Wer sich aktuell die Online-Bewertungen des Lebensversicherers Proxalto im Internet anschaut, findet viel kritisches Feedback. Bei Google haben die Hamburger eine Bewertung von 1,9 von fünf möglichen Sternen bei knapp 200 Bewertungen: das ist negativ. Noch verheerender sieht die Bilanz bei „Trustpilot“ aus. Hier sammelt der Bestandsabwickler 89 Prozent Stimmen, die ein „ungenügend“ vergeben: die schlechteste aller möglichen Noten. So lautetet auch -Stand 8. August 2022- die Gesamtnote: ungenügend.

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Damit kann sich ein Anbieter nicht zufrieden geben, der auf seiner Webseite mit seinem guten Service wirbt. Im Gegensatz zu „klassischen“ Lebensversicherungsunternehmen betreibe die Proxalto AG kein Neugeschäft mehr und „kann sich deshalb zu 100 Prozent auf die Belange ihrer bestehenden Kunden konzentrieren“, heißt es da zum Beispiel. Man beansprucht Effizienz für sich, von der die Kunden profitieren würden. Die Online-Bewertungen stehen im Kontrast zu diesem Selbstanspruch.

Probleme bei Zahlungen?

Warum viele Kundinnen und Kunden unzufrieden sind, dafür will nun das „Handelsblatt“ eine Antwort gefunden haben. Demnach habe Proxalto Probleme, Renten und Gelder auszuzahlen, wenn eine Lebensversicherung abgelaufen ist oder gekündigt wurde. Auch das Wirtschaftsmagazin bezieht sich vor allem auf Feedback zu Proxalto bei Bewertungsportalen. Dort würden sich vermehrt Betroffene über ausbleibende Gelder beschweren.

Bei „Trustpilot“ schreibt unter anderem ein User mit Namen „frusted“: „Zahlt nicht aus! Fällige Auszahlung der LV ist seit fünf Wochen überfällig. Keine Rückmeldung auf Mails, keine telefonische Erreichbarkeit.“ Ein anderer User beschwert sich über „unfassbar miesen Kundendienst“. Auf Anfragen habe es nie eine Antwort gegeben, bei telefonischer Kontaktaufnahme nur mürrische und schlecht gelaunte Auskünfte. Auch er wartet auf eine Auszahlung - und bemängelt eine „monatelange Verzögerungstaktik“.

Ein möglicher schlechter Ruf könnte auch die Generali in Erklärungsnot bringen. Deren deutsche Tochter hat im Jahr 2019 rund vier Millionen alte Verträge an den britischen Bestandsabwickler Viridium verkauft, damit sie dort betreut werden. Die Generali hat damit die eigene Bilanz von hochverzinsten Policen befreit, die Eigenkapital banden und die Bilanz belastet haben.

Um den Deal abzuwickeln, wurde extra eine eigene Gesellschaft gegründet: eben Proxalto. Während die ausgelagerten Betriebsrenten weiterhin von der Generali betreut werden, wurden rund drei Millionen private Altersvorsorge-Verträge an Proxalto übergeben. Aktuell sind nach „Handelsblatt“-Informationen noch etwa 2,2 Millionen Verträge im Portfolio.

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Proxalto beruft sich auf Einzelfälle

Proxalto weist jedoch von sich, dass es sich um ein größeres Problem handle - lediglich Einzelfälle seien von den verzögerten Zahlungen betroffen. Ein Pressesprecher positioniert sich: „Per Ende Juli war bei der Proxalto eine niedrige dreistellige Zahl an Fällen mit Wirksamkeitsdatum Juli anhängig, in denen es zu Verzögerungen bei Auszahlungen nach Abläufen kommt. Wir bedauern jeden Einzelfall und setzen alles daran, jeden Geschäftsvorfall in kürzester Zeit abzuschließen. Dabei stellen wir sicher, dass Kunden keine finanziellen Nachteile entstehen“.

"größte und komplexeste Initiative der Branche"

Für die Verzögerungen bei den Zahlungen geben die Hansestädter zwei Gründe an: zum einen setze Proxalto „eine tiefgreifende Modernisierung der IT-Systeme um“. Dabei könne es „in Einzelfällen zu temporären Unterbrechungen bei Geschäftsvorfällen kommen. Es handelt sich dabei um technisch bedingte Begleiterscheinungen einer notwendigen Modernisierung, die einzelne Kunden zeitweise als Beeinträchtigung der Servicequalität wahrnehmen“. Doch der Kunde profitiere auch davon, weil Kosten eingespart werden. Dies würden die „signifikant um 71 Prozent gestiegenen zugeteilten Überschüsse belegen“.

Als zweiten Grund nennt der Versicherer gestiegene Regulierungsvorgaben, ohne konkret zu benennen, welche. Im Pressestatement heißt es: „Wie bei allen Versicherungen können Auszahlungen nur durchgeführt werden, wenn alle erforderlichen Unterlagen in korrekter Form vorliegen und die vorgeschriebenen Prüfungen abgeschlossen sind. Das sind völlig normale Vorgänge, die bei allen Lebensversicherungen gelten. Hier beobachten wir zum Teil einen höheren Zeitbedarf, da zum Beispiel die Dokumentationspflichten angestiegen sind“. Doch auch diesbezüglich gibt es Kundenbeschwerden bei den Bewertungsportalen. Bereits eingereichte Unterlagen seien angeblich verschlampt worden, klagt etwa eine "Maria Huml".

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"Größte und komplexeste Initiative der Branche"

Viridium habe als Eigentümerin binnen 38 Monaten rund 250 Millionen Euro in Modernisierungsarbeiten investiert und trage die Kostenlast komplett selbst, heißt es weiter im Statement von Proxalto. Die Migration der insgesamt 2,2 Millionen Verträge sei "nach unserem Wissensstand die größte und komplexeste IT-Initiative, die in der Branche bislang durchgeführt wurde. Dabei wurden rund 400 Millionen Archivdokumente und mehr als 800 Tarife betrachtet sowie mehr als 100 Dokumenttypen überführt". Diese Zahlen würden die Dimension der technischen Herausforderung verdeutlichen.

Ein Teil des Pressestatements von Proxalto kann als Schlagseite gegen die gesamte Leben-Branche gesehen werden: und indirekt auch gegen die "alte" Generali. Denn der Versicherer schreibt: "Modernisierungen wie diese sind unumgänglich. Die Prozesse und IT-Plattformen vieler Lebensversicherungsbestände in Deutschland sind veraltet und sanierungsbedürftig. Dies treibt die Kosten zu Lasten der Versicherten in die Höhe. Dadurch sind die legitimen, langfristigen Ansprüche der Versicherten gefährdet". Wesentliche Teile der Branche hätten diese überfälligen Investitions- und Modernisierungsprojekte noch vor sich.

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Die Kritik könnte auch die Debatte über externe Run-offs neu entfachen. Eigentlich ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zuständig im Vorfeld zu prüfen, dass bei derartigen Transaktionen dem Kunden keine Nachteile entstehen. Wiederholt musste sich die Behörde in der Vergangenheit den Vorwurf gefallen lassen, zu lasch zu regulieren: etwa mit Blick auf den Wirecard-Skandal. BaFin-Chef Mark Branson hatte mehrfach angekündigt, hier künftig strenger hinsehen zu wollen.

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