Über 4 Millionen Menschen in Deutschland gelten als pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Vier von fünf der Pflegebedürftigen (80 Prozent bzw. 3,31 Millionen) wurden zu Hause versorgt, so die jüngste Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes (Versicherungsbote berichtete).

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Den größten Teil der Sorgearbeit übernehmen pflegende Angehörige - das waren 2015 laut dem DAK-Pflegereport zu 90 Prozent Frauen. Deren Situation will die Ampel-Koalition ändern. Unbürokratischer soll die häusliche Pflege werden. Das Mittel dazu: ein „transparentes und flexibles Entlastungsbudget mit Nachweispflicht“ (Versicherungsbote berichtete).

Dass bürokratische Hürden oft zu hoch sind und dringender Änderungsbedarf besteht, zeigen Studien-Ergebnisse der Hochschule Osnabrück, die der Sozialverband VdK heute in Berlin vorstellte.

Für die Studie „Nächstenpflege – alleingelassen und in Bürokratie erstickt“ (PDF) wurden 56.000 Menschen befragt - es handelt sich damit um die bislang größte Erhebung dieser Art. Entsprechendes Gewicht dürfte den Ergebnissen beigemessen werden.

Und die haben es in sich: Je nach Art der Pflege-Leistungen würden zwischen 62 und 93 Prozent nicht abgerufen. Allein bei den Leistungen ‚Hilfe im Haushalt‘, ‚Kurzzeitpflege‘ und ‚Verhinderungspflege‘ verfielen laut Studie zwölft Milliarden Euro.

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Es sei „extrem schwierig“, Leistungen so zusammenzustellen, dass sie zur individuellen Situation passen, kritisiert der VdK. Um den Überblick zu behalten, sei „buchhalterisches Wissen von Vorteil“ so der Sozialverband und macht das u.a. an folgendem Beispiel deutlich:
„So gibt es Anrechnungsmöglichkeiten der Leistungen untereinander, um eine Aufstockung zu ermöglichen. […] Eine Kostprobe: Beispielsweise kann man 40 Prozent der nichtgenutzten ambulanten Pflegesachleitung/Kombileistung/Pflegegeld auf den Entlastungsbetrag übertragen lassen. Die nicht genutzte Verhinderungspflege kann in voller Höhe auf die Kurzzeitpflege übertragen werden. Aber andersherum kann man die Verhinderungspflege nicht mit 100 Prozent Kurzzeitpflege aufstocken, sondern nur bis zum Betrag von 806 Euro. Der Entlastungsbetrag kann angespart werden, aber muss im darauffolgenden Jahr bis Ende Juni verbraucht werden. Er kann beispielsweise außer zur Finanzierung von hauswirtschaftlicher Unterstützung und Betreuung auch zur Reduzierung der Kosten der Kurzzeit-, aber auch Tagespflege eingesetzt werden.“

Drei Forderungen, um Pflege in Deutschland zu verbessern

Der Sozialverband VdK erhebt angesichts der Studien-Ergebnisse folgende Forderungen an die Politik:

  1. Nächstenpflege-Budget: Das Leistungsgeschehen muss deutlich vereinfacht und Leistungen müssen gebündelt werden zu einem Budget – einem Nächstenpflege-Budget aus Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Tagespflege und Entlastungsbetrag.
    Damit kann der Pflegende selbst entscheiden, wofür er es einsetzen möchte und hat das Maximum an einem Geldbetrag zur Verfügung. Er muss nur noch einen Betrag und die Ausgaben im Auge behalten, statt wie bisher für viele verschiedene Leistungsbeträge. Auch Zuzahlungen können damit kompensiert werden.
    Er bekommt mehr Hauswirtschaftliche Unterstützung – was viele sich wünschen, mehr Betreuung, mehr Pflege. Und vor allem kann er individuell nach seinem Bedarf die gewünschte Leistung wählen.
  2. Zudem wollen wir, dass sich auch nicht-professionelle Hilfen wesentlich einfacher am Pflegealltag beteiligen können. So braucht es für den Entlastungsbetrag, der auch für hauswirtschaftliche Hilfen eingesetzt werden kann, keine qualifizierte Fachkraft mit einer Ausbildung. Es muss möglich sein, dass Hilfen auch durch Nachbarn oder Freunde erbracht und dafür Pflegeleistungen abgerufen werden können.
  3. Es braucht aber auch einen Ausbau der Angebote. So gibt es deutschlandweit noch immer zu wenige Betreuungsdienste, die kostengünstiger als Pflegedienste sind und viele Bedarf der Pflegehaushalte befriedigen können. Die für Entlastungsleistung vorgesehenen Dienstleister sind rar gesät, weil die Anforderungen an sie je nach Bundesland zu hoch sind.

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