Die betriebliche Altersvorsorge (bAV) soll eine zentrale Stütze sein, damit Beschäftigte im Ruhestand gut versorgt sind. Der Staat fördert sie: Bis zu einer bestimmten jährlichen Höchstgrenze können Beiträge unversteuert und sozialabgabenfrei direkt aus dem Bruttogehalt gezahlt werden. Es bleibe wichtig, betrieblich vorzusorgen, so wirbt die Bundesregierung auf ihrer Webseite. Und zieht das Fazit: „Die betriebliche Altersvorsorge lohnt sich!“

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Ob sie sich tatsächlich lohnt, und zwar auch für die Anbieter, daran meldet aber nun die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) Zweifel an. „Wenn die Rechnung nicht mehr aufgeht: Niedrigzins in der bAV“ ist ein Aufsatz betitelt, der im Fachmagazin „Aktuar aktuell“ Nr. 54 abgedruckt ist. Die Mathematiker haben in einer Analyse die Auswirkungen der üblichen Garantien in Zeiten niedriger Zinsen untersucht. Und kommen zu dem Fazit, dass unter den aktuellen Rahmenbedingungen die vorgeschriebene Bruttobeitragsgarantie immer schwieriger darzustellen ist. Schließlich müssen die Anbieter gewährleisten, dass den Sparerinnen und Sparern zu Rentenbeginn mindestens die eingezahlten Beiträge zur Verfügung stehen. Nicht nur zukünftig werde das schwierig: auch heute schon sei die Beitragszusage im Grunde nicht mehr erwirtschaftbar.

Versicherungsförmige Lösungen unter Druck

Mit speziellem Schwerpunkt haben sich die Aktuare - gemeinsam Institut der versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. (IVS) - jene Durchführungswege angeschaut, die in Form einer Versicherung organisiert sind. Diese müssen zu Rentenbeginn eine bestimmte Leistung garantieren, wobei ihnen enge Grenzen gesetzt sind. Auch mit Blick auf den Zins: Der Gesetzgeber und die Finanzaufsicht schreiben vor, dass ab dem 1. Januar 2022 mit einem Höchstrechnungszins von 0,25 Prozent im Neugeschäft gerechnet werden muss. Aktuell liegt er noch bei 0,9 Prozent.

Versicherungsförmige Lösungen der bAV werden über Pensionsfonds, Pensionskassen und die Direktversicherung angeboten. Eine versicherungsförmige Garantie ist dadurch charakterisiert, dass im Rahmen eines Versicherungs- bzw. Versorgungsverhältnisses sowohl die Höhe der Leistungen als auch die Höhe der für diese Leistungen zu entrichtenden künftigen Beiträge zwischen dem Versorgungsträger (Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds) und dem Versicherungsnehmer fest vereinbart sind. Ebenfalls eine versicherungsförmige Garantie stellt dar, wie das angesparte Versorgungskapital zu Rentenbeginn verrentet wird. Die versicherungsförmigen Garantien werden hierbei als Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) und als beitragsorientierte Leistungszusage (BOLZ) vereinbart.

Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML): Beitragsgarantie nicht mehr darstellbar

In der Studie wurde nun anhand von Rechenmodellen geschaut, welchen Einfluss der Kalkulationszins auf die Höhe möglicher Garantien hat: stark vereinfacht der Zins, der für die Kalkulation des Verhältnisses von Beitrag und garantierter Leistung verwendet wird. Dabei wurden die marktüblich anfallenden Kosten der Verträge veranschlagt. Zudem wurde vereinfachend angenommen, dass über die gesamte Laufzeit dieselbe Summe eingezahlt wird und kein Risikoschutz bei Tod oder Invalidität vereinbart.

Ausgangspunkt ist bei der Beitragszusage mit Mindestleistung, dass -wie es der Name bereits erahnen lässt- mindestens die eingezahlten Beiträge zum Rentenbeginn zur Verfügung stehen müssen (Kapitalerhalt). Dabei lassen sich die Beiträge in drei Teile gliedern: Jener Teil, mit dem die Kosten des Anbieters gedeckt werden müssen, ein weiterer Teil -soweit vereinbart- für versicherte Risiken wie Tod oder Individualität sowie der verbleibende Sparbeitrag. Die Kapitalleistung hängt dabei von der unterstellten Verzinsung, der Laufzeit der Vereinbarung und den bei mittelbarer Durchführung anfallenden Verwaltungskosten ab.

Dabei ist der Kapitalerhalt zum Ende der Anwartschaft in Zeiten niedriger Zinsen eine Herausforderung für die Anbieter: Der Erhalt gelinge nur, „wenn die Sparbeiträge so verzinst werden können, dass die zur Kostendeckung verbrauchten Beitragsteile bis zum Rentenbeginn durch entsprechende Kapitalerträge wieder hereingeholt werden“, heißt es in dem Aufsatz.

Auch ohne Abschlusskosten 100 Jahre Vertragslaufzeit notwendig

Aber ausreichend hohe Kapitalerträge erwirtschaften, gelingt mit niedrigem Kapitalzins immer seltener bzw. gar nicht. Mit einem Kalkulationszins von 0,9 Prozent war mit den marktüblichen Kosten eine Laufzeit von 15 Jahren notwendig, um den 100prozentigen Kapitalerhalt der eingezahlten Beiträge zu garantieren. Bei 0,5 Prozent Kalkulationszins sind es bereits 37 Jahre Mindestlaufzeit. Und bei 0,25 Prozent müsste der Vertrag mehr als 100 Jahre laufen, um alle Kosten zu erwirtschaften. Mit anderen Worten: Der Beitragserhalt ist de facto nicht mehr darstellbar, die Rechnung geht nicht auf. Für dieses Modell haben die Aktuare mit folgenden Kosten gerechnet: Kosten für Abschluss und Vertrieb 1,5 Prozent der Beitragssumme, Inkasso-Kosten drei Prozent der Beitragssumme sowie Kosten für die Verwaltung 0,25 Prozent.

Doch auch, wenn man die Kosten für Abschluss und Vertrieb herausrechnet, sieht es nicht besser aus. Hier sei daran erinnert, dass regulierte Pensionskassen -in der Regel Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit- gemäß § 233 VAG keine rechnungsmäßigen Kosten für Abschluss und Vertrieb berechnen dürfen. Doch damit ändert sich die Mindestlaufzeit nicht in dem Maße, dass realistische Vertragslaufzeiten erzielt werden können:

Bei Abschlusskosen gleich Null beträgt die notwendige Laufzeit zum Erreichen der Mindestleistung neun Jahre, wenn mit einem Kalkulationszins von 0,9 Prozent gerechnet wird. Bei 0,75 Prozent Kalkulationszins erhöht sich die Mindestlaufzeit auf 12 Jahre, was immer noch realistisch ist. 24 Jahre muss der Vertrag bedient werden, damit die Kosten bei einem Kalkulationszins von 0,5 Prozent ausgeglichen werden können. Und beim drohenden Kalkulationszins von 0,25 Prozent beträgt die notwendige Laufzeit: erneut mehr als 100 Jahre. Folglich ist selbst dann die 100prozentige Bruttobeitragsgarantie unter den aktuellen Rahmenbedingungen illusorisch, wenn keine Vertriebs- und Abschlusskosten anfallen.

niedrigere Kosten: Bei Kalkulationszins von 0,25 Prozent noch immer unrealistische Laufzeiten

Ein Argument könnte nun sein: Um die Bruttobeitragsgarantie zu gewährleisten, müssen die Vorsorgeanbieter eben an ihren Kosten schrauben. Auch das haben die Aktuare simuliert. So wurden die Kostenparameter deutlich nach unten geschraubt: und Inkassokosten von 2,0 Prozent der Beitragssumme angenommen, Verwaltungskosten von 0,15 Prozent. Doch selbst dann müsste bei einem Kalkulationszins von 0,25 Prozent der Vertrag mindestens 39 Jahre laufen, um die Mindestlaufzeit zu erfüllen: selbst, wenn keine Vertriebs- und Verwaltungskosten anfallen.

"Bei einer rechnungsmäßigen Verzinsung von 0,25 Prozent ab 2022 wird der Beitragserhalt durch den Versorgungsträger also regelmäßig nicht mehr garantiert werden können – auch nicht bei deutlich reduzierten Kosten. DAV und IVS plädieren daher dafür, ein neues Niveau für die Mindestleistung deutlich unterhalb des bisherigen Beitragserhalts zu definieren", heißt es in dem Aufsatz.

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Als Fazit fordern DAV und IVS den Gesetzgeber zum Handeln auf, um die Beitragszusage mit Mindestleistung nicht aussterben zu lassen oder bestehende Vorsorgewerke aufkündigen zu müssen. "Eine Beitragszusage mit Mindestleistung, bei der die Versorgungseinrichtung Garantiegeber sein soll, kann in dem aktuellen Zinsumfeld nur noch mit einer Mindestleistung deutlich unter 100 Prozent der Beitragssumme funktionieren", positionieren sich die Verbände.

BOLZ: Spielräume, aber...

Besser sehe es bei der beitragsorientierten Leistungszusage (BOLZ) aus. Der Arbeitgeber verpflichtet sich bei diesem Garantiemodell, bestimmte Beiträge in eine Anwartschaft umzuwandeln: für die Alters-, Invalididitäts- und/oder Hinterbliebenenvorsorge. Hier steht bei der Garantie nicht die Summe der eingezahlten Beiträge im Vordergrund, denn über ein Mindestniveau der umgewandelten Anwartschaft trifft der Gesetzgeber keine Aussage. Stattdessen muss zum Zeitpunkt der Umwandlung eine der Höhe nach feststehende Leistung zugesagt werden.

Stark vereinfacht ist dem Arbeitgeber freigestellt, wie er die sich aus den Beiträgen ergebenden Leistungen kalkuliert. Er garantiert lediglich, dass er einen bestimmten Beitrag für die Betriebsrente aufwendet: der produktgebende Versicherer berechnet dann die Leistung mithilfe von Zins, Laufzeit und Lebenserwartung, eben nach aktuariellen Grundsätzen. Der Arbeitnehmer erhält, was zum Zeitpunkt des Rentenbeginns vorhanden ist. Ein Kalkulationszins ist dann angemessen, wenn er erforderlich ist, um die Pflichten dauerhaft zu erfüllen.

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Allerdings hat hier ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 30.08.2016 (3 AZR 361/15) bereits darauf abgehoben, dass die Freiheiten nicht unbegrenzt sind. So müsse zum Zeitpunkt der Umwandlung unmittelbar feststehen, welche Anwartschaft auf künftige Leistung der Arbeitnehmer durch die Umwandlung der Beiträge mindestens erwerbe. Das soll den Arbeitnehmern erlauben, mögliche Versorgungslücken zu planen. Zudem müsse ein direkter Zusammenhang zwischen dem Finanzierungsbeitrag und der Höhe der Leistung gewahrt bleiben.

Hinsichtlich der gesetzlichen und arbeitsrechtlichen Mindestanforderungen an zugesagte Leistungen gehen die Meinungen auseinander, berichtet die DAV. Bei Eintritt des Versorgungsfalls werden als Untergrenze null Prozent Beitragserhalt, 50 Prozent oder gar 100 Prozent des als Versorgungskapital diskutiert. Hier besteht also eine gesetzliche Lücke. "Ohne eine rechtliche Klarstellung könnten Arbeitgeber geneigt sein, von der Erteilung einer beitragsorientierten Leistungszusage deutlich unterhalb des Beitragserhalts abzusehen, um das Risiko eventueller Nachforderungen zu vermeiden", heißt es im DAV-Aufsatz. Das sei für die betriebliche Altersvorsorge keine gute Alternative.

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