Unisex oder Frühlingserwachen: Die Versicherungswirtschaft entdeckt die Frau.

Männlich, dickbäuchig, ein wenig träge – müsste man die Versicherungswirtschaft als Person beschreiben, würden einem nicht nur positive Assoziationen einfallen. Das Haupthaar ist schütter und angegraut, werden doch die Vorstandsetagen von älteren Herren dominiert. Auch im Vertrieb sind Männer in der Überzahl – und haben aufgrund der aktuellen Krisen ein nervöses Zucken um den Mundwinkel sowie tiefe Sorgenfalten unter den Augen. Was aber fehlt, das ist der weibliche Charme! Es gibt kaum eine Werbekampagne, die sich an Frauen als Zielgruppe richtet. Auch die Homepages der Versicherungsanbieter strotzen vor stereotypen Frauenbildern, sind so verlockend wie ein Date mit Ursula von der Leyen. Küche, Kinder, Karriere – anders kann die Versicherungsbranche das Frausein kaum denken. Und im Hintergrund bellt der Familienhund.

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Doch im März des Jahres 2011, als die ersten Sprossen aus dem Boden schossen und die Vögel aus ihrem Winterasyl zurückkehrten, beschloss der Europäische Gerichtshof, dem traurigen Single-Dasein der Assekuranz ein Ende zu bereiten. Der bequeme, desinteressierte und träge alte Herr wurde an die Hand genommen und mit dem Umstand konfrontiert, dass zukünftig für Männer und Frauen nur einheitliche Versicherungstarife angeboten werden dürfen. Mehrbeträge aufgrund des Geschlechts gelten ab Dezember 2012 als Diskriminierung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Der Versicherungsbranche wurde das weibliche Gen eingeimpft - und sie reagierte allergisch!

Zwar richtete sich das Urteil gegen eine Benachteiligung von Männern und Frauen gleichermaßen. Doch waren Frauen überproportional in den teueren Versicherungssparten schlechter gestellt, weil sie eine höhere Lebenserwartung haben. In der privaten Krankenversicherung beispielsweise konnten Versicherte mehrere hundert Euro im Monat sparen, wenn sie über Bartwuchs und ein männliches Glied verfügten. Bis zum Jahr 2006 wurden die deutlich höheren Beiträge für Frauen sogar mit den Mehrkosten einer Schwangerschaft begründet! Erst spät setzte sich bei der Assekuranz die Erkenntnis durch, dass eine Frau selten ohne Mitwirken eines Mannes schwanger wird.

Nun gilt es also, speziell für die private Krankenversicherung Frauen als Zielgruppe zu gewinnen. Zum Beispiel mit Tarifen, die das Frausein nicht bestrafen, sondern weibliche Wünsche stärker berücksichtigen. Aber die Versicherungsbranche reagiert wie ein zurückgewiesener Liebhaber, der die Liebesbeziehung schon aufgibt, bevor es überhaupt zum ersten Rendezvous gekommen ist – pampig, trotzig, irgendwie uncharmant. Seit dem Urteilsspruch mehren sich die Studien, wonach Unisex-Tarife für alle von Nachteil sind, für Männer wie Frauen gleichermaßen. Der Dachverband der deutschen Versicherungswirtschaft murrt, Versicherungsmathematiker klagen über schwierige Berechnungen. Nur wenige Versicherer beginnen damit, ihre Tarife auf Unisex umzustellen.

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Deshalb hatte der Versicherungsbote vielleicht das passende Bild gewählt, als er in einem Kommentar die Forderung nach Unisex-Tarifen mit einer Kastration verglich. Justitias Schwert ist eben unbarmherzig, wenn die strenge Richterin eine Schlechterstellung per Geschlecht befürchtet. Auch im Jahr 2012 könnte Unisex für so manchen Herren in der Versicherungsbranche eine schmerzhafte Erfahrung bleiben. Man wird sehen, ob sich das Thema zur endlosen Seifenoper entwickelt - oder am Ende die Hochzeitsglocken läuten! Weiter auf Seite 2: Der Euro, ein kleiner Bengel mit großer Macht, sorgt für ordentlich Trouble...

Auch Du warst Krise! 2011 im Jahresrückblick, Teil 1

Euro-Krise: Und täglich geht das Geld unter!

Es soll tatsächlich Menschen geben, die das Ende der Welt schon vor sich sehen: Am 21. Dezember 2012 endet der Maya-Kalender, der uns bereits seit mehreren tausend Jahren begleitet hat. Doch für Panik besteht keine Ursache, denn bevor man nun eine Arche baut oder ein Raumschiff bastelt, Vorräte hortet und die Lebensversicherung kündigt, sollte man sich folgenden Tatbestand ins Bewusstsein rufen: 2011 war jeden Tag Weltuntergang! Oder auch „Gelduntergang“, wie es der Spiegel mit einem besonders findigen Wortspiel formulierte.

So zumindest in den Wirtschaftsredaktionen, die irgendwann gar keine neuen Nachrichten mehr schreiben mussten, sondern per Copy- und Paste-Verfahren einfach die News vom Vortag mit frischen, horrenden Zahlen versahen. Ziffern lassen sich ins Unendliche steigern, Begriffe hingegen nicht. Und so versagten die Journalisten dabei, die Botschaften vom baldigen Bankrott der Welt mit immer neuen Superlativen zu versehen oder sich extravagante Synonyme für „Panik“, „Angst“ oder „Kurssturz“ auszudenken. Einen „Euro-Gau“ und eine „Kernschmelze des Geldes“ hatte man bereits bemüht. Als das Manager-Magazin von einer „Eingreiftruppe gegen die Krise“ sprach, eine andere Zeitung die „Schlacht um den Euro“ ankündigte, ja sogar ein einflussreicher Börsianer ein „Blutbad an den Börsen“ heraufbeschwor, war damit sogar das Kriegsvokabular voll ausgeschöpft.

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Schuld an all der Panik war ein kleiner Junge, der noch nicht einmal seine Pubertätszeit erreicht hat und einst sogar als wahrer Musterknabe galt – der Euro. Im Januar 2012 feiert er seinen zehnten Geburtstag, doch es muss damit gerechnet werden, dass kaum jemand zum Gratulieren vorbei kommt. Und irgendwie ist es tatsächlich tröstlich, sich diesen Troublemaker als kleinen Lausbuben vorzustellen, mit Latzhosen, Sommersprossen und dreckverschmiertem Gesicht. Ein Bub, der nicht nur erwachsenen Bänkern die Zunge rausstreckt oder den Mittelfinger zeigt, sondern nebenbei auch noch Regierungen stürzt, horrende Sparprogramme zu Lasten der Bevölkerung durchsetzt und bewirkt, dass alle Redaktionen dieser Welt verrückt spielen. Haben wir uns als Kinder nicht auch gewünscht, eine derartige Allmacht zu haben? Träumten wir nicht davon, Königreiche zu erobern, Unruhe zu stiften und der Welt die lange Nase zu zeigen? Da passt es, dass die meisten Hedge Fonds auf den Cayman Islands beheimatet sind – diese waren einst ein Piratenparadies, mit abenteuerlichen Höhlen, fetzigen Schiffswracks und versteckten Goldschätzen.

Natürlich kam dieser Bengel auch in der Redaktion des Versicherungsboten vorbei, narrte uns mit seinen Faxen und provozierte die Frage, ob Wirtschaftsjournalismus nur noch als Satire möglich ist. Weil aber das Toben in Gemeinschaft viel mehr Spaß bereitet, brachte der Wildfang seine großen Brüder mit – auch der „Dollar“ und die sogenannten "Märkte“ hielten die Presse mit Streichen bei Laune. Das alles war so abstrus und manchmal sogar lustig, dass schließlich sogar der "Versicherungsbote" herumzualbern begann. Wir holten unser Holzschwert aus Kinderzeiten hervor und verlegten den Redaktionssitz in eine Räuberhöhle. Die Übermut spiegelte sich in den Artikeln wieder: Mal schoben wir den amerikanischen Rentnern die Schuld für die Krise in die Schuhe, dann wieder erinnerten wir uns alter Geschichten, die wir schon als Kinder gern gehört hatten. Wir verteidigten den Euro gegen den Vorwurf, ein Teuro zu sein. Und übten uns in Eigennutz: Damit wir weiterhin beim Griechen um die Ecke bedient werden, argumentierten wir gegen das Vorurteil, die Griechen würden weniger arbeiten und mehr Urlaub machen als die Deutschen - dies ist nämlich nicht der Fall.



Mirko Wenig
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