Deepfakes bedrohen auch die Versicherungswirtschaft
Deepfakes sind längst in der Versicherungsrealität angekommen – und sie bedrohen mehr als nur einzelne Schadenprozesse. Sie untergraben Beweise, täuschen Identitäten und gefährden das Vertrauen in digitale Kommunikation. Wie sich die Branche jetzt wappnen muss, zeigt der Tech Trend Radar 2025.

- Deepfakes bedrohen auch die Versicherungswirtschaft
- Was jetzt notwendig ist
Es beginnt oft mit einem scheinbar harmlosen Video: Eine Versicherungskundin dokumentiert mit ihrem Smartphone die verkohlten Überreste nach einem Wohnungsbrand – beschädigte Möbel, verrußte Wände, ein zerstörter Elektroherd. Der Clip wirkt authentisch, nachvollziehbar und emotional aufgeladen. Doch das Material ist gefälscht. Die Bilder, die Stimme im Hintergrund, sogar das Zittern der Hand – alles wurde künstlich erzeugt. Willkommen im Jahr 2025, in dem Deepfakes längst keine Spielerei mehr sind, sondern versicherungsrelevante Realität.
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Versicherer geraten zunehmend ins Visier von Betrugsversuchen, bei denen täuschend echte, KI-generierte Medieninhalte eingesetzt werden – nicht nur bei Schäden, sondern auch in der Kommunikation mit Kunden. Die Stimme eines angeblichen Geschäftsführers, die eine eilige Vertragsänderung durchsetzen will. Der Videocall mit einem vermeintlichen Versicherten, der sich als synthetisches Double entpuppt. Solche Szenarien sind längst nicht mehr hypothetisch. Der Tech Trend Radar 2025 von Munich Re und Ergo spricht von einer „formidablen Bedrohung für die Integrität digitaler Informationen“ – mit direkten Auswirkungen auf das Versicherungsmodell selbst.
Das Ende der Beweisbarkeit?
Die Assekuranz lebt von Vertrauen – und von der Fähigkeit, Schäden, Aussagen und Identitäten verlässlich zu prüfen. Deepfakes greifen beides an. Denn sie lassen sich mit wachsender technischer Raffinesse nur noch schwer von echten Inhalten unterscheiden. KI-Systeme erzeugen heute Stimmen, Mimik, Bewegungsabläufe und Lichtverhältnisse, die menschliche Wahrnehmung überlisten. Besonders perfide ist dabei: Je digitaler Versicherer operieren, desto größer wird die Angriffsfläche. Das betrifft nicht nur Schadendokumentationen, sondern auch die gesamte Kundeninteraktion.
„Die wachsende Verbreitung von Deepfakes und Desinformation hat bereits das öffentliche Vertrauen in digitale Medien geschwächt“, heißt es im Radar. Und weiter: „Ohne transparente und effektive Lösungen könnte dieses Misstrauen institutionelles Vertrauen untergraben – mit Folgen für Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen.“
Für Versicherer heißt das: Wenn Schadenfotos, Sprachaufzeichnungen oder Videos nicht mehr als belastbare Beweise gelten können, steht ein zentrales Element des Versicherungsgeschäfts infrage. Besonders problematisch wird das in Sparten mit hohem Schadenaufkommen, etwa der Kfz- oder Hausratversicherung, wo digitale Prozesse längst Standard sind.
Wenn der CEO nicht echt ist
Ein weiteres Einfallstor sind Social-Engineering-Angriffe durch synthetische Stimmen. Mit Deepfake-Audio lassen sich vertraute Personen imitieren – präzise genug, um in Callcentern Freigaben zu erschleichen oder interne Schutzmechanismen zu umgehen. Schon heute gibt es dokumentierte Fälle, in denen Kriminelle auf diese Weise Schadenssummen in Millionenhöhe erschlichen haben. Für Versicherer, die zunehmend auf Sprachsteuerung und biometrische Authentifizierung setzen, wird das zur neuen Achillesferse.
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Und die Gefahr wächst weiter. Denn Deepfake-Technologie wird nicht nur besser – sie wird auch einfacher zugänglich. Open-Source-Modelle, mobile Apps und leistungsfähige Cloud-Dienste machen die Erstellung manipulierter Inhalte zum Massenphänomen. Die Täter agieren oft anonym, grenzüberschreitend und mit hoher technischer Expertise. Die Versicherungsbranche steht damit vor einer digitalen Vertrauenskrise – und muss sich neu positionieren, um ihre Systeme, ihre Beweisführung und letztlich ihre Glaubwürdigkeit zu schützen.
Was jetzt notwendig ist
Die Bedrohung durch Deepfakes ist vielschichtig – und entsprechend komplex müssen die Gegenmaßnahmen sein. Munich Re und Ergo betonen in ihrem Tech Trend Radar 2025, dass es nicht nur um technische Erkennung, sondern um ein ganzheitliches Immunsystem für digitale Desinformation gehen muss. Dieses digitale Abwehrsystem muss auf mehreren Ebenen ansetzen – technologisch, organisatorisch und kommunikativ.
Technologie stärken: Erkennung, bevor der Schaden entsteht
„Fortschritte bei der Erkennungstechnologie“ gehören laut Trend Radar zu den zentralen Hoffnungsfeldern. KI-basierte Detektionssysteme, die Bilder, Videos und Stimmen analysieren, müssen zügig in Schadenprozesse integriert werden. Sie sind nötig, um etwa manipulierte Unfallszenen, gefälschte Brandvideos oder synthetische Schadendokumentationen frühzeitig zu entlarven. Entscheidend ist dabei: Die Systeme müssen nahezu fehlerfrei arbeiten – denn falsch-positive Ergebnisse können ebenso schädlich sein wie unerkannte Täuschungen.
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Besonders vielversprechend sind multimodale Fusionstechniken, die gleichzeitig Bild-, Ton- und Kontextinformationen auswerten. Sie ermöglichen eine präzisere Einschätzung der Echtheit – und lassen sich perspektivisch auch in Callcenter- oder App-Anwendungen einbinden.
Governance und Prozesse anpassen
Ein zentrales Problem liegt darin, dass Deepfakes nicht nur Einzelschäden ermöglichen, sondern ganze Geschäftsprozesse kompromittieren können. Wenn interne Prüfroutinen nicht auf synthetische Medien vorbereitet sind, drohen systematische Lücken – gerade im Massengeschäft. Versicherer müssen deshalb klare Verifizierungsrichtlinien entwickeln: Welche Beweise gelten als vertrauenswürdig? Wann ist eine manuelle Prüfung erforderlich? Und wie lässt sich Betrug systematisch dokumentieren?
Parallel braucht es ein starkes Compliance-Framework – nicht zuletzt, weil Versicherer auch regulatorisch haftbar gemacht werden können, wenn sie sich etwa auf manipulierte Identitäten stützen oder unzureichend gegen KI-basierten Betrug absichern.
Cyberversicherung im Fokus: Die Glaubwürdigkeitsfalle
Ein besonders heikles Feld ist die Cyberversicherung. Sie gilt als Wachstumsmarkt – doch mit der Verbreitung von Deepfakes droht sie zur Reputationsfalle zu werden. Denn Versicherer, die selbst Ziel oder Opfer von Desinformation werden, verlieren schnell an Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig steigt der Druck, Schäden durch Deepfakes bei versicherten Unternehmen korrekt zu bewerten – eine neue Risikoklasse, für die es bisher kaum etablierte Kriterien gibt. Die Branche muss also nicht nur die eigenen Systeme schützen, sondern auch ihre Rolle als Partner in der Absicherung digitaler Risiken neu denken.
Vertrauen braucht Allianzen
„Partnerschaften zwischen Regierungen, Tech-Unternehmen und Forschern können zu einheitlichen Strategien zur Bekämpfung digitaler Täuschung führen“, heißt es im Radar. Der Aufbau gemeinsamer Standards – etwa zur Authentifizierung von Inhalten oder zur Kennzeichnung synthetischer Medien – ist deshalb essenziell. Versicherer sollten sich hier nicht als Zaungäste begreifen, sondern als aktive Mitgestalter.
Aufklärung tut Not
Zugleich braucht es eine klare Kommunikation nach außen: Wie schützt sich der Versicherer? Wie werden Kunden im Verdachtsfall unterstützt? Wie sieht eine moderne Betrugsabwehr im digitalen Zeitalter konkret aus? Wer hier vage bleibt, riskiert Misstrauen. Gerade in einer Welt, in der synthetische Inhalte immer schwerer zu erkennen sind, wird Transparenz zur zentralen Währung des Vertrauens.
Versicherer sollten daher aktiv über Risiken aufklären – etwa durch Informationskampagnen, Warnhinweise bei neuen Betrugsmaschen oder Schulungsangebote für besonders gefährdete Kundengruppen wie Senioren oder Geschäftskunden. Auch auf Social Media, im Kundenportal oder im Vertrieb sollte das Thema adressiert werden: nicht alarmistisch, sondern lösungsorientiert. Denn nur wenn Kundinnen und Kunden wissen, worauf sie achten müssen – und wie ihr Versicherer reagiert, können sie digitale Täuschungsversuche erkennen, melden und vermeiden.
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Hintergrund: Der Beitrag basiert auf den Erkenntnissen des Tech Trend Radar 2025, einer jährlich erscheinenden Trendstudie von Munich Re und Ergo, die technologische Entwicklungen im Hinblick auf ihre Relevanz für die Versicherungsbranche bewertet. Das Thema Deepfake Defense wird im diesjährigen Radar erstmals als eigenständiger Trend im Cluster Cyber & Crypto geführt. Die Autoren beschreiben darin, wie KI-generierte Desinformation zu einem systemischen Risiko wird – und welche strategischen, technischen und kommunikativen Antworten erforderlich sind.
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