Versicherungsbote: Herr Weschenbach, Müllverwertungsanlagen sind ein wesentlicher Bestandteil von Kreislaufwirtschaft. Welche Rolle spielen solche Anlagen in Ihrer täglichen Arbeit?

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Robert WeschenbachRobert Weschenbachist Geschäftsführer der VMD-PRINAS, einem Maklerbetrieb, der sich auf technische Großanlagen spezialisiert hat.VMD-PRINASRobert Weschenbach: Müllverwertungsanlagen gibt es in unterschiedlicher Ausprägung: Sortieranlagen, Recyclinganlagen, mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlagen, Biovergärungsanlagen, Kompostierungsanlagen und auch thermische Abfallbehandlungsanlagen. Allen gemein ist, dass es Anlagen der Daseinsvorsorge sind. Als Versicherungsmakler vertreten wir die Interessen der Anlagenbetreiber gegenüber der Versicherungswirtschaft. Das prägt unseren Alltag ganz wesentlich.

Vor 20 Jahren wurde dieses Tätigkeitsfeld schon als zentrale Aufgabenstellung der VMD-PRINAS definiert - insbesondere für die thermischen Abfallbehandlungsanlagen, allgemein Müllverbrennungsanlagen genannt. Das Unternehmen hat früher selbst zu einem Anlagenbetreiber gehört. Aus unserer Erfahrung und dieser Vergangenheit resultiert unsere marktführende Stellung.

Wesentlicher Teil unserer Arbeit ist aber nicht nur die Begleitung unserer Kunden in allen Versicherungsfragen und im Schadenfall, sondern auch die frühzeitige Wahrnehmung erschwerter Marktgegebenheiten für die Branche. Deckungsengpässe entspringen meist einer veränderten zeichnungspolitischen Ausrichtung der Versicherer, die nur auf geschäftspolitischer Ebene besprochen werden kann. Um nachhaltig Veränderungen in der Politik der Versicherer zu erzielen, bringen wir Datenmaterial aus der Branche bei. Diese Hintergrundarbeit ist der Müllverwertungsbranche oft gar nicht so bewusst.

Obwohl diese Anlagen so wichtig sind, gibt es zunehmend Schwierigkeiten, passenden Versicherungsschutz zu finden. Woran liegt das?

Keine der von uns betreuten Anlagen leidet unter unzureichendem Versicherungsschutz. Es ist versichert, was versichert werden soll, zu 100 Prozent. Aber das hat auch Gründe:
1. Hausmüllverbrennungsanlagen sind sich ihrer hoheitlichen Aufgabe der Entsorgung im Auftrag des Bürgers sehr bewusst und legen größten Wert darauf, die Anlage immer verfügbar zu halten. Nichts ist schlimmer als der Anlagenstillstand. Um dieses Risiko möglichst gering zu halten, haben wir gemeinsam mit den Betreibern die Technik zur Branderkennung und Brandbekämpfung in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf ein sehr hohes Niveau gebracht. Die Zeichnungskriterien der Versicherungswirtschaft sind hier kontinuierlich eingeflossen. Auf dieser Grundlage ist die Assekuranz heute sehr wohl bereit, Feuerversicherungsschutz für diese Anlagen zu bieten.

2. Die VMD-PRINAS beobachtet seit 20 Jahren strukturiert die Entwicklung des Brandschutzes, der Beiträge, der Schäden und Selbstbehalte unserer Mandanten. Auf dieser Grundlage betreiben wir Aufklärung bei den Versicherungsunternehmen, denn mit Intransparenz und unzureichendem Datenmaterial erhält man keine Zeichnungsbereitschaft. Erst in diesem Jahr haben wir erneut einen Risikoträger in Deutschland entgegen seiner bisherigen Zeichnungspolitik zum Engagement in der Feuerversicherung für thermische Abfallbehandlungsanlagen bewegen können. Ein Dienst an der Sache, hiervon profitieren alle Betreiber. Der Schlüssel zum Erfolg ist also, die richtigen Menschen richtig anzusprechen.

Im Currenta-Entsorgungszentrum in Leverkusen gab es am 27. Juli eine Explosion, sieben Arbeiter verloren ihr Leben. Wie wirkt sich denn so ein Ereignis wie die Explosion in Leverkusen auf den Versicherungsschutz aus?

Negativ kann sich auswirken, dass in diesem Zusammenhang in einigen Medien verzerrend von einer Müllverbrennungsanlage gesprochen wurde. Für Außenstehende könnte damit der Eindruck entstanden sein, dass der Betrieb einer Müllverbrennungsanlage äußerst gefährlich ist, zu katastrophalen Schäden führt, unzureichende organisatorische Sicherheitsstandards und behördliches Versagen vorliegen. So etwas beeinflusst auch das Denken in manchen Etagen der Versicherungswirtschaft und kann negative Einflüsse auf die Zeichnungspolitik haben.

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Die Explosion in Leverkusen war angesichts der Opfer zweifellos eine Tragödie. Es handelt sich hier aber um einen Schaden an einem Nebenbetrieb eines Chemieparkbetreibers. Soweit ich es bis hierhin bewerten kann, geht es um die Lagerkessel für chemische Abfälle neben der speziellen Behandlungsanlage für teils gefährliche Chemikalien. Solche Ereignisse sind bei Hausmüllverbrennungsanlagen gar nicht denkbar. Diese Anlagen verarbeiten weder solche Stoffe, noch verfügen sie über solche Lagerstätten.

Müllverbrennungsanlage: Ein Brand kann bis zu 300 Mio. Euro Schaden verursachen

Mit welchen Schadenhöhen ist denn im Brandfall zu rechnen?

Eine klassische Müllverbrennungsanlage verfügt über eine Waage für die Lkw sowie eine Anlieferhalle, die an einen Müllbunker grenzt. Dann kommen der Müllkessel mit Dampferzeugung, der über Kräne beschickt wird, die Rauchgasreinigungsanlage, der Schornstein und die Aggregate zur Strom- und Fernwärmeerzeugung. Bis auf die Waage liegt meist alles nah beieinander.

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Wir sind aus unserer Erfahrung heraus sehr gut in der Lage, das aus Sicht der Versicherungswirtschaft bewertete Schadenpotenzial im Verhältnis zur Verwertungskapazität einer Anlage einzuschätzen. Bei einer Jahreskapazität von 300.000 Tonnen kann hier schnell eine mögliche Schadensumme von 250 bis 300 Mio. Euro bei einem einzigen Brand zustande kommen.

Wie kommt das zustande?

Für die Bewertung eines möglichen Großschadens wird meist nur eine Trennung der Komplexe als schadenverhütend betrachtet. Die organisatorischen und technischen Brandschutzstandards helfen bei der Frage der grundsätzlichen Zeichnungswürdigkeit und des Preises, bleiben hier aber meist außen vor. Insofern nimmt die Versicherungswirtschaft trotz der hohen Branderkennungs- und Brandbekämpfungsmaßnahmen theoretisch sehr hohe Großschadenszenarien bei der Zeichnungsentscheidung an, gepaart mit mäßiger bis hoher Eintrittswahrscheinlichkeit. Hieraus resultiert dann eine Begrenzung der Deckungskapazität.

Ähnlich wie bei einer Portfoliosteuerung am Kapitalanlagemarkt kommt hinzu, dass das Risiko heute verstärkt in der Breite gestreut und die Risikoausprägung nach oben hin begrenzt wird. Insofern stehen das Großschadenpotential, eine erhöhte Eintrittswahrscheinlichkeit und ein Diversifikationswille der Versicherungswirtschaft im Schulterschluss nebeneinander. Für Betreiber mit großen Anlagenvolumina und hoher Risikobewertung ist das kein einfacher Rahmen. Wobei ich nochmals betonen will: Es ist ausreichend Feuerversicherungsschutz am Markt vorhanden; es erfordert aber Know-how und Arbeit, ihn für den Kunden zu erlangen.

Solche Großrisiken werden ja oft zwischen mehreren Anbietern aufgeteilt. Wie hat sich die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei den Spezialanbietern in den letzten Jahren entwickelt?

Die Zusammenarbeit ist in der Regel von der Dienstleistung des qualifizierten Maklers geprägt. Dort werden die Versicherungsbedingungen und die Regeln des Konsortiums verfasst, die dann von den Anbietern bestätigt werden. Es entsteht eine Einheitlichkeit, aus der auch im Schadenfall eine gemeinsame Abwicklung der eigentlich unabhängigen Vertragsverhältnisse zwischen Versicherungsnehmer und jeweiligem Versicherer folgt. Diese Vorgehensweise liegt im Interesse der Betreiber. In den letzten Jahren hat aber eine kritischere Betrachtung dieser Bedingungen Einzug gehalten. Es wird nicht mehr alles einfach durchgewinkt. Da merkt man, dass gerade bei Individualgeschäft weniger Wettbewerb in der Versicherungswirtschaft herrscht. Außerdem möchten die Führungsversicherer bei ihrer qualifizierten Arbeit mit Versicherungsnehmer und Makler von den Beteiligten entsprechend zusätzlich vergütet werden, was hin und wieder Reibungswärme erzeugt hat.

Markt verhärtet sich nicht - er ist es schon

Marktbeobachter sprechen davon, dass der Markt ‚härter‘ wird. Teilen Sie diese Einschätzung? Woran machen Sie das fest?

Ich würde behaupten, dass sich der Markt nicht nur verhärtet, sondern ein harter Markt gegeben ist. Es ist deutlich, dass Versicherer in der Breite mehr Beitrag auf den Bestand umzusetzen versuchen. Es wird sehr hart verhandelt, gerade bei Risiken, in denen die besitzenden Versicherer vermeintlich wenig Wettbewerb erwarten. Bei Müllverbrennungsanlagen glauben viele Versicherer daran, dass dem so ist, und gehen mit hohen Forderungen für Beitragserhöhungen in den Markt. Einflüsse besonderer Ereignisse, wie die Explosion in Leverkusen oder die Überschwemmung in Süd- und Westdeutschland, sind hier übrigens noch außen vor. Hier ist der Makler als Interessenvertreter seiner Kunden besonders gefragt. Wer den speziellen Markt für diese Anlagen nicht genau kennt, kann dem besitzenden Konsortium dann nicht auf Augenhöhe begegnen.

Wenn Müllverbrennungsanlagen so wichtig sind, aber nur noch schwer zu versichern sind, braucht es dann eine Art Rettungsschirm? Vielleicht vergleichbar zu Atomkraftwerken, die über die Branchenlösung Extremus abgesichert sind?

Die Notwendigkeit eines Rettungsschirms sehe ich nicht. Denn wie gesagt, es handelt sich um ein versicherbares Risiko, das aber etwas mehr Arbeit und Einsatz erfordert als früher. Extremus ist zudem die Antwort der Versicherungswirtschaft auf das Risiko eines Terroranschlags und erweitert beziehungsweise ersetzt die heute in der gängigen Sachversicherung nur sehr begrenzte Deckung für die Folgen von Terroranschlägen. Es handelt sich nicht um eine Lösung für einen einzelnen Industriezweig wie beispielsweise Atomkraftwerke.

Worauf sollten sich Vermittler Ihrer Ansicht nach einstellen?

Als Einkaufsspezialist ist es wichtig, einen vorhandenen Markt nicht nur zu bedienen, sondern die Ansprüche des Marktes an einen selbst zu kennen, den Markt auszuweiten und insbesondere ihn zu sichern. Das gilt gerade, wenn es um sehr spezielle Lösungen geht, wie sie beispielsweise Betreiber thermischer Abfallbehandlungsanlagen benötigen. Nur so entsteht Versorgungssicherheit und bestmögliche Wirtschaftlichkeit. Nachhaltig wirkt hier ein sachlicher Dialog mit bekannten und neuen Risikoträgern. Durch konstruktiven Austausch und gemeinsame Datenanalyse kann auf die geltende Zeichnungspolitik Einfluss genommen werden.

Dadurch entsteht Deckungskapazität - auch für Kunden mit beschränktem Angebot aus dem Markt. Ebenso wichtig wie dieses Einwirken auf die Versicherungswirtschaft ist dafür der offene Dialog mit den eigenen Kunden über die Frage, was zur Sicherung von ausreichender Deckung im eigenen Haus zu tun ist. Niemand vermag es, den Versicherer zum Angebot oder den Kunden zur Verbesserung seiner Risikoqualität zu zwingen. Wenn man aber das gemeinsame Interesse beider Seiten aufzeigt, kann immer ein gutes Ergebnis erzielt werden. Ich sehe hier Makler mit nachweislich starkem Fokus auf einen speziellen Bereich perspektivisch sehr gut aufgestellt.

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Hinweis: Das Interview erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 02 /2021.

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