Wer in Deutschland auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist, besser bekannt als Hartz IV, dem drohen selbst bei kleinen Vergehen empfindliche Strafen. Schon wer einen Termin verpasst, muss damit rechnen, dass ihm das Geld gekürzt wird: auch wenn dadurch eine würdevolle Existenz nicht mehr gewährt ist. Rund eine Millionen Menschen sind pro Jahr davon betroffen, dass sie weniger erhalten als das notwendige Existenzminimum, berichtet das Aktionsbündnis sanktionsfrei.de mit Bezug auf Daten der Bundesagentur für Arbeit. Das Bundesverfassungsgericht hat Sanktionen 2019 für teilweise verfassungswidrig erklärt, seitdem dürfen sie nicht mehr unter 30 Prozent gekürzt werden.

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Die SPD will auch aufgrund der umstrittenen Sanktionen das ALG II durch ein neues Konzept ersetzen. Die Hartz-IV-Grundsicherung soll wegfallen, an ihre Stelle ein sogenanntes Bürgergeld treten. „Das Bürgergeld muss absichern, dass eine kaputte Waschmaschine oder eine neue Winterjacke nicht zur untragbaren Last wird“, heißt es hierzu im Wahlprogramm. Und auch an die Strafen bei Verstößen sollen zumindest abgemildert werden. Man wolle dem Bürger nicht mehr misstraurig gegenüber stehen und systematisch nach Regelverstößen forschen, kündigt die Partei an. Zwar sollen bestimmte Mitwirkungspflichten erhalten werden. Aber: „Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen schaffen wir ab“, versprechen die Sozialdemokraten.

Peter Hartz: „Pläne machen mich sprachlos“

Wenige Tage vor der Bundestagswahl meldet sich nun der Gründervater des ALG II zu Wort: Peter Hartz, der ehemalige Vorsitzende der umgangssprachlich nach ihm benannten Kommission. Hartz ist selbst SPD-Mitglied: Das heute geltende Konzept wurde 2005 unter seiner Federführung eingeführt. Und er macht deutlich, dass er von einer Abschaffung der Sanktionen wenig bis gar nichts hält.

„Diese Pläne machen mich, ehrlich gesagt, sprachlos“, sagte Hartz dem Wirtschaftsmagazin „Euro“ (Erscheinungstag: 22. September). Und weiter: „Wenn es keinerlei Sanktionsmechanismus gibt, führt das zu Ineffizienz“. Zudem verteidigte der 80jährige das von ihm mitentwickelte Konzept. „Wir waren damals überzeugt: Das Problem der Arbeitslosigkeit ist zu lösen. Und unter dem Strich haben dies die Reformen zum guten Teil erreicht und sind ein großer Erfolg geworden.“

Peter Hartz nennt für die Zeit nach der Bundestagswahl in dem Interview mit "Euro" eigene Reformideen. „Wer auch immer dann das Arbeits- oder das Wirtschaftsministerium leiten wird - sie ließen sich sofort umsetzen“, so der frühere Manager. Ein Beispiel sei das sogenannte Minipreneure-Konzept. „Dabei geht es darum, dass sich Langzeitarbeitslose selbst zum Projekt machen. Gemeinsam arbeiten sie freiwillig in Arbeitsgruppen unter Anleitung daran, wie sie wieder in den Arbeitsmarkt kommen können: angestellt oder selbstständig.“

Ähnliche Ideen sind aber in der Vergangenheit bereits gescheitert. So boomten ab 2003 sogenannte Ich-AGs, staatlich gefördert: Neugründungen von Arbeitslosen. Wegen anhaltender Kritik und fehlendem Erfolg wurde der Forderungsanspruch durch den sogenannten Gründungszuschuss abgelöst. Es besteht nun kein Rechtsanspruch mehr darauf: Ob man ihn erhält, liegt seit 2011 im Ermessen der Jobbetreuer.

Jede(r) Fünfte Hartz-IV-Empfänger ist Aufstocker

Peter Hartz hatte ab 2002 die „Regierungskommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ angeführt, wesentlicher Ideengeber für die Agenda 2010, die der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder in seiner zweiten Amtszeit gemeinsam mit Bündnis 90/ die Grünen umgesetzt hatte. Zum 1. Januar 2005 trat das entsprechende Zweite Buch Sozialgesetzbuch in Kraft.

Kern der Reform - und bis heute umstritten - war die Zusammenlegung der vorherigen Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einem staatlich finanzierten Arbeitslosengeld II. Wer länger als 12 Monate arbeitslos ist, dem wird fortan nur noch eine Grundsicherung auf niedrigem Niveau zugestanden, geknüpft an strenge Bedingungen.

Verbunden ist Hartz IV auch mit einem Verlust an sozialem Ansehen. Viele Vorurteile ranken sich darum: etwa, dass die Betroffenen faul seien und in der sozialen Hängematte liegen. Doch nur etwa drei Prozent der etwa 3,86 Millionen Empfängerinnen und Empfänger werden sanktioniert, so zeigt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Das Gros der Betroffenen leidet unter der Arbeitslosigkeit und will sich wieder auf dem Arbeitsmarkt integrieren, wie die Bundesagentur selbst betont.

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Hartz IV bedeutet auch keineswegs, dass man untätig ist. Jede(r) Fünfte ist Aufstocker und erhält Grundsicherung, weil ein Job oder gar mehrere Tätigkeiten zum Leben nicht reichen. Zudem sind viele Menschen auf Hartz IV angewiesen, weil sie Angehörige pflegen oder Kinder erziehen. Ein Beispiel: Jede(r) dritte Alleinerziehende (34,8 Prozent) erhält Hartz-IV-Leistungen, darunter auch viele Erwerbstätige, so zeigen Daten des Bundesarbeitsministeriums.

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