“Too big to fail“? Große Versicherer sind oft nicht nur global vernetzt, sondern verwalten auch gewaltige Summen an Kundengeldern, die sie in viele Unternehmen investieren. Deshalb können auch sie ein systemisches Risiko sein und die Wirtschaft destabilisieren, so hat die Europäische Union mehrfach zu bedenken gegeben. Aus diesem Grund führt die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) regelmäßig Stresstests durch, um zu prüfen, wie robust die Großen der Branche dastehen.

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Doch über diese Stresstests ist nun ein Streit entbrannt. Der Grund: Bisher wurden die Ergebnisse nur allgemein veröffentlicht. Schnitten Versicherer nicht so stark ab, so erfuhren die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Regel nicht, um wen es sich handelt. Und das will EIOPA nun ändern. Petra Hielkema, die neue Präsidentin der Behörde, wolle sich bei den Gesetzgebern in der EU dafür einsetzen, dass die Veröffentlichung der Einzelergebnisse verpflichtend werde. Das erklärte sie laut einer Meldung des „Handelsblattes“ am Donnerstag.

Auch deutsche Versicherer halten sich bedeckt

Bisher ist es den Konzernen überlassen, ob sie der Öffentlichkeit einen Einblick in ihr Stress-Ergebnis gewähren wollen. Und da geben sich die Versicherer eher bedeckt. Nur elf von 44 Konzernen haben zugestimmt, dass der jüngste Stresstest veröffentlicht werden dürfe, heißt es in dem Bericht. Auch alle deutschen Teilnehmer, fünf Stück an der Zahl, wollen ihre Ergebnisse demnach nicht zugänglich machen. Dies sind die Allianz, Münchener Rück, HDI/Talanx, R+V und Alte Leipziger-Hallesche.

Doch von Anbeginn hatten die Versicherer Zweifel an der Aussagekraft der Stresstests geäußert. Sie müssen in Modellrechnungen mehrere Stressszenarien durchspielen, die laut Aufsichtsbehörde zukünftig eintreffen könnten: Diese sind teils davon geprägt, dass mehrere schwere Verwerfungen aufeinander treffen, quasi Worst-Case-Szenarien. Marktschocks, der Absturz der Börsen, Massenkündigungen. Und deshalb sei ein Eintreffen dieser Szenarien eher unwahrscheinlich. Während Finanzexperten und Aufsicht die Daten einordnen könnten, seien sie geeignet, Verbraucher und Aktionäre zu verunsichern, so das Argument der Versicherer.

Dabei zeigen die Ergebnisse des jüngsten Stresstests: Die deutschen Versicherer stehen trotz anhaltendem Niedrigzins und Corona recht robust da. „Die Ergebnisse des Stresstests zeigen, dass die Versicherungsbranche auch in Stressszenarien grundsätzlich widerstandsfähig ist”, sagt Frank Grund, Versicherungs-Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Mit einem Aber: Ohne die im Jahr 2032 auslaufenden Übergangsmaßnahmen sähen die Ergebnisse teilweise deutlich schlechter aus. „Das Niedrigzinsumfeld bleibt eine Herausforderung. Wir werden besonders die Situation der Lebensversicherer weiter genau im Auge behalten“, so Grund.

Zwei verschiedene Management-Ansätze untersucht

Im aktuellen Stresstest mussten sich die Versicherer an einem sogenannten Double-Hit-Szenario beweisen. Dabei wurde davon ausgegangen, dass der risikofreie Zinssatz sich sehr negativ entwickelt: stark vereinfacht werden die Versicherer damit konfrontiert, dass sie in ihren Geldanlagen ein hohes Ausfallrisiko haben und Schuldner ihre Pflichten nicht bedienen können. Zugleich entwickelt sich das Prämienaufkommen sehr ungünstig. Verschärft wird die Situation durch verschiedene Marktverwerfungen, die auch aus der Corona-Krise resultieren.

In dieser Ausgangssituation entwickelt sich die Solvenz der Versicherer negativ: Ihre Finanzstabilität leidet. Nun haben die Versicherer zwei Möglichkeiten zu reagieren. Sie warten ab und ergreifen nicht aktiv Maßnahmen. In diesem Fall verschlechtert sich die durchschnittliche Solvenzquote von aktuell 217,9 Prozent auf 125,7 Prozent. Bei dieser Quote müssen die Versicherer mindestens 100 Prozent nachweisen, sodass die EIOPA annimmt, dass langfristig alle Zusagen an Kundinnen und Kunden bedient werden können. Neun europäische Versicherer reißen die Latte: und hätten nach einer solchen Krise womöglich nicht mehr genug Finanzkraft.

Dass die Versicherer angesichts einer drohenden Krise ihre Beine unter den Tisch legen und gar nichts tun, ist aber ebenfalls unwahrscheinlich: schon, weil sie aufsichtsrechtliche Konsequenzen fürchten müssen. In einem zweiten Szenario wird deshalb angenommen, dass das Management rasch Maßnahmen ergreift und gegensteuert. Auch hier ginge die Solvenz im Branchenschnitt deutlich zurück: auf 139,3 Prozent. Aber immerhin sieben der neun Versicherer, die im ersten Szenario die Latte rissen, können sich nun wieder über die 100-Prozent-Hürde retten und wären ausreichend solvent.

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Die vorgeschriebenen Schocks wurden anhand der vorherrschenden Risiken für das Finanzsystem modelliert und gelten als schwer, aber plausibel, berichtet EIOPA per Pressetext. Insgesamt zeigt sich die Aufsichtsbehörde mit den Ergebnissen zufrieden. Sie würden bestätigen, dass die Branche in der Lage sei, ihre Zusagen gegenüber den Versicherungsnehmern auch bei schwerwiegenden ungünstigen Entwicklungen der Wirtschaft und der Märkte zu erfüllen. Dennoch würden sie auch zeigen, dass ein Teil des Marktes immer noch stark auf Übergangsmaßnahmen angewiesen sei, die im Gegensatz zu den langfristigen Garantien bis 2032 auslaufen sollen. Hier fordert die Behörde die betroffenen Versicherer auf, schnell Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Finanzstabilität zu erhöhen.

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