Versicherungsbote: Laut Koalitionsvertrag wollten Sie bereits in dieser Legislaturperiode -gemeinsam mit der Union- ein einfach zu verstehendes Riester-Standardprodukt sowie eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige umsetzen. Warum ist dies gescheitert bzw. konnten Sie das nicht umsetzen?

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Ralf Kapschack: Wir hatten uns viel vorgenommen, aber die Corona-Pandemie hat Schlüsselministerien dieser Reformen – das BMAS und das BMF – ganz gut beschäftigt. Hier wurde Großes geleistet. Eine Altersvorsorgepflicht gegen Bedenken des Koalitionspartners durchzusetzen war dann nicht mehr drin, ebenso das immer wieder geforderte Standardprodukt.

Wie positioniert sich Ihre Partei zu einer Altersvorsorge-Pflicht für Selbstständige – und wie könnte diese gestaltet sein? Mindestens 700.000 Selbständige sorgen nicht für ihr Alter vor, so eine DIW-Studie. Dennoch haben diese Menschen im Alter Anrecht auf Grundsicherung und werden mit Steuergeldern aufgefangen.

… indem wir eine Erwerbstätigenversicherung einführen. Selbstständige zahlen dann in die gesetzliche Rentenversicherung ein, wie alle anderen auch. Dazu können sie privat vorsorgen, wie alle anderen auch. Wer im Alter auf Grundsicherung angewiesen ist, dem helfen wir in unserem Sozialstaat. Eine Erwerbstätigenversicherung würde jedoch den Anteil der grundsicherungsbedürftigen selbstständigen Rentner deutlich verringern.

Die betriebliche und private Altersvorsorge werden durch dauerhaft niedrige Zinsen am Kapitalmarkt belastet: Die Anbieter sind gesetzlich gezwungen, große Teile der Beiträge in Anleihen zu investieren, sofern sie Garantien bieten. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) warnt, vollständige Beitragsgarantien seien mit den niedrigen Zinsen bei mehreren Vorsorgeformen nicht mehr darstellbar. Brauchen hier Versicherer, Pensionskassen und -fonds mehr Freiheiten, etwa dass sie Garantien beschneiden und das Geld stärker in Aktien und Fonds investieren können?

Altersvorsorge zunehmend an den Kapitalmarkt zu knüpfen, halte ich für verhängnisvoll. Ist die Weltfinanzkrise schon vergessen? Wer das will, kann das tun. Er/Sie muss aber wissen, worauf sie sich einlassen. Jegliche verpflichtende und staatlich unterstützte Altersvorsorgeprodukte müssen meiner Meinung nach mit einer Form von Garantie verbunden sein. Das ist übrigens eine große Stärke der gesetzlichen Rentenversicherung und ein Grund, warum ich wenig von der FDP-Aktienrenten halte. Zusätzliche Vorsorgeprodukte können – bei höherem Anlagerisiko – auf eine Garantie verzichten. Allerdings habe ich aus verschiedenen Gesprächen mit Betriebsräten und Gewerkschaften mitbekommen, dass der Appetit zum Beispiel für eine Betriebsrente, die 80 Prozent der Einzahlungen garantiert, sehr gering ist. Gerade Geringverdiener überlegen zweimal, wenn sie den hart ersparten Euro nur vielleicht ganz zurückbekommen, zudem ohne Zinsen. Das kann ich gut verstehen. Die Beitragsgarantie ist also nicht unbedingt eine gesetzliche Hürde, sondern eine Frage von Attraktivität für Anleger.

Vom Niedrigzins betroffen ist auch die staatlich geförderte Riester-Rente, die für einen Markt mit stabilen Zinserträgen „designt“ wurde. Das Neugeschäft stagniert seit Jahren. Wofür plädieren Sie: Neustart oder Abstellgleis? Welche Reformen könnten Riester wieder populärer machen?

Ich denke, wir sollten andere Möglichkeiten schaffen, für das Alter vorzusorgen. Deswegen fordern wir auch, dass man zukünftig freiwillig Beiträge an die Rentenversicherung entrichten kann, um die Ansprüche aufzubessern. Der Ruf von Riester hat nicht alleine wegen der Zinspolitik der EZB gelitten, sondern auch an den hohen Verwaltungskosten der Anbieter.

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?

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In meinem wirtschaftswissenschaftlichen Studium kam eine Situation, die wir jetzt seit Jahren haben, nämlich Negativzinsen, nicht vor. Das heißt, wir haben eine außergewöhnliche Situation, die durch die Pandemie noch einmal verschärft wird. Es macht aber aus meiner Sicht wenig Sinn, jetzt Kapitalmarktphantasien zu beflügeln und die Leute in diese Richtung zu treiben. Eine gute Vorsorge für das Alter ist neben der gesetzlichen Rente und betrieblichen Altersvorsorge die Schaffung von Wohneigentum. Das wird ja auch staatlich gefördert. Und der Bedarf ist groß.

Staatsfonds: "Von den Schweden können wir in der Tat lernen!"

Versicherungsbote: Die deutsche Bevölkerung gilt als vergleichsweise kapitalmarktscheu und sicherheitsorientiert in der Altersvorsorge. Trotz steigendem Trend hat nur etwa jeder Sechste (17,5 Prozent) ab 14 Jahren in Aktien, Aktienfonds und ETFs investiert: deutlich weniger als in anderen Industriestaaten. Würden Sie eine breitere Aktionärskultur in Deutschland begrüßen? Was müsste angestoßen werden, um die Deutschen zu Aktionären zu machen?

Ralf Kapschack: Das müsste man jetzt einen Soziologen fragen, wo Anlagekultur und Sicherheitsbedürfnisse herrühren. Ich finde es jedenfalls nicht nötig, dass wir ein Volk der Aktionäre werden. Dass die von Ihnen zitierte Statistik schon Jugendliche ab 14 Jahren einbezieht, finde ich sogar bedenklich. Letztendlich soll jeder gerne so zusätzlich vorsorgen, wie er will.

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Mir scheint, fast alle Parteien sind der Idee eines Staatsfonds gegenüber nicht abgeneigt, etwa nach dem Vorbild Schwedens und Norwegens. So soll das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente durch einen Kapitalstock ergänzt werden. Würden Sie für Ihre Partei einen solchen Staatsfonds begrüßen? Wenn ja: Wer soll ihn verwalten - und wie soll er organisiert sein, damit Bürgerinnen und Bürger ihn akzeptieren?

Von den Schweden können wir in der Tat lernen. Zum Beispiel liegt der Arbeitgeberanteil an der Rentenversicherung bei 60 Prozent. Aber auch der Staatsfonds ist interessant – wenngleich das deutsche Volumen ein Vielfaches des schwedischen ausmachen würde, wenn man das eins zu eins überträgt. Denkbar ist für uns, dass die von mir oben erwähnten freiwilligen Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung in einem solchen Fonds gebündelt werden. Das Ganze könnte unter dem Dach der Rentenversicherung organisiert werden. Das würde auch Vertrauen und Akzeptanz schaffen.

Unsere Leser sind mehrheitlich Versicherungsvermittlerinnen und -vermittler. Laut GfK-Umfrage hat kein anderer Berufsstand ein derart schlechtes Image. Anders sieht es aus, wenn Kundinnen und Kunden zur Zufriedenheit mit ihrem persönlichen Vermittler befragt werden: fast zwei Drittel bewerten ihn laut YouGov-Umfrage mit „sehr gut“ oder gar „ausgezeichnet“. Gegenüber uns wird oft beklagt, dass der Berufsstand zum Sündenbock für Fehlentwicklungen gemacht wird: über Skandale wird berichtet, doch wenn das Gros gute Arbeit macht, ist das keine Schlagzeile wert. Wie positioniert sich Ihre Partei zur Vermittlerschaft? Gibt es Ziele, die direkte Auswirkungen auf den Berufsstand hätten?

Dann geht es Ihnen ja fast so wie uns Politikern. Ehrlich gesagt sehe ich nicht, wie der Gesetzgeber das Image einer Branche verbessern kann. Klar ist, schwarze Schafe werden oft als abschreckendes Beispiel herangezogen. Deshalb ist in erster Linie die Branche selber gefordert, durch strenge Verhaltensregeln für eine bessere Außendarstellung zu sorgen.

Würden Sie ein Provisionsverbot in der Lebensversicherung und kapitalbildenden Altersvorsorge befürworten? Bitte begründen Sie die Positionierung.

Wir haben uns in dieser Legislaturperiode für einen Provisionsdeckel eingesetzt, aber unser Koalitionspartner wollte das nicht mittragen. Dabei hätte ein Deckel sicherlich auch zum Vertrauen in die Branche beigetragen, denn der Kunde muss sich nicht fragen, ob ihm zum Beispiel eine Lebensversicherung empfohlen wird, weil der Berater gut daran verdient. Im Sinne der Transparenz wäre das sicherlich für Verbraucher, Anbieter und Vermittler gut gewesen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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