Aufatmen in der Versicherungsbranche: Die Pläne zur Einführung einer Bürgerversicherung, wie in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen vorgesehen, finden sich nicht im Sondierungspapier der drei beteiligten Parteien. „Das ist zunächst eine sehr gute Nachricht und Ausgangsbasis für uns Vermittler“, freut sich Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK).

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Völlig anders sieht das Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Sie vermisst in dem Papier, das Grundlage für Koalitionsgespräche bildet, Pläne zur Stärkung der häuslichen Pflege sowie zur Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung. Dass sich die FDP weiterhin gegen diesen wichtigen Schritt sperre, sei ihr unverständlich, so Bentele.

Tatsächlich bietet die Situation im Pflegebereich Anlass zu Sorge:

  • So stieg die Zahl der Leistungsempfänger von 2016 bis 2019 um knapp 45 Prozent von 2,94 Millionen auf 4,25 Millionen Menschen. In diesem Zeitraum stiegen auch die Leistungsausgaben massiv an. Von 29,95 Millionen auf 42,27 Millionen Euro (+ 41 Prozent).
  • Für 2021 erwartet die Soziale Pflegeversicherung (SPV) ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro. Im Juli 2021 meldeten die Ersatzkassen, dass Eigenanteil für Bewohner von Pflegeheimen im Bundesdurchschnitt 2.125 Euro pro Monat beträgt.
  • Und trotz der medialen Präsenz offenbarte eine Studie erhebliche Unwissenheit im Bezug auf Pflegekosten. So geht ein Großteil der Bevölkerung davon aus, dass vollstationäre Pflegekosten von der gesetzlichen Pflegeversicherung in voller Höhe getragen würden. Dieses Unwissen führt auch zu Untätigkeit in Sachen privater Vorsorge.

Dieser Darstellung widerspricht das Wissenschaftliche Institut der Privaten Krankenversicherer (WIP) in einer aktuellen Kurzanalyse. Demnach sei die gegenwärtig noch günstigere Bestandsstruktur in der PPV nur eine Momentaufnahme und könne nicht als Grund für einen Finanzausgleich oder gar eine Bürgerversicherung gesehen werden.

Die Altersstruktur der PPV sei stark von den Geburtsjahrgängen 1942 bis 1977 geprägt, die eine höhere Tendenz für einen Wechsel in die PKV (und somit auch in die PPV) hatten. Entsprechend sind diese Jahrgänge in der PPV anteilig stärker besetzt als in der SPV. Gemessen am jeweiligen Gesamtbestand der Versicherten machen diese Jahrgänge 54,4 Prozent in der PPV und 44,7 Prozent in der SPV aus. Schreibt man nun die gegenwärtigen Kollektive anhand der aktuellen Sterbetafeln fort, ist davon auszugehen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in der PPV schon bis 2030 deutlich stärker als in der SPV wachsen wird. „Unter Zugrundelegung der alters- und geschlechtsspezifischen Pflegequoten für 2019 in der SPV (BMG 2020a, b, c) bzw. PPV (PKV-Verband 2021) lässt sich eine Entwicklung der Pflegebedürftigen von +74 % in der PPV und +13 % in der SPV bis 2030 abschätzen“, heißt es beim WIP.

Privatversicherte sind teure Pflegefälle

Zudem, so das WIP, sind Privatversicherte Pflegebedürftige teure Pflegefälle: denn bei ihnen besteht eine überproportionale Besetzung der höheren Pflegegrade 4 und 5. So sind in der ambulanten Pflege in der PPV 18,2 Prozent der Leistungsempfänger in den Pflegegraden 4 und 5, in der SPV hingegen nur 12,8 Prozent. In der stationären Pflege sind es in der PPV 51,1 Prozent; in der SPV hingegen nur 42,5 Prozent (BMG 2021b). Die Folge: Bei identischen Versicherungsleistungen weist die PPV schon jetzt je Pflegebedürftigen um gut 18 Prozent höhere Leistungsausgaben aus. Diese lagen im Jahr 2019 in der PPV bei rund 11.962 Euro (inkl. Beihilfe), in der SPV bei rund 10.173 Euro.

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Käme es zu einem Finanzausgleich, wie ihn beispielsweise der VdK vorschlägt, käme es wohl schon nach wenigen Jahren zu Ausgleichszahlungen der SPV an die PPV, so das Fazit des WIP. Ein Szenario, das bei Sozialverbänden für heftige Unruhe sorgen dürfte.

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