Vorausgesetzt werden muss: Damit Versicherer ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden dauerhaft erfüllen können, schreibt das Solvency-Aufsichtsregime vor, auch für wirtschaftlich schwere Zeiten genügend Eigenmittel als Polster vorzuhalten. Zentral hierfür sind die Solvenzquoten (SCR-Quoten). Für diese Quoten ist nicht der „Normalbetrieb“ relevant, sondern die Simulation eines wirtschaftlichen Extrem-Ereignisses, das alle 200 Jahre auftritt.

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Erreicht ein Versicherer eine Quote von mindestens 100 Prozent, hat er genügend Eigenmittel, um eine solche Situation zu stemmen.

Bis 2031 waltet noch Milde

Deutsche Versicherer sind seit 2016 in der Beweispflicht: Deadline für die ersten Berichte zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) war der 22. Mai 2017. Von da ab müssen Unternehmen jährlich ihre Berichte an die BaFin liefern. Allerdings erleichtern bis Ende 2031 noch verschiedene Übergangsmaßnahmen die Anforderung:

  • Paragraf 82 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) ermöglicht die Volatilitätsanpassung (VA): Sie erhöht die SCR-Quote der Unternehmen 2021 um durchschnittlich 19,9 Prozent.
  • Paragraf 351 VAG ermöglicht eine Maßnahme für risikofreie Zinssätze – diese wurde bisher aber nur wenig genutzt (2020 von der Credit Life und der WWK).
  • Und Paragraf 352 VAG ermöglicht Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen (Ü). Hierbei handelt es sich um die wirkungsvollsten Hilfen: Sie erhöhen die Quoten 2021 um durchschnittlich 191,7 Prozentpunkte.

Aufgrund dieser Hilfsmaßnahmen können aufsichtsrechtlich drei Quoten unterschieden werden:

  • Netto- oder SCR-Quote: ist jene Quote, die ein Versicherer ohne Übergangshilfen und Volatilitätsanpassung errechnet.
  • Bruttoquote: In der Übergangszeit bis 2031 ist allerdings die Bruttoquote für die BaFin relevant – das ist die Quote, in die alle Maßnahmen (VA, Zinsmaßnahme, Ü) eingeflossen sind. Wie groß der Unterschied zur Nettoquote sein kann, veranschaulicht 2021 die PB Lebensversicherung AG – sie hat eine Nettoquote von 40 Prozent und eine Bruttoquote von hohen 837 Prozent.
  • Nettoquote plus VA: Allerdings entscheidet sich dennoch bereits an der Nettoquote viel. Denn sobald Nettoquote und Volatilitätsanpassung (SCR+VA) keinen Wert von mindestens 100 Prozent erreichen, geraten Unternehmen in enge BaFin-„Manndeckung“ (so einst Aufsichtschef Frank Grund). Das bedeutet: Das Unternehmen muss Maßnahmen bei der Behörde vorlegen, um die Finanzstabilität zu verbessern – und die Aufsichtsbehörde prüft den Erfolg.

2021 meinte es gut mit den Lebensversicherern

Vergleicht man die Zahlen der letzten Jahre, offenbart sich: Das Jahr 2021 meinte es gut mit den Unternehmen am unteren Ende der Solvenz-Tabelle:

  • Denn 2019 erreichten dreizehn Versicherer keine Nettoquote von 100 Prozent. Zehn dieser Unternehmen mussten in enge „Manndeckung“ der BaFin, weil auch die Volatilitätsanpassung nicht über 100 Prozent half.
  • Das Corona-Jahr 2020 war dann besonders gnadenlos: Nun hatten sogar 17 Versicherer eine Nettoquote unter 100 Prozent. Betroffen waren: HDI (90%), Neue Leben (87%), Bayerische Beamten (70%), HUK-Coburg (67%), Athora (66%), Ergo Leben (52%), Frankfurter (38%), Debeka (36%), DEVK Allgemeine (36%), Signal Iduna (33%), Frankfurter Münchener (25%), PB Lebensversicherung AG (20%), DEVK Leben (13%), Öffentliche Oldenburg (10%), Versicherer im Raum der Kirchen (3%), Landeslebenshilfe (0%), Süddeutsche (0%).
  • Und 2020 mussten sogar 15 Versicherer in die "Manndeckung" der BaFin, da auch mit Volatilitätsanpassung die SCR-Quote nicht über 100 Prozent gehebelt werden konnte: Athora (SCR+VA: 76%), Bayerische Beamten (SCR+VA: 75%), HUK-Coburg (SCR+VA: 73%), Ergo Leben (SCR+VA: 62%), PB Lebensversicherung AG (SCR+VA: 59%), Frankfurter (SCR+VA: 47%), Debeka (SCR+VA: 46%), Signal Iduna (SCR+VA: 44%), DEVK Allgemeine (SCR+VA: 42%), Frankfurter Münchener (SCR+VA: 32%), Öffentliche Oldenburg (SCR+VA: 24%), DEVK Leben (SCR+VA: 19%), Versicherer im Raum der Kirchen (SCR+VA: 10%) Landeslebenshilfe (SCR+VA: 0%), Süddeutsche (0 SCR+VA%).

Neun der Solvenz-Schlusslichter retten die Nettoquote in 2021 wieder über 100 Prozent

Neun Versicherer, die in 2020 ohne Übergangshilfen nicht ausreichend solvent waren, konnten die Nettoquote in 2021 aber wieder über 100 Prozent retten (in Klammern werden die Brutto-Quoten = + Volatilitätsanpassung + Übergangshilfen für 2020 und 2021 ausgewiesen):

  • Frankfurter: netto 100% (brutto 2020: 250% / 2021: 333%)
  • VRK: netto 102% (brutto 2020: 180% / 2021: 380%)
  • Debeka: netto 107% (brutto 2020: 362% / 2021: 506%)
  • Bayerische Beamten: netto 126% (brutto 2020: 234% / 2021: 292%)
  • Neue Leben: netto 128% (brutto 2020: 595% / 2021: 807%)
  • HDI Lebensversicherung: netto 131% (brutto 2020: 583% / 2021: 697%)
  • Signal Iduna: netto 137% (brutto 2020: 330% / 2021: 835%)
  • Athora: netto 144% (brutto 2020 217% / 2021: 279%)
  • HUK-Coburg: netto 150% (brutto 2020: 266% / 2021: 424%)

All diese Unternehmen sind nun also auch ohne Übergangsmaßnahmen solvent und erfüllen die Bedingungen von Solvency II bereits durch ihre Nettoquote. Dadurch lösen sich natürlich auch jene Unternehmen dieser Liste aus der Manndeckung, die 2020 betroffen waren: Frankfurter, VRK, Debeka, Bayerische Beamten, Signal Iduna, Athora und die HUK-Coburg.

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Der Vergleich der Bruttoquoten 2020 und 2021 zeigt zudem, wie stark eine geringe Verbesserung der Nettoquote die Bruttoquote anheben kann.

Nur noch fünf Unternehmen in „Manndeckung“ der BaFin

Es bleiben zunächst noch acht Versicherer übrig, die auch in 2021 ohne Übergangshilfen nicht ausreichend solvent sind – und Nettoquoten unter 100 Prozent haben. Auch hier aber geben die Bruttoquoten (SCR+VA+Ü) ein wesentlich besseres Bild ab als die Nettoquoten:

  • Süddeutsche: netto 99% (brutto 533%)
  • DEVK Allgemeine: netto 98% (brutto 300%)
  • Ergo Leben: netto 82% (brutto 365%)
  • DEVK Leben: netto 80% (brutto 347%)
  • Öffentliche Oldenburg: netto 48% (brutto 296%)
  • PB Lebensversicherung AG: netto 40 % (brutto 837%)
  • Landeslebenshilfe: netto 20 % (brutto 478%)
  • Frankfurter Münchener: 9 % (brutto 316%)

Alle acht Unternehmen übersteigen mit ihren Bruttoprämien also dennoch großzügig die geforderten 100 Prozent. Zu verdanken ist dies wesentlich den Übergangshilfen:

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  • Steigert doch die Volatilitätsanpassung die SCR-Nettoquote unter den acht Schlusslichtern nur um durchschnittlich rund 18 Prozent (und dies auch nur durch ein Plus von 97 Prozent bei der PB; die Landeslebenshilfe nutzt die Volatilitätsanpassung als einziger Versicherer der Liste nicht).
  • Hingegen steigern die Übergangsmaßnahmen nach Paragraf 352 VAG die Quote im Schnitt dieser acht Schlusslichter um hohe 359 Prozent.

Der Unterschied macht deutlich, warum die Nettoquote trotz großzügiger Übergangsmaßnahmen noch zentral ist für die Entscheidung, ob ein Unternehmen in die "Manndeckung" der BaFin kommt oder nicht: Die Volatilitätsanpassung nach Paragraf 82 VAG hat eine viel geringere Auswirkung auf die Quote als die Übergangsmaßnahmen nach Paragraf 352 VAG.

Drei der acht Nettoverlierer retten sich dennoch aus der Manndeckung

Dennoch gelingt es auch noch drei dieser acht Unternehmen (mit einer Nettoquote kleiner 100 Prozent), sich aus der "Manndeckung" der Behörde zu retten. Denn die Volatilitätsanpassung kann hier die Quote dennoch über 100 Prozent heben:

  • Bei der DEVK Allgemeine hebt die VA die Quote von 98% auf 100%.
  • Bei der Süddeutschen hebt die VA die Quote von 99% auf 107%
  • Bei der PB Lebensversicherung AG hebt die VA die Quote sogar von 40% auf 137%

Es bleiben in 2021 nur noch fünf Unternehmen übrig, die sich noch immer in "Manndeckung" der BaFin befinden:

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  • Ergo Leben: SCR+VA: 88%
  • DEVK Leben: SCR+VA: 86%
  • Öffentliche Oldenburg: SCR+VA: 53%
  • Landeslebenshilfe: SCR+VA: 20%
  • Frankfurter Münchener: SCR+VA: 12%

Hintergrund: Alle Zahlen sind einer Übersicht des Zweitmarkt-Anbieters Policen Direkt übernommen und können online eingesehen werden. Weitere Kennzahlen zur Lebensversicherung haben wir unter einer neuen Rubrik zusammengestellt.

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