Damit Versicherer ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden dauerhaft erfüllen können, schreibt das Solvency-Aufsichtsregime vor, auch für wirtschaftlich schwere Zeiten genügend Eigenmittel als Polster vorzuhalten. Wichtigste Kennzahl dieser Anforderung ist die Solvenzquote (SCR-Quote). Für diese Quote werden Eigenmittel eines Versicherers ins Verhältnis gesetzt zu Verpflichtungen gegenüber den Leistungsempfängern.

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Solvenzquoten haben aufsichtsrechtliche Konsequenzen

SCR-Quoten sind aufsichtsrechtlich relevante Kennzahlen: Sie entscheiden darüber, in welchem Maße die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Geschäftsbetrieb der Versicherungen eingreifen darf. Für SCR-Quoten wird allerdings nicht das Verhältnis der Eigenmittel zu Verpflichtungen im „Normalbetrieb“ ermittelt. Stattdessen wird ein Extremereignis mathematisch simuliert, das einmal alle 200 Jahre auftritt.

Wer eine Solvenzquote von mindestens 100 Prozent vorweisen kann, hat genügend Eigenkapital, um eine 200-Jahres-Krise zu überstehen. Gerät ein Versicherer unter 100 Prozent, erfüllt er die aufsichtsrechtlichen Anforderungen nicht. Deutsche Versicherer sind seit 2016 in der Beweispflicht: Deadline für die ersten Berichte zur Solvabilität und Finanzlage (SFCR) war der 22. Mai 2017. Von da ab müssen die Unternehmen jährlich ihre Berichte liefern.

Maßnahmen erleichtern „Ankunft“ in Solvency II

Jedoch: Beim Übergang waltet Milde! Denn mehrere Paragrafen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) erleichtern noch bis Ende 2031, auf eine Solvenzquote in Höhe von 100 Prozent zu kommen (und damit die aufsichtsrechtliche Hürde zu überwinden):

  • So ermöglicht Paragraf 82 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) die Volatilitätsanpassung (VA): Anleihen dürfen höher bewertet werden, wenn sie nur vorübergehend an Wert verlieren – etwa, weil sie zu einem festen Wert später wieder verkauft werden.
  • Paragraf 351 VAG ermöglicht eine Maßnahme für risikofreie Zinssätze: Versicherungsunternehmen dürfen eine vorübergehende Anpassung der maßgeblichen risikofreien Zinskurve vornehmen (der Anteil, für den dies möglich ist, sinkt schrittweise: In 2016 startete er mit 100 Prozent und liegt in 2032 bei null Prozent).
  • Und Paragraf 352 VAG ermöglicht Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen (Ü): Die BaFin kann Versicherern die Genehmigung erteilen, ihre Rückstellungen nicht sofort auf Grundlage von Solvency II zu bewerten, sondern erst nach und nach mit mehrjähriger Verzögerung.

Nur zehn Versicherer verzichten auf Übergangshilfen

Betrachtet man Volatilitätsanpassung und Übergangsmaßnahmen als überbrückende Hilfen, könnte man erwarten, sie würden immer weniger genutzt. Das Gegenteil aber ist der Fall: Über die Jahre greifen immer mehr Versicherer auf die Maßnahmen zurück (Versicherungsbote berichtete).

Nur zehn Versicherer verzichten in 2021 völlig auf Übergangshilfen – überwiegend Unternehmen, die einen Schwerpunkt im Risiko-Geschäft haben und zudem oft ein geringes Geschäftsvolumen haben. Einzig die Ergo Vorsorge fällt hier heraus: Diese hat den Vorteil, sich nur auf das Neugeschäft konzentrieren zu können, während die Ergo Leben intern die Altbestände der Ergo abwickelt (Versicherungsbote berichtete).

Folgende Unternehmen verzichten 2021 ganz auf Übergangshilfen: Dortmunder (SCR: 250%), Lifestyle Protection (SCR: 296%), InterRisk (SCR: 300%), Aioi Nissay Dowa Life (SCR: 360 %), Ergo Vorsorge (SCR: 440%), Vereinigte Postversicherung (SCR: 475%), Deutsche (SCR: 527%), Delta Direkt (SCR: 538%), Hannoversche (SCR: 551%), Europa (SCR: 786%).

Zwölf Unternehmen nutzen nur die VA

Die Volatilitätsanpassung ohne Übergangsmaßnahmen wird von zwölf Unternehmen genutzt. Der Hebel ist hier weniger stark als bei den Übergangsmaßnahmen nach Paragraf 352 VAG: Im Schnitt aller Versicherer hebelt die Volatilitätsanpassung die Nettoquote nur um 19,9 Prozent, während Übergangsmaßnahmen nach 352 VAG die Quote um durchschnittlich 191,7 Prozentpunkte heben.

Folgende Unternehmen greifen nur auf die Volatilitätsanpassung zurück und verzichten auf Übergangsmaßnahmen:

  • VA-Hebel null Prozent: Heidelberger (SCR: 182%); Skandia (SCR: 182%) – auffallend sind beide Run-Off-Versicherer.
  • VA-Hebel bis zehn Prozent: Continentale Lebensversicherung AG (+4% auf 412%), Öffentliche Lebensversicherung Sachsen Anhalt (+4% auf 234%), VGH Provinzial (+4% auf 347%), Alte Leipziger (+6% auf 317%), Entis (+10% auf 184%);
  • VA-Hebel größer als 10 Prozent: Deutsche Ärzteversicherung AG (+53% auf 346%), Generali Deutschland (+80% auf 411%), Cosmos (+82% auf 187%), Axa (+120% auf 284%)

Dialog: Bruttoquote unterhalb der Nettoquote

Einen Sonderfall der Branche stellt die Dialog dar: Die Generali-Tochter nutzt auch einzig die Volatilitätsanpassung, reduziert dadurch aber die Quote sogar, so dass die Bruttoquote geringer ist als die Nettoquote. Freilich schafft dies die Dialog aus einer komfortablen Situation heraus: Die Nettoquote liegt bei 699 Prozent; das ist die zweitbeste Nettoquote der gesamten Branche. Einzig die Europa hat, mit 786 Prozent, eine bessere Quote.

Die Volatilitätsanpassung aber drückt die Bruttoquote der Dialog nach unten auf 675 Prozent. Wenn man alle Bruttoquoten hernimmt (auch jene mit VA und Übergangsmaßnahme), liegt die Dialog nur noch auf Rang vierzehn der Branche.

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Drei Unternehmen nutzen nur die Übergangsmaßnahmen (ohne VA)

Genau drei Unternehmen sind es, die nur die Übergangsmaßnahmen gemäß Paragraf 352 VAG nutzen, aber auf die Volatilitätsanpassung verzichten. Im Schnitt dieser Unternehmen hebelt dies die Basisquote um rund 241 Prozent nach oben – die Hebelwirkung der Übergangsmaßnahmen, das wird auch hieran ersichtlich, ist wesentlich stärker als jene der Volatilitätsanpassung:

  • Die Landeslebenshilfe V.V.a.G. würde bei der Basis- bzw. Nettoquote glatt durchfallen, denn sie liegt bei nur 20 Prozent. Die Übergangsmaßnahmen heben den Wert auf eine Bruttoquote von 478 Prozent.
  • Die Nürnberger Beamten hat eine Basisquote von 427 Prozent und hebelt den Wert auf 600 Prozent.
  • Die Nürnberger Lebensversicherung AG hat eine Basisquote von 465 Prozent und hebelt den Wert auf 558 Prozent.

Größte Differenz zwischen Netto- und Bruttoquote: 797 Prozent

In 2021 sind es 54 Unternehmen, die sowohl die Volatilitätsanpassung gemäß Paragraf 82 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) als auch die Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen gemäß Paragraf 352 VAG anwendeten: Rund 67 Prozent der Branche kombinieren demnach beide Maßnahmen.

Wie wirkungsvoll hierbei insbesondere die Übergangsmaßnahmen für versicherungstechnische Rückstellungen sind, wird anschaulich, wenn man die Unternehmen mit den größten Differenzen zwischen Netto- und Bruttoquote gegenüberstellt. In 2020 betrug der größte Abstand zwischen Netto- und Bruttoquote 512 Prozent – damals durch die Victoria (Nettoquote von 216 Prozent und Bruttoquote von 728 Prozent). In 2021 aber liegen acht Versicherer mit ihrer Differenz sogar darüber:

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  1. PB Lebensversicherung AG: Differenz von 797 Prozent: Die PB würde bei der Netto-Quote ebenfalls glatt durchfallen: Diese liegt bei 40 Prozent. Die Volatilitätsanpassung hebelt den Wert auf 137 Prozent. Die Übergangsmaßnahmen nach Paragraf 352 VAG schaffen es dann, den Wert auf sagenhafte 837 Prozent zu heben – das ist die sechstbeste Quote der Branche.
  2. Signal Iduna: Differenz von 698 Prozent: Die Nettoquote der Signal Iduna schafft es, mit 137 Prozent, knapp über die Anforderungen. Die VA hievt den Wert auf 148 Prozent. Die Übergangsmaßnahmen verhelfen dann dem Unternehmen zu einer Quote von 835 Prozent – und damit zur siebtbesten Quote der Branche.
  3. R+V Lebensversicherung AG: Differenz von 687 Prozent: Die Tochter der R+V hätte eigentlich, bei einer Nettoquote von 315 Prozent, keinen Grund zum Klagen. Dennoch kombiniert man VA und Übergangsmaßnahmen: Die Volatilitätsanpassung fügt bescheidene zwei Prozentpunkte hinzu. Die Übergangsmaßnahmen aber heben dann den Wert auf sagenhafte 1.002 Prozent: Der viertbeste Wert der Branche.
  4. Neue Leben: Differenz von 679 Prozent: Das Unternehmen aus Hamburg schafft es mit der Nettoquote ebenfalls nur knapp über die Anforderungen – mit 128 Prozent. Die VA verhilft dann zu 266 Prozent. Und die Übergangsmaßnahmen lassen die Quote auf den achtbesten Wert der Branche springen: 807 Prozent.
  5. SV Sparkassenversicherung: Differenz von 650 Prozent: Der Sparkassenversicherer hat, mit Blick auf die Nettoquote, eigentlich auch keinen Grund zur Klage: 475 Prozent sind der achtbeste Wert der Branche. Die Volatilitätsanpassung verhilft dann zu besseren 512 Prozent. Der Clou aber gelingt durch die Übergangsmaßnahmen: Sie heben die Quote auf 1.125 Prozent: Der beste Branchenwert in 2021 und damit das Siegertreppchen bei den Bruttoquoten.
  6. Condor: Differenz von 646 Prozent: Das Unternehmen aus Hamburg hat eine Nettoquote von 288 Prozent. Auch hier verhilft die Volatilitätsanpassung zunächst zu einem kleinen Sprung: auf 291 Prozent. Die Übergangsmaßnahmen aber heben dann den Wert auf 934 Prozent – die fünftbeste Quote der gesamten Branche.
  7. HDI: Differenz von 566 Prozent: Die HDI gehört zu jenen Unternehmen, die mit 131 Prozent die Anforderungen nur knapp erreichen. Die Volatilitätsanpassung verbessert die Quote auf 341 Prozent. Die Übergangsmaßnahmen pushen dann die Quote nochmals auf 697 Prozent: Der zwölftbeste Wert der Branche.
  8. R+V Lebensversicherung aG: Differenz von 542 Prozent: Die kleinere R+V-Tochter hat eine Nettoquote von 222 Prozent. Die VA verhilft dann zu 232 Prozent. Letztendlich schaffen es die Übergangsmaßnahmen, die Quote auf den zehntbesten Wert der Branche zu heben: Auf 764 Prozent.

Alle Zahlen sind einer Übersicht des Zweitmarkt-Anbieters Policen Direkt übernommen und können online eingesehen werden. Weitere Kennzahlen zur Lebensversicherung haben wir unter einer neuen Rubrik zusammengestellt.

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