Wenn in der Familie ein Pflegefall auftritt, dann können pflegende Angehörige von der Tagespflege Gebrauch machen. Dies bietet sich immer dann an, wenn die Pflege zu Hause nicht mehr ausreicht, weil sie für die Familienmitglieder eine zu große Belastung bedeutet, aber die stationäre Betreuung im Altersheim noch nicht notwendig ist. Die Patienten wohnen weiterhin bei ihrer Familie, werden aber tagsüber in eine stationäre Pflegeeinrichtung gegeben, wo sie rundum betreut werden. Ein guter Kompromiss, wenn Oma oder Opa noch nicht ins Altersheim sollen.

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Von den pflegenden Angehörigen nutzen aber derzeit nur 15,1 Prozent die Tagespflege-Angebote im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Und bei den anderen Unterstützungsleistungen sieht es nicht viel anders aus. Mit Ausnahme des ambulanten Pflegedienstes (64 Prozent) werden alle anderen Angebote der Pflegekassen von weniger als jedem fünften Befragten in Anspruch genommen. Das ergab eine Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK unter mehr als 1.000 Pflegehaushalten, wie der AOK Bundesverband berichtet (siehe Grafik 1).

Pflegende Angehörige kennen und nutzen: ... . Quelle: WiDO / AOK

Viele Pflegehaushalte würden genau diese Leistungen benötigen

Das Ergebnis überrascht. Mehr als jeder vierte Pflegehaushalt, der auf Leistungen verzichtet, gibt zu Protokoll, er würde genau diese Unterstützung brauchen. Beispiel Kurzzeitpflege: Für maximal vier Wochen im Jahr können Pflegebedürftige vollstationär untergebracht werden, die Kasse bezuschusst das mit bis zu 3.224 Euro im Jahr. In dieser Zeit können Familien in den Urlaub fahren oder entspannen, ohne sich um die Betreuung des Pflegepatienten kümmern zu müssen. Eine willkommene Auszeit für die oft belastende Pflegetätigkeit!

Barrieren, Pflichtgefühl und Scham

Warum aber werden diese Zusatzleistungen nicht abgerufen? Mindestens zwei Dritteln der pflegenden Angehörigen sind die Unterstützungsangebote bekannt, und bei jenen, die sie nutzen, ist die Zufriedenheit insgesamt hoch. Als Gründe für den Verzicht werden zum Beispiel Kosten und mangelnde Erreichbarkeit genannt. Die am häufigsten genannte Ursache jedoch: Mehr als jeder Zweite sagte aus, die Person möchte nicht von einem Fremden betreut werden.

Antje Schwinger, Pflegeexpertin des WIdO und Mitherausgeberin des Reports, sieht hier Barrieren. "Wir müssen die Bedürfnisse der Betroffenen noch besser verstehen und gleichzeitig mit guter Beratung und niedrigschwelligen Angeboten überzeugen. Allerdings zeigt sich hier auch ein tief sitzendes Selbstverständnis von familiärer Pflege, in das Pflichtgefühl und Scham mit hineinspielen." Unterstützend könnten hier zum Beispiel Pflegeberater wirken, die gemeinsam Lösungen mit den Familien suchen.

Gründe für die Nichtnutzung von Zusatzangeboten. Quelle: WiDO / AOK

Auch Bürokratie und Aufwand sind noch immer Hindernisse für eine Inanspruchnahme. „Die Pflegeversicherung hat sich bewährt. Aber wir müssen ihre Leistungen noch einfacher und flexibler gestalten“, sagt Schwinger. Zum Beispiel könne man die beiden Leistungen "Verhinderungspflege" und "Kurzzeitpflege" zusammenlegen. "Statt hier zwei verschiedene Regelungen und Budgets vorzusehen, sprechen wir uns für die Bündelung aus. Es geht um 3.224 Euro für 14 Wochen je Kalenderjahr. Pflegende Angehörige wissen selbst am besten, wie sie während einer Auszeit das Geld am sinnvollsten einsetzen können."

Pflegende Angehörige erbringen wichtige Leistung

Dass pflegende Angehörige eine enorm wichtige Arbeit leisten, die sowohl Volkswirtschaft als auch Sozialkassen entlasten, daran lassen die Studienmacher keinen Zweifel. Auch aus diesem Grund sei es wichtig, eine Verbesserung für pflegende Angehörige zu erreichen.

Die Arbeitsleistung von pflegenden Angehörigen veranschaulicht der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, mit einer einfachen Rechnung. "Wenn man die Stundenzahl, die pflegende Angehörige aufwenden, mit dem heutigen Mindestlohn multipliziert, dann liegt die Wertschöpfung bei sage und schreibe rund 37 Milliarden Euro pro Jahr. Eine gewaltige Summe, wenn man bedenkt, dass die Pflegeversicherung selbst nur eine Einnahmevolumen von rund 26 Milliarden Euro umfasst."

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Hier müsste der Versorgungsmix aus familiärer und professioneller Pflege noch besser abgestimmt werden. "Entwicklungsmöglichkeiten für die professionelle Pflege liegen in der gemeinsamen Ausbildung von Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege sowie der weiteren Akademisierung“, erklärt Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey, Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité Berlin und Mitherausgeberin des Pflege-Reports 2016. Man wisse aus anderen Ländern, dass die Akademisierung der Pflege- und anderer Gesundheitsberufe sich äußerst positiv ausgewirkt habe. "Bildung und Aufwertung, das ist die zentrale Botschaft, die wir dem Report entnehmen können."

AOK Pflegereport 2016

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