Wird über Pflege diskutiert, konzentriert sich die Debatte häufig auf die vollstationäre Pflege im Heim. Dort explodieren die Eigenbeiträge seit Jahren, es fehlt an Personal. Doch dies bildet nur einen kleinen Ausschnitt der Pflegelandschaft ab. Das Gros der Pflegebedürftigen wird demnach zuhause betreut, oft von Angehörigen. Und ihre Zahl nimmt weiter zu.

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Im Jahr 2021 erhielten demnach 4,6 Millionen gesetzlich Versicherte Leistungen von ihrer Pflegekasse, weil sie in den eigenen vier Wänden betreut wurden. Im Jahr zuvor waren es noch 4,3 Millionen. Dem entgegen stagniert die Zahl der Menschen in Pflegeheimen bei 20 Prozent der Menschen, die eine Pflegestufe oder einen Pflegegrad zugesprochen bekamen. Vier von fünf Pflegebedürftigen werden nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes zuhause versorgt.

Dies war Anlass für die DAK Gesundheit, in ihrem aktuellen Pflegereport 2022 genauer hinzuschauen, wie sich die Pflege zuhause gestaltet - und welche Hindernisse es hier gibt. Die Ergebnisse sind zum Teil ernüchternd. Viele Menschen nehmen Hilfe, die ihnen zusteht, nicht in Anspruch. Oft aus Unwissenheit, aber auch, weil die bürokratischen Hürden hoch sind und es an den notwendigen Strukturen mangelt.

„Pflegende Angehörige sind das Rückgrat der Pflege in Deutschland. Deshalb müssen wir sie entlasten“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. „Die allermeisten Pflegebedürftigen möchten weiter zu Hause wohnen. Ihre Angehörigen möchten ihnen das ermöglichen, aber es belastet sie gesundheitlich, finanziell und emotional. Sie brauchen mehr Unterstützung.“ Der gesamte Pflegereport kann kostenfrei auf der Webseite der DAK heruntergeladen werden.

Pflegemix ist bei häuslicher Pflege die Regel

Der DAK-Pflegereport setzt sich aus drei Teilen zusammen. Zunächst hat die Krankenkasse eigene Abrechnungsdaten ausgewertet. Eine repräsentative Allensbach-Umfrage unter 5.486 Personen im Juli 2022 sollte Erfahrungen mit häuslicher Pflege und Einstellungen hierzu ermitteln. Ergänzt wurde dies um qualitative Interviews, um jene zu befragen, die aktuell mit der Pflege Angehöriger betraut sind.

Laut Umfrage haben 43 Prozent der Bevölkerung bereits Erfahrung mit der Pflege von Angehörigen, 15 Prozent der Bevölkerung sind derzeit damit befasst. „Die Deutschen sind pflegeerfahren und pflegebereit. Diese Bereitschaft ist über die Jahre erstaunlich stabil“, fasst Studienleiter Klie zusammen. „Ob ein Leben trotz Pflegebedürftigkeit im eigenen Zuhause gelingt, hängt für die Pflegebedürftigen und ihre pflegenden Angehörigen von den Bedingungen vor Ort ab.“

Pflege gelinge am ehesten „in einem gut ausbalancierten Hilfemix und der Verteilung der Verantwortung für die Pflege auf mehreren Schultern“, heißt es in dem Report. 79 Prozent der Befragten mit Pflegeerfahrung gaben an, dass Angehörige die Sorge- und Pflegeaufgaben übernommen haben. Bei immerhin 23 Prozent beteiligten sich auch Freunde an der Pflege. Und 66 Prozent der Pflegeerfahrenen haben professionelle Formen der Unterstützung hinzugezogen: Pflegedienst, Haushaltshilfe oder 24-Stunden-Kraft. Das gilt auch dann, wenn sie Pflegegeld erhalten haben.

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Immerhin 55 Prozent der pflegeerfahrenen Befragten berichten, dass sie Pflegedienste einbezogen haben, häufig als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, 54 Prozent hatten eine Haushaltshilfe beteiligt, immerhin 12 Prozent sogenannte Live-Ins: also eine 24-Stunden-Betreuung. Inwiefern solche Angebote genutzt werden, ist dabei auch abhängig von der sozialen Schicht: Menschen aus höheren Schichten nutzen professionelle Dienste weit häufiger, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage.

Anrecht auf Pflegeleistungen häufig nicht bekannt

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist jedoch, dass viele Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen gar nicht wissen, auf welche Leistungen sie gesetzlich Anspruch haben. Immerhin 67 Prozent der Befragten gaben an, dass sie manches von dem, was die Pflegeversicherung an Unterstützungs- und Leistungsangeboten vorhält, nicht gekannt haben – vor der Befragung, in der alle Angebote aufgelistet waren. Nach der Umfrage waren sie zumindest grob informiert.

Dass Hilfsangebote nicht genutzt werden, kann mehrere Gründe haben, berichtet die DAK. Fehlendes Wissen ist eine wesentliche Ursache. Hinzu gesellen sich aber auch bürokratische Barrieren - sowie die Tatsache, dass es vielfach schlicht an der notwendigen Infrastruktur vor Ort fehle. Ambulante Dienste stehen zum Beispiel nicht überall im gleichen Umfang zur Verfügung. „Dass Pflegedienste nicht leicht verfügbar sind, das ist eine eher dominante Einschätzung der Pflegeerfahrenen“, ist eine bittere Erkenntnis aus dem Report.

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Auf die Frage, „was wird/wurde nicht genutzt, obwohl es hilfreich gewesen wäre?“, nannten laut Allensbach-Umfrage 40 Prozent der Personen mit Einblick in die Pflege eine mögliche „Beratung zur Pflege“, während jene, die aktuell mit Pflegeaufgaben betraut sind, gar zu 41 Prozent zustimmen. „Urlaubsmöglichkeiten für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen“ landet auf Rang zwei der nicht genutzten Hilfsangebote: Hier stimmen 39 Prozent der Pflege-Erfahrenen und sogar 43 Prozent der aktuell Pflegenden zu, diese nicht in Anspruch genommen zu haben, obwohl dies hilfreich gewesen wäre. Auf eine „Haushaltshilfe“ verzichteten 37 Prozent der Pflege-Erfahrenen und sogar 41 Prozent der aktuell Pflegenden (siehe Grafik).

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Personen mit Einblick in die Pflege, Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 9207 (2022)DAK Pflegereport 2022 / Allensbach

Auch andere wichtige Unterstützungsleistungen wurden nicht genutzt, obwohl sie hilfreich gewesen wären. So hat fast jeder Vierte auf einen Pflegedienst oder auf Kurzzeitpflege verzichtet. Etwa jeder Neunte immerhin noch auf eine Unterbringen des Bedürftigen im Pflegeheim.

Mehr Unterstützung gefordert

Aus Sicht von DAK-Kassenchef Storm zeigt der DAK-Pflegereport 2022, dass die Politik pflegende Angehörige in zwei Schritten unterstützen müsse. Kurzfristig gehe es um eine finanzielle Entlastung, mittelfristig müssten aber auch die Unterstützungsstrukturen vor Ort verbessert werden.

„Gerade in Zeiten steigender Kosten durch sich überlagernde Krisen geht es zunächst um eine Reduzierung der finanziellen Belastungen“, sagt Storm. Die letzte Anpassung des Pflegegeldes erfolgte zum 1. Januar 2017. Gesetzlich vorgesehen ist, dass regelhaft alle drei Jahre eine Überprüfung der Leistungen auf Grundlage der kumulierten Preisentwicklung erfolgt. Dieser Dreijahresrhythmus sei bei derart schnell steigenden Preisen nicht mehr zeitgemäß: „Die DAK-Gesundheit fordert hier eine zeitnahe und spürbare Erhöhung des Pflegegelds – das sollten nicht weniger als zehn Prozent sein“, so Storm.

Die gesammelten Daten würden die Notwendigkeit unterstreichen, die in der Koalitionsvereinbarung angedachte Zusammenfassung der Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem Entlastungsbudget schnell auf den Weg zu bringen. „Hierdurch können pflegende Angehörige nicht nur entlastet werden, diese Budgetierung ermöglicht ihnen auch individuellere Lösungen. Die Betroffenen können mögliche Engpässe aufgrund eigener Abwesenheit oder Krankheit besser organisieren“, heißt es in einem Pressetext der DAK.

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Doch notwendig seien umfassendere Reformen im Pflegesystem. Deren Ziel müsse eine faire Lastenverteilung zwischen Beitrags- und Steuerzahlenden sowie Pflegebedürftigen sein, so Storm: „Gerade für die Stärkung der ambulanten Pflege gilt: Eine Erhöhung und regelhafte Dynamisierung des Pflegegelds sowie die Einführung des Entlastungsbudgets lassen sich nur verwirklichen, wenn es gelingt, die Finanzierung der Pflegeversicherung zukunftsfest weiterzuentwickeln.“

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