„Klassische“ Vorsorgeprodukte der Lebensversicherung mit garantiertem Rechnungszins lohnen sich für Lebensversicherer schon länger nicht mehr. Denn in Zeiten von Null- und Minuszinsen lassen sich Garantien kaum noch erwirtschaften. Das gilt umso mehr, als Lebensversicherer unter alten Garantien ächzen, die weiterhin bedient werden müssen. Bis zu vier Prozent versprachen Lebensversicherer noch bis zum Jahr 2000, um Kunden an Verträge zu binden – heutzutage eine nahezu utopisch wirkende Zahl.

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Da wirkt es nahezu als Segen, dass schon 2011 der Gesetzgeber die sogenannte Zinszusatzreserve (ZZR) als obligatorischer Sicherheitspuffer für die Branche einführte, damit Versicherer auch genügend Eigenkapital-Polster für sinkende Zinsen aufbauen. Damals freilich war von heutigen Verwerfungen noch nichts zu ahnen. Bei über drei Prozent lagen damals noch die Renditen auf deutsche Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit. Mittlerweile hingegen liegen sie im negativen Bereich. Allerdings legen Lebensversicherer branchenweit noch immer 83,2 Prozent der Einnahmen in festverzinslichen Anlagen an. Nur durch genügend Reserven können die alten Garantien überhaupt noch bedient werden.

Auch der Referenzzins ist im Sinkflug

Die Berechnung der Zinszusatzreserve ist an einen Referenzzins gebunden – gesetzliche Grundlage ist Paragraph 5 der Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV) in Verbindung mit Paragraph 341f des Handelsgesetzbuchs (HGB). Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ermittelt den Referenzzins jeweils Ende September. Seit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) von 2014 orientieren sich Referenzzins und damit auch Zinszusatzreserve am Niveau von Null-Kupon-Euro-Zinsswapsätzen mit einer Laufzeit von zehn Jahren (Versicherungsbote berichtete).

Freilich: Nullkuponanleihen leiden auch unter dem Niedrigzins, so dass der Referenzzins ebenfalls im Sinkflug ist. In 2014 lag er noch bei 3,15 Prozent und in 2018 bei 2,09 Prozent. Zuletzt aber, in 2020, lag er bei 1,73 Prozent. Bestände mit einem Rechnungszins ab 1,75 Prozent aufwärts sind von der Zinszusatzreserve betroffen und müssen auf den Referenzzins nachreserviert werden.

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Und im Niedrigzinsumfeld klafft die Spanne immer mehr auseinander zwischen den Verpflichtungen der Versicherer und dem, was Versicherer für ihre festverzinslichen Anlagen erhalten. Die Experten von Assekurata führen aus: Die durchschnittliche Garantiezinsanforderung der Branche liegt nominell mit 2,63 Prozent deutlich über dem aktuellen Zinsniveau in der Neuanlage. Nur das Polster der Zinszusatzreserve verkleinert den Spalt, so dass aktuell noch 1,59 Prozent an Zinsgarantien zu bedienen sind.

130 Mrd. Euro als Reserve nötig

Denn seit 2011 hat die Branche fleißig nachreserviert: 87 Milliarden Euro liegen derzeit in der Zinszusatzreserve. Bei Fortschreiben des aktuellen Zinsniveaus müsste die Branche allerdings bis 2027 eine Reserve von knapp 130 Mrd. Euro aufbauen, um alle bisherigen Garantien zu bedienen. Die Experten von Assekurata weisen in diesem Kontext darauf hin, dass es große bestandsindividuelle Unterschiede zwischen den Unternehmen gibt.

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Auch auf Kapitalanlagerenditen hat die Zinszusatzreserve Auswirkungen: Durch Auflösung von Bewertungsreserven zur ZZR-Finanzierung gehen Nettoverzinsung und laufende Durchschnittsverzinsung deutlich auseinander. Während die laufende Durchschnittsverzinsung bei 2,70 Prozent in 2020 liegt, liegt die Nettoverzinsung bereits bei 3,90 Prozent.

Branchen-Rohüberschuss speist sich immer mehr aus Risiko-Ergebnis

Die Zinszusatzreserve wird die Kapitalanlage in den kommenden Jahren weiter beanspruchen. Schon jetzt hat de Sicherheitspuffer für Altgarantien auffallende Auswirkungen auf die Ergebnisstruktur beim Branchen-Rohüberschuss, wie die Experten von Assekurata darlegen: Ergebnisquellen haben sich aufgrund der Zinszusatzreserve deutlich verschoben.

Zwischen 2010 und 2014 steuerte das Risikogeschäft einen Betrag von 7,2 Prozent der gebuchten Bruttoprämien zum Rohüberschuss bei und die Kapitalanlage einen Betrag von 8,9 Prozent der gebuchten Bruttoprämien. Zwischen 2015 und 2019 hingegen steuerte das Risiko- und damit Prämiengeschäft einen Betrag von 8,2 Prozent der gebuchten Bruttoprämien zum Rohüberschuss bei und die Kapitalanlage nur noch einen Betrag von 4,6 Prozent.

Wichtigste Ergebnisquelle für den Rohüberschuss ist also mittlerweile das Risikogeschäft, während große Teile der Kapitalanlage in die Zinszusatzreserve fließen. Auch sinkt der anteilige Branchen-Rohüberschuss insgesamt. Zwischen 2010 und 2014 lag er bei einem Betrag von 15,7 Prozent der gebuchten Bruttoprämien. In den darauffolgenden Jahren 2015 bis 2019 allerdings brachte es der Rohüberschuss nur noch auf einen Betrag von 12,2 Prozent der gebuchten Bruttoprämien.

Andererseits floß zwischen 2010 und 2014 ein Betrag in Höhe von durchschnittlich fünf Prozent der gebuchten Bruttoprämien in die Zinszusatzreserve. Zwischen 2015 und 2019 hingegen floss ein Betrag von durchschnittlich 12,5 Prozent der gebuchten Bruttoprämien in die ZZR.

Absinken des Höchstrechnungszins: Ende der klassischen Lebensversicherung?

Überhaupt wird es zum Produktwechsel in der Lebensversicherung kommen müssen – und zwar aufgrund des Absinkens des Höchstrechnungszinses auf 0,25 Prozent ab 2022. Warum dies so ist, veranschaulichen die Experten von Assekurata an einer Modellrechnung.

Für eine Lebensversicherung mit marktüblichen Kosten nämlich – Monatsbeitrag 200 Euro, Laufzeit 30 Jahre, eine Beitragssumme von 72.000 Euro – könnte bei diesem Höchstrechnungszins schon ein Beitragserhalt nicht mehr garantiert werden.

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Mindestens 0,77 Prozent wären nötig, um die eingezahlten Gelder zu garantieren. Die Experten schlussfolgern in ihrem Marktausblick: Tarife mit Garantie auf vollständigen Beitragserhalt sind ein Auslaufmodell. Die Landschaft der Lebensversicherungen wird sich ab 2022 noch mehr ändern, als sie es eh schon tut.

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