Das Allianz Risk Barometer 2022 führt Cybervorfälle, Reputationsverlust sowie Korruption, Diebstahl und Betrug unter den Top 10-Geschäftsrisiken für Unternehmen weltweit. In diesem Risiko-Dreieck bewegen sich Markenrechtsverletzungen und Produktfälschungen, doch die direkten Konsequenzen wie Umsatz- und Imageeinbußen durch Plagiate und Brand Abuse werden in heutigen Risikobetrachtungen vieler Firmen weiterhin ausgeblendet. In Zeiten, in denen Onlinehandel mit Konsum- und Industriegütern dominiert und klassische Distributionskanäle sukzessive ablöst, sollte ein transparenter Umgang mit diesen Risiken bei internen Prozessen größeren Stellenwert erreichen.

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Original oder Fälschung

Pantaleon Delgado Rodriguez ist geschäftsführender Gesellschafter der PDAA Solutions & Services GmbH Verkaufen Hersteller ihre Produkte online, so ist mit jeder Präsenz der Anspruch impliziert, die Kontrolle über Art und Produktauswahl zu behalten. Doch die Realität weicht von diesem Anspruch stark ab: Die Flut an Marktplätzen und Kanälen erschwert Kontrollen am digitalen Point-of-Sale und erlaubt es Betrügern, gefälschte Produkte einem breiten Publikum als “Original” zu verkaufen. Dies geschieht mit oftmals katastrophalen Folgen für den Markenhersteller, den Verbraucher und die Handelsplattform. Beispielsweise, wenn das vermeintlich originale Ersatzteil in der Maschine einen Schaden verursacht, der die Produktion lahmlegt. Wer haftet nun? Muss der Hersteller der Maschine die Beweislast antreten, dass hier kein Originalersatzteil verbaut wurde? Zu welchem Urteil kommt der Gutachter der Versicherung? Markenrechtsverletzungen gewinnen an Relevanz und müssen adäquat im Risikomanagement der Unternehmen berücksichtigt werden.

Produktpiraterie und Brand Abuse betreffen schon lange nicht mehr ausschließlich Konsumgüter, sondern nahezu jedes Unternehmen mit gewissem Marktanteil. Vom Automobilzulieferer über Banken und Versicherungen (zum Beispiel im Rahmen von Phishing Attacken) bis hin zum Lebensmittelhersteller. Vor allem Unternehmen, die den sogenannten Aftermarket bespielen, fehlt die Übersicht, welche Teile in welchem Ausmaß durch Fälschungen betroffen sind. Mangelnde Transparenz führt zu unternehmerischen Fehleinschätzungen des Risikos. Hier greift folgende Annahme: Sobald ein Produkt am Markt gefragt ist, existiert ein wirtschaftliches Interesse, dieses zu kopieren.

Produktion betrachten

Nicole Jasmin Hofmann ist CEO und Co-Gründerin der Sentryc GmbH aus Berlin.Folgerichtig sollten Hersteller beginnen, ihre Produktionsprozesse, Lieferketten und Absatzwege zunehmend auch mit Blick auf die Prävention von Produktfälschungen hin zu optimieren. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten technischer, mechanischer und prozessualer Natur, um Fälschungen zumindest zu erschweren. Die Palette der Methoden reicht von der Verteilung der Fertigungsschritte auf unterschiedliche Produktionsstätten und Kontrolle der Endmontage, über sogenannte Technical Protection Measures bei technischen Geräten, Seriennummern und eindeutigen Identifikationsmerkmalen wie Wasserzeichen bis hin zur KI-gestützten Überwachung der Handelsplätze und Absatzmärkte.

Risiko durch Monitoring aktiv managen

Die Überwachung von Produktion und Lieferketten löst das Problem gefälschter Produkte jedoch nicht alleine. Das Risiko durch Produktfälschungen muss fortlaufend aktiv gemanagt werden. Hier liegt der Schlüssel zum Erfolg in größtmöglicher Transparenz.

Unternehmen gewinnen Transparenz zum Beispiel, indem sie über Software-Tools monitoren, auf welchen Online-Plattformen die Produkte zum Verkauf angeboten werden. Spezialsoftware, die mit künstlicher Intelligenz und Machine-Learning-Algorithmen arbeitet, erkennt schnell, auf welchen Marktplätzen Plagiate im Umlauf sind und meldet dies an die Markeneigentümer. Sobald diese den Fund als Fälschung bestätigen, können die Plagiate oft innerhalb der nächsten 48 Stunden vom Internet-Marktplatz entfernt werden. Vermehrt findet auch ein Umdenken bei den Handelsplattformen statt und führt zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Herstellern, damit diesen ein Identifizieren und Entfernen von Fälschungen erleichtert wird. Die Monitoring-Last obliegt dabei allerdings oft noch dem Hersteller des Originals.

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Klar ist, ohne aktives und fortlaufendes Risikomanagement werden auch die besten Prozesse, die besten Lieferketten und der beste Produktschutz mit der Zeit angreifbar. Wie sieht es also mit der Zusammenarbeit zwischen Versicherungen und Herstellern im Bereich Produktfälschungen aus?

im Schadensfall

Bleiben wir beim Eingangsbeispiel aus dem Maschinenbau: Wer tritt im Schadensfall ein, wenn ein Fake-Ersatzteil in eine Maschine verbaut wird und den Ausfall der Maschine oder gar ganzen Produktionsstraße herbeiführt? War das verbaute Teil kein Originalprodukt, dann tritt kein Versicherungsfall ein und das Unternehmen steht höchstwahrscheinlich ohne Schutz da. In einem schlechten Szenario verbergen sich hier mehrere Schadensfälle in einem: Schaden an der Reputation, die Beweislast, steigende Beiträge bei Wiederholungen, sollte doch Versicherungsschutz bestehen und verunsicherte, unzufriedene Kund*innen, die selbst das Originalteil nicht mehr kaufen würden.

Bei allem Schaden kann der Hersteller des Original-Ersatzteils punkten, wenn er nachweisen kann, dass er geeignete Präventionsmaßnahmen installiert hatte, um solche Fälle zu vermeiden. Im Bereich Sorgfaltspflicht steigt mit Zunahme von Plagiaten die Wahrscheinlichkeit, dass Originalmarken nachweisen müssen, alle erforderlichen Kontrollen und Werkzeuge zu nutzen, um Betrug zu vermeiden und Kunden zu schützen. Diese Maßnahmen variieren von Branche zu Branche und reichen von Merkmallisten für den Zoll über Zoll-Schulungen bis hin zu Software für Monitoring und Entfernung von Plagiaten von Online-Plattformen.

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Firewall gegen Fakes

Auch Versicherer sollten sich auf das Thema einstellen. Fälschungen und ihre Konsequenzen für Geschädigte werden, wenn man dieser Argumentation folgt, zukünftig bei Gutachten zu Schadensfällen zunehmend eine Rolle spielen. Hat das Unternehmen in puncto Schutzmaßnahmen und Sorgfaltspflicht alles unternommen, um die Verbreitung von Fakes zu unterbinden? Wird aktives Risikomanagement und die Installation von Präventionsmaßnahmen von Versicherern kritisch nachgefragt? Ähnlich, wie Unternehmen bei Abschluss einer Cyberrisikoversicherung offenlegen, welche Schutzmaßnahmen sie ergriffen haben, werden sie aller Voraussicht nach zukünftig auch Vorsichtsmaßnahmen gegen Produktpiraterie vorstellen. Es gilt in den aktiven Diskurs zu treten und gemeinsam Prozesse und Maßnahmen zu etablieren, um Risiken von Produktfälschungen zu minimieren. Damit im Schadensfall kein redlicher Akteur, weder Hersteller, noch Handelsplattform, noch Versicherer im Regen steht.

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  • Warum Risikomanagement Markenrechtsverletzungen künftig mitdenken muss
  • im Schadensfall

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