Die Ampelregierung streitet weiter über ein wichtiges Reformprojekt: das Generationenkapital, früher als „Aktienrente“ bekannt. Dieses soll für die Rentenversicherung einen zusätzlichen Kapitalstock schaffen, mit dem das Umlageverfahren entlastet werden soll: also das Prinzip, dass jeder eingenommene Euro sofort wieder ausgegeben wird - abgesehen von verpflichtenden Rücklagen. In einer alternden Gesellschaft, in der immer mehr Rentnerinnen und Rentner immer weniger Beitragszahlern gegenüber steht, gerät das Umlageverfahren unter Druck.

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Doch wie hoch soll dieser Kapitalstock sein? Anfang der Woche berichteten Medien, dass sich Bundesfinanz- und Arbeitsministerium darauf geeinigt haben, deutlich mehr Geld für das Generationenkapital in die Hand zu nehmen als ursprünglich geplant. Statt 10 Milliarden Euro sollen ab kommendem Jahr 12 Milliarden Euro an einen öffentlichen Fonds fließen, damit er das Geld gewinnbringend am Kapitalmarkt anlegen kann. Auch eine Dynamisierung ist vorgesehen: Die investierte Summe soll jedes Jahr um drei Prozent wachsen. Der Fonds soll zudem Eigenkapital erhalten, indem ihm der Bund bis 2018 15 Milliarden Euro an Vermögenswerten überschreibt. Davon versprechen sich beide Ressorts, dass bis zum Jahr 2035 ein Kapitalstock von 200 Milliarden Euro angespart werden kann.

"Fantasierenditen weit jenseits der Realität"

Widerstand gegen diese höhere Summe kommt nun aber von den Grünen. „Einmal abgesehen von schwerwiegenden rechtlichen Bedenken gegen die geplante Konstruktion, die durch den Koalitionsvertrag in keiner Weise gedeckt ist, kalkulieren die Pläne zum Aufbau einer Aktienrente mit Fantasierenditen weit jenseits der Realität“, sagt Frank Bsirske, Sprecher für Arbeit und Soziales der Grünen-Bundestagsfraktion, dem „Handelsblatt“. Dies gelte umso mehr, da der Bund zunächst die Zinsen für die Kredite erwirtschaften müsse, die er am Kapitalmarkt erwirtschafte.

Mit seiner Kritik spielt Bsirske, früher langjähriger Verdi-Chef und derzeit unter anderem Mitglied im Beirat der Deutschen Vermögensberatung (DVAG), auf zwei Umstände an. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will das Generationenkapital mit einem Darlehen des Bundes finanzieren, das einem öffentlichen Fonds übertragen wird. Entsprechend muss der Fonds auch die Zinskosten des Bundes erwirtschaften. Und ob dieses Finanzierungsmodell verfassungsgemäß ist, auch daran gibt es Zweifel. Ein von den Grünen beauftragtes Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags kommt zu dem Schluss, dass die Aktienrente gegen das Grundgesetz verstoßen könnte. Der Grund: Die Finanzierung auf Pump könnte einzig dem Zweck dienen, die Schuldenbremse zu umgehen. Denn das Generationenkapital dient allein der Finanzierung von Bundesaufgaben, für die eben jene Schuldenbremse greift.

Stark vereinfacht will sich der Bund bei der Finanzierung zunutze machen, dass er sich immer noch relativ günstig Geld leihen kann, wenn er Staatsanleihen ausgibt - und am Kapitalmarkt mit Aktien und Fonds weit höhere Renditen erzielt werden können, wenn man klug investiert. „Seit 1969 lagen die Renditen lang laufender Bundesanleihen im Durchschnitt wesentlich unterhalb der Erträge gängiger global-diversifizierter Aktienindizes. Diese Renditedifferenz ermöglicht es dem Bund, den Kapitalstock langfristig rentabel zu halten“, positioniert sich entsprechend das Bundesfinanzministerium gegenüber dem „Handelsblatt“. Das Magazin zitiert den Bonner Ökonomen Christian Bayer, wonach die Differenz zwischen den Zinskosten des Bundes und der erwarteten Rendite aus Aktienanlagen langfristig bei vier Prozent liege.

Gleiches Vorbild, andere Konzepte

Die Grünen standen dem Konzept der Aktienrente, mit dem die FDP in den Wahlkampf zog, von Anfang an kritisch gegenüber. Das ist insofern überraschend, weil die Partei mit der Idee eines Bürgerfonds im letzten Bundestagswahlkampf um Stimmen warb und damit das gleiche Vorbild hatte wie die Liberalen bei ihrer Aktienrente: den schwedischen Staatsfonds. In Schweden zahlen Beschäftigte verpflichtend 2,5 Prozent des Bruttogehalts in eine betriebliche Altersvorsorge ein und können hierbei zwischen dem populären Staatsfonds AP7 und 800 weiteren Anlageprodukten wählen.

Doch anders als die FDP wollten die Grünen den Bürgerfonds zum zentralen Instrument der privaten und betrieblichen Altersvorsorge machen, indem die Bürgerinnen und Bürger automatisch daran partizipieren, sofern sie nicht widersprechen. Die gesetzliche Rente wollte die Partei darüber hinaus stärken, indem sie an der Einnahmeseite schraubt: unter anderem sollten freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung unabhängig vom Alter möglich sein und mehr Menschen rentenpflichtig werden, etwa auch Selbständige. Nun aber treibt die Grünen die Angst um, die Beiträge der gesetzlich Rentenversicherten könnten an der Börse verzockt werden.

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Ähnliche Töne kommen aus der SPD, die das Projekt Generationenkapital zwar mitträgt, aber auch kritisch beäugt. Man stehe zu der Verabredung, mit einer kapitalgedeckten Säule die Finanzierungslasten der Beitragszahler zu reduzieren, zitiert das „Handelsblatt“ den arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann. „Und dann muss das Generationenkapital natürlich auch richtig gemacht werden und ein entsprechendes Volumen erreichen“, sagt Rosemann. Und weiter: „Ob das Konzept tragfähig ist, werden wir uns sehr genau anschauen.“ Hier schwingt Skepsis mit: Und die Ankündigung, notfalls korrigierend einzugreifen. Rosemann fordert eine Garantie, keine Beiträge der umlagefinanzierten Rentenversicherung in das Generationenkapital zu geben: „Hier muss es eine saubere Trennung geben“. Das Problem: Bundesfinanzminister Christian Lindner hat bereits deutlich gemacht, dass er auf lange Sicht auch Beitragsmittel für den Kapitalstock verwenden will.

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