Unter Fußball-Schiedsrichtern wird gern geflachst: Wenn nach dem Spiel beide Mannschaften unzufrieden sind, waren zumindest die Ungerechtigkeiten gleich verteilt. Legt man das als Maß an die gestern von der EU-Kommission vorgelegten Pläne zur Weiterentwicklung des Aufsichtsregimes Solvency II, könnte man festhalten, dass der Kommission eine gute ‚Spielleitung‘ gelungen ist. Denn so richtig zufrieden ist niemand.

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Abgesehen von der Kommission selbst natürlich. So sagte die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion zuständige Kommissarin Mairead McGuinness: „Der heutige Vorschlag wird die Versicherungsbranche in die Lage versetzen, ihr Potenzial zur Unterstützung der EU-Wirtschaft auszuschöpfen. So ermöglichen wir Investitionen in die Erholung und darüber hinaus. Außerdem fördern wir die Teilnahme der Versicherungsunternehmen an den Kapitalmärkten der EU, sodass langfristige Investitionen bereitgestellt werden, die für eine nachhaltige Zukunft von großer Bedeutung sind. Die fortschreitende Kapitalmarktunion ist sehr wichtig für unsere grüne und digitale Zukunft. Dabei tragen wir auch der Verbraucherperspektive gebührend Rechnung. Somit können die Versicherungsnehmer sicher sein, dass sie in Zukunft besser geschützt sind, wenn ihr Versicherer in Schwierigkeiten gerät.“

Doch schon bei diesem Punkt gibt es Widerspruch. So moniert Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, entscheidende Abweichungen von den EIOPA-Vorschlägen: Die empfohlene Harmonisierung der nationalen Sicherungssysteme würde ebenso fehlen wie eine gemeinsame europäische Aufsicht über die größten Versicherungskonzerne. Voraussetzung für eine erfolgreiche europäische Kapitalmarktunion ist nach Auffassung von Giegold eine europäische Versicherungsunion. Zwar könnten Versicherungsprodukte grenzüberschreitend abgeschlossen werden, doch die Versicherten könnten sich nicht auf ein einheitliches Schutzniveau verlassen, so Giegold weiter.

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Aus Sicht des Politikers bleiben die europäischen Versicherungsregeln „löchrig wie ein Schweizer Käse“. Zudem würde sich die EU-Kommission über die Empfehlungen der EIOPA hinwegsetzen und der „europäischen Versicherungsbranche eine rasche Kapitalerleichterung von 90 Milliarden Euro schenken“, heißt es in einer Stellungnahme Giegolds.

GDV: „Grüne Investitionen sind nicht automatisch risikolos“

Dabei versteht die EU-Kommission die angesprochene Summe gar nicht als „Geschenk“. Die Kommissare schreiben dazu: „Die heute vorgeschlagene Überarbeitung soll es den europäischen Versicherern ermöglichen, einen größeren Beitrag zur Finanzierung der wirtschaftlichen Erholung zu leisten, die Kapitalmarktunion voranbringen und Mittel für den europäischen Green Deal bereitstellen. So könnte EU-weit kurzfristig Kapital in Höhe von rund 90 Milliarden Euro freigesetzt werden. Mit diesem Kapital könnten die (Rück-)Versicherer in ihrer Funktion als private Investoren einen größeren Beitrag zur Erholung Europas von der COVID-19-Pandemie leisten.“

Und wie bewerten die deutschen Versicherer den Entwurf der Kommission? Dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gehen die angestrebten Vereinfachungen des Regelwerks für kleinere bzw. weniger risikoexponierte Versicherer nicht weit genug. „Die Unternehmensgröße bleibt das maßgebliche Kriterium – notwendig wäre ein Abgleich der Anforderungen mit den tatsächlichen Risiken im Geschäftsmodell“, so der Verband. Zudem sieht GDV-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Jörg Asmus­sen die geplante Vorzugsbehandlung für grüne Investments kritisch. „Solvency II muss risikobasiert bleiben. Grüne Investitionen sind nicht automatisch risikolos“, so Asmussen.

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Nun geht es für den Entwurf in die ‚Verlängerung‘: EU-Parlament und Ministerrat können den Entwurf noch entscheidend beeinflussen.

Die vorgelegte Überarbeitung umfasst folgende Bestandteile:

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