Sobald ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine betriebliche Altersversorgung gewährt und diese nicht über einen externen Durchführungsweg (z.B. Pensionskasse oder Direktversicherung) organisiert, ist der Arbeitgeber sowohl handels- als auch steuerrechtlich verpflichtet, für die eingegangenen Pensionsverpflichtungen Rückstellungen zu bilden. Obwohl es zwischen der Bewertung dieser Verpflichtungen gemäß HGB und EStG eine Vielzahl an Unterschieden gibt, wurde dennoch in beiden Fällen der identische Rechnungszins in Höhe von sechs Prozent zur Abzinsung der zukünftigen Rentenzahlungen verwendet. Erst durch Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) im Jahr 2009 wurde die handelsbilanzielle Bewertung von Pensionsrückstellungen grundlegend geändert.

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Zu den Neuerungen zählte unter anderem, die erwarteten Zahlungsströme, die sich aus den Pensionsverpflichtungen ableiten, mit einem durchschnittlichen Markzinssatz abzuzinsen (§ 253 Abs. 2 Satz 1 und 2 HGB). Der Durchschnitt wird dabei aus den von der Bundesbank veröffentlichten Marktzinsen der vergangenen sieben Geschäftsjahre gebildet. Die langanhaltende Niedrigzinsphase führte jedoch dazu, dass der 7-Jahres-Durchschnitt von über fünf Prozent im Jahr 2009 auf etwas über drei Prozent in 2016 gesunken ist. Auf der anderen Seite stiegen damit die Pensionsrückstellungen der Unternehmen deutlich an, da die künftigen Zahlungsströme weniger stark abzuzinsen waren. Die Entwicklung des Zinses hat also maßgeblichen Einfluss auf die Höhe der Pensionsrückstellungen.

Verlängerung des Durchschnittszeitraums und Ausschüttungssperre

Um die wirtschaftlichen Belastungen aus dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld und dem damit verbundenen jährlichen Anstieg der Pensionsrückstellungen aufgrund des sinkenden Zinsniveaus abzumildern, hat die Bundesregierung im Jahr 2016 den Zeitraum für die Ermittlung des durchschnittlichen Marktzinssatzes für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen von sieben auf zehn Jahre verlängert. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass der Unterschiedsbetrag zwischen der Bewertung der Pensionsverpflichtungen mit dem 7-jährigen und dem 10-jährigen Durchschnittszinssatz in jedem Geschäftsjahr im Anhang oder unter der Bilanz anzugeben ist. Der Unterschiedsbetrag unterliegt der Ausschüttungssperre (§ 253 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Satz 1 HGB).

Die Marktsituation hat sich deutlich gewandelt

Seit dem Jahr 2022 hat sich die Marktsituation nun deutlich gewandelt. Statt einer verschwindend geringen Inflation hatten wir nun Inflationsraten von teilweise über zehn Prozent im Vergleich zu den Vorjahresmonaten. In Kombination mit der Leitzinserhöhung der EZB führt dies zu einem deutlichen Anstieg des von der Bundesbank veröffentlichten Marktzinses. Dadurch entsteht nun erstmals die Situation, dass der 10-Jahres-Durchschnittszins vom letzten Bilanzstichtag zum nächsten Bilanzstichtag nicht mehr sinkt, sondern sogar um wenige Basispunkte steigen wird.

Richard Breese ist Aktuar bei der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) und Leiter Operations & Services der Longial GmbH.Richard Breese@Longial

Folglich kommt es für die Unternehmen auch erstmals zu entlastenden Zinsänderungseffekten in der HGB-Rechnungslegung. In den vergangenen Jahren hat der Aufwand des jährlich sinkenden Rechnungszinses noch zu enormen Belastungen bei den Unternehmen mit unmittelbaren Versorgungszusagen geführt.

Der 7-Jahres-Zins wird schon innerhalb des kommenden Jahres oberhalb des 10-Jahres-Zinses liegen

Aufgrund der kürzeren Durchschnittsbildung reagiert der 7-Jahres-Durchschnittszins wesentlich sensitiver gegenüber den hohen Marktzinsen als der 10-Jahres-Durchschnittszins. In unseren aktuellen Prognosen gehen wir daher davon aus, dass der 7-Jahres-Zins schon innerhalb des kommenden Jahres oberhalb des 10-Jahres-Zinses liegen wird.

Dabei haben wir eine gleichbleibende Renditesituation an den Finanzmärkten unterstellt. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass für Bilanzstichtage ab dem 31.12.2024 die oben beschriebene Ausschüttungssperre entfällt, da die Pensionsrückstellung unter Berücksichtigung des 7-Jahres-Zinses erstmalig größer als bei einer Berechnung mit dem 10-Jahres-Zins wäre. Ob die Bundesregierung hinsichtlich dieser Aussichten plant, zukünftig wieder auf eine Durchschnittsbildung über sieben Jahre zurückzukehren, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.

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...und was gibt es Neues in Sachen des steuerlichen Rechnungszinses nach § 6a EStG?

Wir erinnern uns: Der § 6a EStG-Rechnungszins von sechs Prozent ist seit Jahrzehnten unverändert und liegt deutlich über dem Marktzins. Nach Ansicht des FG Köln (Urteil vom 12.10.2017 - 10 K 977/17) verstößt § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der in 2015 geltenden Fassung insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als zur Ermittlung der Pensionsrückstellung ein Rechnungszinsfuß von sechs Prozent anzusetzen ist. Das Thema liegt bereits seit dem 20.12.2017 (!) dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor (Az. 2 BvL 22/17).

Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre haben in der Vergangenheit keinen Handlungsbedarf gesehen. Auf mehrere kleine Anfragen wurde i. d. R. geantwortet, dass man den steuerlichen Rechnungszinsfuß für Pensionsrückstellungen unverändert für verfassungsgemäß halte. Ein gesetzlich eindeutig festgeschriebener Zinssatz verhindere, dass in Phasen steigender Kreditzinsen die Unternehmen steuerlich zusätzlich belastet würden.

Arbeitgeber werden weiterhin den Blick nach Karlsruhe richten müssen

Auch die aktuelle Bundesregierung lässt nicht erkennen, sich des Themas annehmen zu wollen. Und dies, obwohl inzwischen mit der FDP eine Partei in der Regierung ist, die zu dem Sachverhalt in der Vergangenheit besonders kritisch nachgefragt hatte (BT-Drucksache 19/3091 vom 29.06.2018, BT-Drucksache 19/17998 vom 17.03.2020 und BT -Drucksache 19/26566 vom 10.02.2021).

Arbeitgeber, die unmittelbare Versorgungszusagen erteilt haben, werden ihren Blick also weiterhin hoffnungsvoll nach Karlsruhe richten müssen. Doch auch von dort kommen keine Zeichen, sich der Sache nunmehr zügig annehmen zu wollen. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Juli 2023 eine Richtervorlage des Finanzgerichts Köln zur Verfassungswidrigkeit des Abzinsungssatzes abgewiesen. Damit macht das BVerfG deutlich, sich erstmal nicht weiter mit dem Rechnungszinsfuß beschäftigen zu wollen.

So schnell wird sich an dem Auseinanderfallen von handelsrechtlichem und steuerlichem Zins also keine Änderung ergeben. Dies hat zur Folge, dass unverändert Steuern auf Gewinne gezahlt werden, die wirtschaftlich gar nicht entstanden sind bzw. eigentlich zur Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen verwendet werden müssten.

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Hintergrund: Der Text erschien zuerst im neuen kostenfreien Versicherungsbote Fachmagazin 02-2023. Das Magazin kann auf der Webseite beim Versicherungsbote bestellt werden.

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