Euro-Krise: Und täglich geht das Geld unter!

So zumindest in den Wirtschaftsredaktionen, die irgendwann gar keine neuen Nachrichten mehr schreiben mussten, sondern per Copy- und Paste-Verfahren einfach die News vom Vortag mit frischen, horrenden Zahlen versahen. Ziffern lassen sich ins Unendliche steigern, Begriffe hingegen nicht. Und so versagten die Journalisten dabei, die Botschaften vom baldigen Bankrott der Welt mit immer neuen Superlativen zu versehen oder sich extravagante Synonyme für „Panik“, „Angst“ oder „Kurssturz“ auszudenken. Einen „Euro-Gau“ und eine „Kernschmelze des Geldes“ hatte man bereits bemüht. Als das Manager-Magazin von einer „Eingreiftruppe gegen die Krise“ sprach, eine andere Zeitung die „Schlacht um den Euro“ ankündigte, ja sogar ein einflussreicher Börsianer ein „Blutbad an den Börsen“ heraufbeschwor, war damit sogar das Kriegsvokabular voll ausgeschöpft.

Anzeige

Schuld an all der Panik war ein kleiner Junge, der noch nicht einmal seine Pubertätszeit erreicht hat und einst sogar als wahrer Musterknabe galt – der Euro. Im Januar 2012 feiert er seinen zehnten Geburtstag, doch es muss damit gerechnet werden, dass kaum jemand zum Gratulieren vorbei kommt. Und irgendwie ist es tatsächlich tröstlich, sich diesen Troublemaker als kleinen Lausbuben vorzustellen, mit Latzhosen, Sommersprossen und dreckverschmiertem Gesicht. Ein Bub, der nicht nur erwachsenen Bänkern die Zunge rausstreckt oder den Mittelfinger zeigt, sondern nebenbei auch noch Regierungen stürzt, horrende Sparprogramme zu Lasten der Bevölkerung durchsetzt und bewirkt, dass alle Redaktionen dieser Welt verrückt spielen. Haben wir uns als Kinder nicht auch gewünscht, eine derartige Allmacht zu haben? Träumten wir nicht davon, Königreiche zu erobern, Unruhe zu stiften und der Welt die lange Nase zu zeigen? Da passt es, dass die meisten Hedge Fonds auf den Cayman Islands beheimatet sind – diese waren einst ein Piratenparadies, mit abenteuerlichen Höhlen, fetzigen Schiffswracks und versteckten Goldschätzen.

Natürlich kam dieser Bengel auch in der Redaktion des Versicherungsboten vorbei, narrte uns mit seinen Faxen und provozierte die Frage, ob Wirtschaftsjournalismus nur noch als Satire möglich ist. Weil aber das Toben in Gemeinschaft viel mehr Spaß bereitet, brachte der Wildfang seine großen Brüder mit – auch der „Dollar“ und die sogenannten "Märkte“ hielten die Presse mit Streichen bei Laune. Das alles war so abstrus und manchmal sogar lustig, dass schließlich sogar der "Versicherungsbote" herumzualbern begann. Wir holten unser Holzschwert aus Kinderzeiten hervor und verlegten den Redaktionssitz in eine Räuberhöhle. Die Übermut spiegelte sich in den Artikeln wieder: Mal schoben wir den amerikanischen Rentnern die Schuld für die Krise in die Schuhe, dann wieder erinnerten wir uns alter Geschichten, die wir schon als Kinder gern gehört hatten. Wir verteidigten den Euro gegen den Vorwurf, ein Teuro zu sein. Und übten uns in Eigennutz: Damit wir weiterhin beim Griechen um die Ecke bedient werden, argumentierten wir gegen das Vorurteil, die Griechen würden weniger arbeiten und mehr Urlaub machen als die Deutschen - dies ist nämlich nicht der Fall.



Mirko Wenig
vorherige Seite
Seite 1/2/

Anzeige