Sind die Kosten der Lebensversicherer zu hoch und schmälern die Renditen übermäßig? In der vergangenen Woche hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) neue Wohlverhaltensregeln für die kapitalbildende Lebensversicherung vorgestellt, die auch Kostenexzesse eindämmen sollen. Eine aktuelle Analyse des Ludwigshafener Finanzwissenschaftlers Hermann Weinmann gibt den Kritikern der Branche nun neue Nahrung. Im Gegensatz zu anderen Analysen lenkt er den Blick jedoch nicht allein auf die direkten Vertriebskosten, also in der Regel Provisionen und Courtagen für die Vermittler. Er identifiziert weitere Kostenfaktoren, die sich nachteilig für die Kundinnen und Kunden auswirken können.

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Die Analyse von Weinmann wird am Montag in der „Zeitschrift für Versicherungswesen“ veröffentlicht, das „Handelsblatt“ berichtete vorab darüber. Das Kostenproblem beschränkt sich laut dem Wissenschaftler nicht allein auf die Provisionen. Vielmehr müssten alle Abschlusskosten einbezogen werden: zum Beispiel auch jene für die Antrags- und Risikoprüfung, für Werbung und die Schulung der Mitarbeiter. Eine der Kenngrößen, die diese Werte mit einfängt, ist die erweiterte Betriebskostenquote in den Geschäftszahlen der Lebensversicherer. Bei der Generali lag diese zum Beispiel bei 16,7 Prozent.

Erweiterte Betriebskostenquote bis zu 32,1 Prozent

Eine deutliche Unwucht bei den Kosten macht Weinmann aber bei mittelständischen Lebensversicherern bis 1,5 Milliarden Euro Bilanzsumme aus. Hier würden erweiterte Betriebskosten von bis zu 32,1 Prozent erreicht. Von 100 Euro Beitrag würden demnach 32,10 Euro für Kosten weggehen. Grundsätzlich beobachtet der Analyst eine sehr große Marktspreizung bei den Kosten. Der niedrigste Wert lag demnach bei einer Betriebskostenquote von 8,9 Prozent. Konkrete Namen der einzelnen Anbieter werden in der Studie vorerst nicht genannt, da noch nicht die aktuellen Daten für 2022 vorliegen - und es hierbei auch wegen des neuen Marktumfeldes noch zu Verschiebungen bei der Kostenstruktur kommen kann.

“Wenn von 100 Euro Prämie 10 Euro auf Betriebskosten entfallen, dann liegt diese Belastung der Gesamtkundschaft im Rahmen. Wenn aber der Anteil an der Prämie 23 Euro oder gar 32 Euro ausmacht, dann ist nach persönlicher Auffassung Maß und Mitte verloren gegangen. Diese Zahlen müssen den außenstehenden Beobachter und den Kunden erschrecken“, schreibt Hermann Weinmann in der Studie.

Deregulierung des Versicherungsmarktes 1994

Der Analyst setzt sich für eine strengere Regulierung bei den Kosten ein. Im Jahr 1994 war der Versicherungsmarkt in Deutschland dereguliert worden: Bis dahin mussten Versicherungsprodukte vorab vom damaligen Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) genehmigt werden. Das bedeutete auch, dass sich die Versicherer die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und die Tarife vorab freigeben lassen mussten. Mit der Reform erhielten die Versicherer freie Hand bei der Produktgestaltung. Die Folge war eine größere Produktvielfalt: aber auch eine neue Unübersichtlichkeit. Konkret wurden die Neuerungen im Dritten Durchführungsgesetz/EWG ergänzend zum Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) geregelt.

Mit dieser Reform sei die Kostendisziplin bei einigen Lebensversicherern verloren gegangen, bemängelt Weinmann. Die Deregulierung sei „eine der größten politischen Fehleinschätzungen in Sachen Wettbewerb“ gewesen, zitiert das Handelsblatt den Analysten. Das jetzige überarbeitete Merkblatt der BaFin sieht Weinmann nicht als geeignet an, die Kostenexzesse bei einigen Anbietern einzudämmen. Es sei eine „drittklassige Lösung“. Statt eines Kostendeckels bei den Vertriebskosten - wie ursprünglich geplant - bleibe jetzt nur die Möglichkeit, die Anbieter mit zu hohen Kosten im Nachhinein herauszufiltern und zum Umdenken zu bewegen.

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Kundinnen und Kunden könnten anhand der ausgewiesenen Effektivkosten oft nicht erkennen, welche Kosten für eine Versicherung wirklich anfallen, bemängelt Weinmann weiter: Dies setze Expertenwissen voraus. Und bei Fondspolicen würden die bereitgestellten Rechenbeispiele der Versicherer, mit denen zukünftige Leistungen ausgewiesen werden, eine so große Spannbreite aufweisen, dass ein sinnvoller Vergleich zwischen Produkten nicht möglich sei: und damit auch keine aussagekräftige Vorsorgeplanung.

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