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Versicherungsbote: Mein Eindruck: Fast alle Parteien, die zur Bundestagswahl 2021 antreten, halten das Rentensystem und die Altersvorsorge für reformbedürftig. Würden Sie für Ihre Partei zustimmen — weshalb muss der Status Quo verändert werden?

Ralf Kapschack: Als zentrale Säule der Alterssicherung muss die gesetzliche Rente gestärkt werden. Da geht es um Vertrauen in den Sozialstaat und auch in die Demokratie. Deshalb braucht es ein klares Bekenntnis zur gesetzlichen Rente – gerade auch angesichts der Herausforderungen durch demografischen Wandel und Babyboomer im Rentenalter. Außerdem sehen wir eine grundsätzliche Gerechtigkeitsfrage. Eine solidarisch umlagefinanzierte gesetzliche Rente sollte von allen für alle finanziert werden – Arbeitnehmern, Beamten, Selbstständigen und politischen Mandatsträgern.

…daran anknüpfend: Welche Elemente im Rentensystem wollen Sie beibehalten, weil Sie sagen: Das hat sich so bewährt?

Die gesetzliche Rentenversicherung ist deutlich besser als ihr Ruf. Wir wollen sie zu einer Erwerbstätigenversicherung ausbauen, in die eben alle einzahlen. Als beste Ergänzung spielt die betriebliche Altersvorsorge eine Rolle. Da gibt es ja viele Tarifverträge mit entsprechenden Regelungen. Das Sozialpartnermodell, das wir mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz auf die Schiene gesetzt haben, läuft etwas mühsam an, aber langsam kommt es ins Rollen. Hier kann man durchaus überlegen, ob weitere Anreize sinnvoll sind.

Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die Bundesbürger Altersarmut fürchten — und was kann dagegen getan werden?

Altersarmut ist ein wichtiges Thema und bereitet vielen Menschen Sorgen. Dagegen vorzugehen fängt bereits im Erwerbsleben an. Ein Mindestlohn von mindestens 12 Euro und mehr Tarifverträge und -bindung sorgen dafür, dass Menschen Ansprüche auf eine armutsfeste Rente erwerben können. Die Beschäftigung im Niedriglohnsektor hat für Millionen Menschen Auswirkungen auf ihre Rente. Mir ist dabei wichtig, dass wir nicht die Grundsicherung als Armutsgrenze akzeptieren, wie das in der politischen Diskussion sehr oft geschieht. Armut beginnt dort, wo gesellschaftliche Teilhabe nicht mehr möglich ist. Das geht über eine pure Existenzsicherung hinaus. Mit der Grundrente haben wir die Rentenansprüche von Menschen aufgewertet, die ein Leben lang gearbeitet, aber wenig verdient haben. Das war ein wichtiger erster Schritt. Aber es muss weitergehen.

Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute, u.a. das DIW Berlin, plädieren dafür, die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rente an die steigende Lebenserwartung anzupassen. Die Begründung: immer mehr Rentnerinnen und Rentner stehen immer weniger Erwerbspersonen gegenüber. Werden die Deutschen künftig länger arbeiten müssen? Wenn nein: Was wären Alternativen, um eine längere Lebensarbeitszeit abzuwenden und dennoch den Rentenbeitrag stabil zu halten?

Hier kann ich direkt auf Ihre nächste Frage vorgreifen – viele Menschen schaffen es schon jetzt nicht, die Regelaltersgrenze zu erreichen. Für sie und andere, die es gerade so schaffen, klingt die gebetsmühlenhafte Forderung „länger Arbeiten“ zynisch. Oft sind es diejenigen, die harte körperliche Berufe haben und wenig verdienen, die früh in Rente gehen müssen. Das bei einer ohnehin nicht sehr hohen Rente.
Auch die steigende Lebenserwartung ist nicht gleich verteilt – das hat ebenfalls etwas mit Einkommen und Lebensumständen zu tun. Kurzum: mit uns wird es keine Erhöhung der Regelaltersgrenze geben, denn sie trifft vor allem Geringverdiener doppelt hart. Es kann weitere Anreize geben, länger zu arbeiten. Aber keine pauschale Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Entscheidend für die Zukunft der Rente ist eine gute Beschäftigungslage. Wenn man sich Vergleiche mit anderen Ländern anschaut, gibt es da durchaus noch Potential – gerade bei Älteren, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Eine Erwerbstätigenversicherung würde zudem die finanziellen Herausforderungen durch die Babyboomer abfedern.

Jeder fünfte Deutsche erreicht das Rentenalter nicht, so geht aus Zahlen der Deutschen Rentenversicherung hervor. Eine geringere Lebenserwartung korreliert mit niedrigen Einkommen, brüchiger Erwerbsbiographie und auch körperlich schweren Tätigkeiten. Zugleich erwarten ganze Branchen im Schnitt niedrige Renten: Unterdurchschnittliche Rentenansprüche werden zum Beispiel in der Altenpflege, im Einzelhandel und in der Landwirtschaft erwartet. Droht hier ein Gerechtigkeitsdefizit - wenn ja, wie kann gegengesteuert werden?

Hier droht kein Gerechtigkeitsdefizit, es besteht bereits. Die Lösung dafür sehe ich in Tarifverträgen und einer breiteren Tarifbindung. Wir haben in der letzten Sitzungswoche noch eine bessere Bezahlung in der Pflege durchboxen können. Besser wäre es gewesen, wenn die Tarifpartner das ohne Einmischung des Bundestags geschafft hätten – aber da haben die kirchlichen Träger leider nicht mitgemacht. Die IG Metall in Niedersachsen hat außerdem Phantasie bewiesen, indem sie Arbeitgeberzuschüsse für einen früheren Renteneintritt ohne Abschläge verhandelt hat. Solche Wege kann man also schon jetzt gehen.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig. Teil 2 des Interviews mit Ralf Kapschack zur Reform der privaten Altersvorsorge finden Sie hier.

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