Ist das noch ein Trend oder schon eine Binsenweisheit? „Kundenzentrierung“ oder „Kundenorientierte Produkte und Prozesse“ sind mindestens seit Beginn der 2000er-Jahre Bestandteil so gut wie jeder Strategie in der Versicherungsbranche. Trotzdem erfährt die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Versicherten derzeit eine Relevanz wie kaum zuvor.

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Kein Wunder, denn die Kunden, Sie, ich, wir alle, haben – anders als vor 20 Jahren – viel besser erkannt, dass wir es sind, nach denen sich die Versicherungsunternehmen ausrichten müssen. In der Folge wandeln sich Services und Produkte schneller und werden öfter denn je immer wieder auf neue Ziele, Wünsche und Bedürfnisse ausgerichtet. Kein alter Hut also, sondern wieder gekommen, um zu bleiben. Doch die Umsetzung hakt oft noch.

Markus ZimmermannMarkus Zimmermann... ist Leiter Strategieberatung Versicherungen bei Accenture (DACH).www.accenture.com

Denn dieser von den Unternehmen angestrebte Wandel von intern getriebener Produktentwicklung hin zum konsequent nutzerzentrierten Servicedesign stößt in der Praxis vieler Organisationen immer noch an Grenzen – und zwar hinsichtlich der dafür benötigten Skills sowie vor allem dem dafür notwendigen gelebten Mindset. Und das, obwohl bereits zahlreiche externe Trends und weitere Treiber den Druck auf die Versicherungsindustrie kontinuierlich verstärkt haben und sie quasi dazu gezwungen wurde, ihre Geschäfts-, Vertriebs- und Servicemodelle auf die Anforderungen echter Kundenorientierung auszurichten.

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Nutzerzentrierung – Keine Frage des „ob“

Die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung sind vielfältig, aber man kann sie auf fünf wichtige Faktoren eingrenzen:

  1. Die Kunden haben in anderen Bereichen bereits erfahren, dass man sich um sie „kümmert“. Die positive Resonanz, die ihnen in anderen Branchen in Form von individuellen und relevanten Services und Produkten entgegengebracht wird, wünschen sie sich auch aktiv von ihrer Versicherung. Vielmehr erwarten sie es sogar und werden sich denjenigen Unternehmen zuwenden, die ihre Erwartungen bestmöglich erfüllen.
  2. Die Selbstverständlichkeit des Einsatzes digitaler Medien und Kanäle in Bezug auf Informationen, Käufe und Servicebedürfnisse quer über alle Produkt- und Servicesegmente hinweg. Kunden erwarten, dass ihr gestiegener Informationsbedarf erfüllt wird. Ein Schriftstück sechs Tage nach Vertragsabschluss per Post zu erhalten, auf dem man etwas unterschreiben und es im Anschluss eigenständig zurückschicken muss, kann nicht wirklich akzeptiert werden.
  3. Die Veränderung des Kundenverhaltens insbesondere bei der jüngeren Generation – Stichwort Millennials und Generation Z. Hier unterscheiden sich die Kundenerwartungen schon jetzt sehr von denen früherer Generationen, und sie entwickeln sich ständig weiter. Ein Status quo ist so immer nur kurzzeitig zu erreichen und zu halten. Er birgt hinsichtlich der Customer Journey aber auch enormes Geschäftspotenzial: Denn die junge Generation besteht zwar auf relevante Services à la Amazon & Co., sie gehen aber auch anders mit Daten um, sind bereitwilliger, diese mit Unternehmen zu teilen, wenn sie im Gegenzug dafür Vorteile erhalten.
  4. Das Verschwimmen „alter“ Industriegrenzen durch die Evolution von Ökosystemen und Plattformen mit einer Fülle an Playern rund um bestimmte Lebenswelten. „Heute kümmere ich mich mal nur um meine Versicherungen“ wird so nicht mehr stattfinden. Die Kunden werden sich situationsbezogen und am Rande mit dem Thema „Absicherung“ befassen. Beim Hauskauf, der Geburt, im E-Bike-Laden oder bei der Urlaubsbuchung. In diesen Situationen müssen Versicherungen mit ihren Services und Produkten andocken und sich nahtlos in die Prozesse der relevanten Ökosystempartner einfügen.
  5. Und nicht zuletzt natürlich die Erfahrungen aus den Pandemiejahren, die für viele Umbrüche in der Kundeninteraktion wie ein Katalysator und Beschleuniger wirkte. Alle bisher genannten Trends erfuhren durch Corona innerhalb kürzester Zeit bei den Kunden viel mehr Beachtung und etablierten sich in ihrem Verhalten. Der Veränderungsdruck stieg damit extrem schnell an – und tut es nach wie vor.

Zum erlebbaren Lösungsmanager werden

Was heißt das nun für die Branche? Wie müssen Versicherungsunternehmen reagieren, um ihre Kunden mit all ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen und die Kundenerfahrung zu verbessern?

Die Antwort ist so einfach wie kompliziert in der Umsetzung: Der Wert von Versicherungslösungen muss für die Versicherten noch viel spürbarer werden. Der Versicherer muss vom wahrgenommenen versicherungstechnischen „Bezahler“ zum erlebbaren „Lösungsmanager“ werden. Um diesen Switch zu erreichen, ist es in erster Linie wichtig zu wissen, was der Nutzer möchte: Hier müssen also Kundenbefragungen, iterative Vertestungen und eine aus Nutzerfeedbacks resultierende stetige Weiterentwicklung oberstes Gebot sein.

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Außerdem müssen sich Versicherungsunternehmen mit weiteren Organisationen in Ökosystemen verknüpfen und ihre Angebote logisch in andere Prozesse einbetten, um den Kunden immer dort abzuholen, wo er aktuell steht – ohne passiv auf ihn zu warten. Schnelle Reaktionen im Schadenfall sind hier genauso wichtig wie ein bequemer Abschluss z.B. beim Autokauf. Agile Arbeitsweisen und eine direkte Verzahnung von Produkt, Prozess und IT sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Am besten funktioniert das mit dem konsequenten Einsatz digitaler Technologien.

Alles vom Kunden her ableiten – Customer Journeys konsequent durchdesignen

Damit der Kunde während der gesamten Customer Journey abgeholt wird und sich nicht nach Alternativen umschauen muss, sollten sich Versicherungsunternehmen daher stärker in die Lage ihrer Zielgruppen versetzen – und entsprechend Prozesse, Produkte und Dienstleistungen designen. Das Nebeneinander von digitaler und persönlicher Kundeninteraktion muss dabei zu einem integrierten und selbstverständlichen Miteinander werden. Dabei muss beachtet werden, dass man mit dem Einsatz der richtigen Technologie, die für Kunden lästige oder gar ärgerlichen Passagen der Kundenreise auf ein Minimum reduziert – oder diese sogar komplett eliminiert. Beispielsweise ist es für Kunden zur Selbstverständlichkeit geworden, selbst zu entscheiden, wo und wie sie mit ihrem Versicherer in Kontakt treten wollen. Aus Kundensicht gibt es in der Regel auch keine Differenzierung von unterschiedlichen Zuständigkeiten entlang seines akuten Anliegens. Dieses soll möglichst einfach und schnell erledigt werden – ohne Rücksicht auf interne Prozesskomplexitäten des Versicherers oder seiner Partner.

Viele Versicherer haben daher in den letzten Jahren bereits intensiv an dem Redesign ihrer Customer Journeys gearbeitet und interne Komplexität aus den Kundenprozessen eliminiert. Dieser Weg ist aber bei Weitem nicht zu Ende: Konsequente Kundenorientierung bedeutet die stetige Weiterentwicklung jeder einzelnen dieser Kundenreisen – egal ob in Vertrieb, Betrieb oder Schaden. Dazu gehört die fortschreitende technologische Integration angrenzender Leistungen und Partner im Sinne der Service- und Ökosystemstrategie eines Versicherers. Ebenso muss die nahtlose Integration von digitalen Touchpoints und persönlichen Ansprechpartnern im Vertrieb zur Selbstverständlichkeit werden. Je nahtloser Kundenbedarf, Kontaktaufnahme und Lösungsbereitstellung digital ineinander übergehen, umso besser für Kunde und Versicherer.

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Das übergreifende Motto muss lauten: „Digital aber persönlich“: So hat die Versicherungswirtschaft die Chance, durchgängige Customer Journeys zu leben und auch heterogenen Erwartungen unterschiedlicher Kundensegmente und Lebenssituationen gerecht zu werden. Zugleich gilt es, bewusster als bislang zu definieren, welche Rolle ein Versicherer in künftig relevanten Ökosystemen (Gesundheit, Zuhause, Mobilität, Gewerbe, etc.) spielen will, um nicht in ein paar Jahren zum reinen „Coverage-Zulieferer“ ohne direkte Kundenschnittstelle und Visibilität zu werden. Noch haben es die Versicherer selbst in der Hand, für Ihre Kundinnen und Kunden relevant und erlebbar zu bleiben!

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