Noch ist der Koalitionsvertrag nicht öffentlich, auf den sich SPD, Grüne und FDP geeinigt haben. Doch er steht bereits, wie heute mehrere Medien übereinstimmend berichten. Nach schwierigen Verhandlungen haben sich die Koalitionäre demnach am Mittwoch einigen können. Am Nachmittag soll er im Berliner Westhafen vorgestellt werden.

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Bereits im Sondierungspapier haben sich die Koalitionäre jedoch dazu bekannt, die betriebliche Altersvorsorge zu stärken. Konkrete Vorschläge waren darin nicht enthalten. Sicher ist jedoch, dass die Kapitaldeckung künftig eine größere Rolle spielen soll. Das ruft nun die Verbraucherzentralen auf den Plan: Sie raten dringend vor mehr Kapitaldeckung in der bAV ab.

„Ich warne vor Gedankenspielen, bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge auf die betriebliche Vorsorge in ihrer derzeitigen Form zu setzen“, sagte demnach Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), der WELT AM SONNTAG. „Eine Reform dieser Art wäre eine Fehlentscheidung mit unbewussten Nachteilen für die Arbeitnehmer und würde deren Altersvorsorge nicht stärken, sondern schwächen.“

Verbraucherzentrale-Chef fordert drei Reformen

Müller spricht sich nicht grundsätzlich gegen mehr betriebliche Altersvorsorge aus: Sieht aber mehrere Schwachstellen, die erst behoben werden müssten, damit den Beschäftigten daraus kein Nachteil entstehe. Drei Punkte erachtet der Verbraucherschutz-Chef hierbei als besonders wichtig:

  • Die betriebliche Entgeltumwandlung sei in der Einzahlphase von Steuern und Sozialabgaben befreit, folglich müssen hierfür auch keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden. Das aber könne die spätere Rente schwächen, warnt Müller.
  • Der Vertrag der Betriebsrente gehöre dem Arbeitgeber. Deshalb könnten ihn Arbeitnehmer nicht einfach zu einem neuen Job mitnehmen. Oft müsse ein neuer Vertrag geschlossen werden, für den zusätzliche Provisionen für den Vermittler anfallen würden.
  • Die betriebliche Entgeltumwandlung werde meist im Versicherungsmantel angeboten. Das mache die Verträge teuer und renditenschwach, da die Versicherer und anderen Anbieter gezwungen seien, das Geld in festverzinsliche Papiere zu stecken. „Es ist im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, beim Kapitalaufbau deutlich mehr auf Aktien zu setzen“, sagt Müller. Was er nicht erwähnt: Das würde auch den weitestgehenden Verzicht auf Garantien erfordern, die eben mit festverzinslichen Papieren laut Gesetz abgesichert werden müssen.

In der Ansparphase müsse die Betriebsrente folglich wieder sozialversicherungspflichtig werden, die Mitnahme zu anderen Arbeitgebern erleichtert und die Anlage in Aktien ermöglicht bzw. gefördert werden, schlussfolgert der Verbraucherzentrale-Chef.

Einfaches Standardprodukt gefordert

Müller beruft sich bei seinen Forderungen ausgerechnet auf eine Studie aus der Finanzwirtschaft. So hat eine Analyse des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) -eine Denkfabrik, die unter anderem von der Deutschen Bank und der Zurich finanziert wird- ergeben, dass die Betriebsrente im Vergleich zu anderen geförderten Formen der Altersvorsorge oft schlechter abschneide. Auch DIA-Sprecher Klaus Morgenstern stellt die Befreiung von der Sozialabgabepflicht gegenüber „Welt am Sonntag“ infrage. Diese sei als Anschubphase gedacht gewesen, damit mehr Menschen betrieblich vorsorgen: Man müsse aber überlegen, ob „die ungünstigen Wechselwirkungen mit der gesetzlichen Rente am Ende mehr Nachteile bringen“.

Der vzbv hat ein Positionspapier auf der Webseite veröffentlicht, wo er die Forderungen zusammenfasst. Und auch noch einmal gegen den Provisionsvertrieb schießt. "Auch in der bAV gibt es Angebote, bei denen bereits zu Beginn erhebliche Abschlusskosten anfallen, die zum großen Teil als Provision an den Vertrieb fließen. Diese Kostenvorauszahlung führt dazu, dass zu Beginn der Vertragslaufzeit große Teile des eingezahlten Kapitals gar nicht als Kapital im Vertrag landen", schreibt der Verband im Positionspapier. Er macht sich für ein Verbot von Provisionen für bestimmte Altersvorsorge-Produkte stark: ähnlich wie in England und den Niederlanden.

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Kritik an Versicherungslösung

Auch mit den vermeintlichen Garantien beim Versicherungsmantel gehen die Verbraucherschützer hart ins Gericht. „Vorsorge im Versicherungsmantel bietet keine Sicherheit“, argumentiert der Verband. Er schreibt: „Besteht beispielsweise die Gefahr, dass ein Versicherer dauerhaft nicht mehr imstande ist, seine Verpflichtungen zu erfüllen, kann die Garantie herabgesetzt werden. Auch bei den Rentenfaktoren können Versicherer einen garantierten Rentenfaktor ändern, wenn dies notwendig ist. Zusätzlich kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Ausnahmefällen auch „hart“ garantierte Leistungen senken oder die Auszahlung ganz stoppen“.

Die Verbraucherschützer plädieren für die Schaffung eines öffentlich-rechtlich organisierten Vorsorgefonds, der für die betriebliche Vorsorge genutzt, aber auch mit der privaten Altersvorsorge kombiniert werden könne. Vorbilder hierfür sind Länder wie Schweden oder Norwegen: Der norwegische Staatsfonds wies zum Stichtag 31. Dezember nach eigenen Angaben einen Gesamtwert von umgerechnet 1,046 Billionen Euro auf und machte im Coronajahr 2020 100 Milliarden Euro Gewinn.

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Wie sicher ist ein öffentlicher Vorsorgefonds?

Doch auch an einem solchen öffentlich organisierten Fonds gibt es Kritik: „Das ist nicht zu Ende gedacht, weil Kosten schöngerechnet, der administrative Aufwand unterschätzt und die kannibalisierende Wirkung gegenüber vorhandener Vorsorge ausgeblendet wird“, mahnte etwa Georg Thumes, Vorstandschef der Arbeitsgemeinschaft für bAV. Es bestünde zudem die Gefahr, dass ein solcher Fonds in Zeiten leerer Kassen nicht vor dem Zugriff des Staates sicher sei. Ein weiteres Argument: Entwickelt sich ein solcher Fonds nicht wie gewünscht und macht Verluste, könnte darunter die Akzeptanz in der Bevölkerung leiden. So machte etwa der Schwedische Staatsfonds in den ersten Jahren zweistellige Verluste, was den Unmut der Bürger und der Presse hervorrief: und ihm Legitimationsprobleme bescherte.

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