office, Genf, 16. August 2012.

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