Die Solvenzquoten der Lebensversicherer sind im letzten Jahr deutlich gestiegen. Zum Jahresende 2021 lag der Branchenschnitt demnach bei rund 450 Prozent, während sie im Jahr zuvor bei 380 Prozent gelegen habe. Das berichtet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in einem Pressetext.

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Die Solvenzquote bezeichnet das Verhältnis von Eigenmitteln zur Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement, SCR). Bei einer Solvenzquote von 100 Prozent können die Versicherer auch in einem Krisenszenario alle Anforderungen erfüllen. Speziell geht es um die Frage, ob die Versicherer stabil genug dastehen, um auch langfristig alle Zusagen an ihre Kundinnen und Kunden bedienen zu können - selbst, wenn sie sich Marktrisiken gegenübersehen.

Steigende Zinsen und Änderungen im Neugeschäft

Die höhere Solvenzquote in der Lebensversicherung sei auf das gestiegene Zinsniveau, aber auch das veränderte Produktportfolio und die damit sinkenden Garantieverpflichtungen der Lebensversicherer zurückzuführen, berichtet der GDV. In den letzten Jahren sind die Versicherer dazu übergegangen, im Neugeschäft auf fondsgebundene Altersvorsorge-Produkte zu setzen. Anders als bei „klassischen“ kapitalbildenden Lebensversicherungen können sie hier mehr in Fonds und Aktien anlegen statt in Anleihen. Weil die Produkte keine oder nur anteilige Garantien bieten, müssen die Verträge auch weniger mit Eigenmitteln unterfüttert werden.

Bis 2032 dürfen die Versicherer noch mit Übergangsmaßnahmen rechnen, um ihre Kapitalstärke nachzuweisen. Das soll ihnen helfen, die Geschäftsprozesse anzupassen und Risiken schrittweise zu minimieren. Unter anderem dürfen langjährige Anleihen höher bewertet werden, wenn sie einen festen Wert zum Ende ihrer Laufzeit haben. Ohne Übergangshilfen läge die Solvenzquote der Branche bei 245 bis 255 Prozent, was ein Plus von 50 Prozentpunkten gegenüber 2020 bedeutet.

Die einzelnen Auswertungen der letzten Jahre zeigten aber auch, dass sich das Feld der Lebensversicherer aufspreizt in Anbieter mit sehr guter Kapitalausstattung und solche mit niedrigen Solvenzquoten. Der Branchenschnitt allein erlaubt folglich keinen Rückschluss auf die Situation einzelner Versicherer, auch wenn die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin ebenfalls mehrfach hervorhob, dass die deutschen Lebensversicherer ausreichend solvent sind.

Weniger gut hat sich die Solvenz hingegen im Bereich der Schaden- und Unfallversicherung entwickelt. Hier hatten die Versicherer mit hohen Schäden aus Naturereignissen zu kämpfen: unter anderem durch die Flutkatastrophe im Ahrtal. „Mit einem Wert von rund 270 Prozent zum Jahresende 2021 dürfte die Entwicklung aber erfreulich stabil sein (Solvenzquote zum 31.12.2020: 285 Prozent)“, schreibt der GDV.

EU-Kommission für strengere Aufsicht

Aktuell hat die EU-Kommission Vorschläge vorgelegt, um die Finanzaufsicht im Rahmen von Solvency II weiter zu verschärfen. Das stößt beim Versichererverband erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe: mehrfach schon kritisierte er eine Überregulierung der Branche. Diese Reformvorschläge „würden allerdings per Saldo zu Mehrbelastungen für deutsche Versicherer führen, wenn es zu der vorgeschlagenen Änderung bei der Berechnung langfristiger Zinsen (Zinsextrapolation) käme“, schreibt der GDV. Bereits im letzten Jahr hat der Verband kommuniziert, dass durch die Pläne den Versicherern ein Mehrbedarf an Eigenmitteln von 60 Milliarden Euro drohe.

Bei der Zinsexploration geht es grob vereinfacht um die Frage, mit welchem Zinssatz zukünftige Verpflichtungen der Versicherer bewertet werden. Und, davon ausgehend: wie viel Eigenkapital bzw. Rückstellungen sie zurückhalten müssen, um diese Pflichten zu bedienen.

Bei kurz laufenden Zinssätzen ist es vergleichsweise leichter, den Zinssatz zu bewerten: Hier können die Versicherer auf aktuelle Marktinformationen zurückgreifen. Nicht so bei längeren Zeiträumen, wo es keine verlässlichen Markt-Infos gibt. Hierbei muss bedacht werden, dass die Leben-Verträge oft sehr lang laufen: üblich sind Laufzeiten von 15-30 Jahren. Deshalb wird ein mathematisches Modell zur Bewertung des zu erwartenden Zinses angewendet: besagte Exploration.

Die EU-Kommission schlägt nun eine Berechnungsmethode vor, die die extrapolierten Zinsen senkt und damit auch den Kapitalüberschuss der Versicherer (Eigenmittel abzüglich Solvenzkapitalanforderungen) rapide sinken lässt. Stark vereinfacht liegt dem die Idee zugrunde, dass die Niedrigzinsphase noch lange anhalten wird: und folglich die Versicherer mit weniger risikofreiem Zins rechnen können, den sie in künftigen Jahren erwirtschaften.

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Diese zusätzliche Belastung würde nicht durch Erleichterungen bei anderen Elementen kompensiert, kritisiert nun der GDV. „Damit würden langfristige Investitionen der Lebensversicherer, beispielsweise in Projekte der Energie- und Transportinfrastruktur, erschwert. Der mögliche Investitionsbeitrag des Versicherungssektors zu europäischen Schlüsselprojekten würde damit eingeschränkt“, schreibt der Verband. Derzeit befassen sich EU-Rat und EU-Parlament mit den Vorschlägen. Ein gemeinsamer Gesetzgebungsprozess von Kommission, Rat und Parlament (Trilog) könnte 2023 beginnen. Die veränderten Regeln könnten dann frühestens ab Jahresende 2024 greifen.

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