Versicherungsbote: Die Umsetzung der IDD in deutsches Recht verfolgte das Ziel, einen besseren Verbraucherschutz im Versicherungsvertrieb zu bewirken. Welches Fazit ziehen Sie nach knapp drei Jahren IDD?

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Andrea Heyer: Die IDD hat den Interessenkonflikt bei Vermittlern als zentrales Kriterium des Verbraucherschutzes erkannt. Die deutsche Umsetzung hat jedoch nicht zu einer Verbesserung für Verbraucher gesorgt. Die massiven Fehlanreize im Verkauf von Lebens- und Krankenversicherung bestehen fort.

Beratung ohne Provisionsabgabeverbot

Das umstrittene Provisionsabgabeverbot wurde auch mit den neuen Regeln wieder in Kraft gesetzt, Vermittler dürfen Provisionen nur in sehr engen Grenzen an ihre Kunden auskehren. Es ist einmalig in Europa. Dient dieses Verbot wirklich dem Verbraucherschutz?

Das Provisionsabgabeverbot sorgt letztlich dafür, dass das bisherige Vergütungssystem der deutschen Versicherungswirtschaft dem Wettbewerb entzogen wird. Dementsprechend können Online-Angebote ihre Kosteneinsparungen nicht an Verbraucher weitergeben. Ohne das Abgabeverbot würden die Bedürfnisse der Verbraucher im Verkaufsprozess stärker in den Fokus rücken. Dies betrifft zum einen das Verhältnis zwischen den Kosten der Beratung und der Vergütung des Vermittlers, zum anderen die Wahlfreiheit des Verbrauchers, von wem er die Beratungsleistung bezieht.

Ein häufiger Kritikpunkt an der Honorarberatung: Ist der Kunde mit seinem Vertrag unzufrieden und stößt ihn vorzeitig ab, muss der Honorarberater im Zweifel dennoch weiter bezahlt werden. Aus Ihrer Sicht ein berechtigter Einwand?

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Das von Ihnen beschriebene Vergütungsmodell ist uns von Versicherungsberatern, die im BVVB organisiert sind, nicht bekannt. Es ist zu vermuten, dass solche Modelle von Vermittlern genutzt werden, die die Stornohaftung umgehen wollen. Auf Lobbydruck der Branche und unter Bezugnahme eines zweifelhaften Rechtsgutachtens können Vermittler zwischen Honorar und Provision wählen. Eine strikte Trennung der Vergütungssysteme wäre der richtige Weg gewesen.

„Ein Provisionsdeckel ist zu kurz gedacht“

In Sachen Provisionsdeckel hat der Gesetzgeber gehandelt und einen Formulierungsentwurf vorgestellt. Was halten Sie von den Änderungen?

Auch der Formulierungsentwurf des BMF löst unseres Erachtens das Problem nicht. Ein Provisionsdeckel ist zu kurz gedacht. Die Diskussion um einen Provisionsdeckel suggeriert, dass sich dadurch die Zielsetzung der Kreditinstitute mit ihrer ‚Kreditberatung‘ ändern ließe. Sie reduziert in unzulässiger Weise das Verbraucher benachteiligende Anbieterverhalten auf die Höhe der vereinnahmten Provision – so, als ob der aktive Verkauf von Versicherungen an Verbraucher mit Kreditbedarf plötzlich bedarfsgerecht würde, wenn nur die Provision etwas geringer wäre. Der Entwurf sieht im Übrigen auch nicht vor, den bereits eingetretenen Schaden bei den vielen Verbrauchern, den sie mit den Produkten der Restschuldversicherungen erlitten haben, zu beseitigen.

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Was genau sollte der Gesetzgeber Ihrer Ansicht nach also tun?

Die Beseitigung der seit vielen Jahren bekannten Missstände ist dadurch zu erreichen, dass die Prämien der Restschuldversicherung und sonstiger Nebenkosten immer in den effektiven Jahreszins eingerechnet werden müssen. Und was die Entschädigung angeht, kann Großbritannien als Beispiel gelten.

Kommen wir auf die Folgen der Pandemie zu sprechen. In welchen Versicherungssparten beobachteten Sie Auswirkungen?

Sehr viele Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie betreffen Reiseversicherungen, insbesondere Reiserücktrittskostenversicherungen. Deshalb haben die Verbraucherzentralen besonders häufige Fragen gesammelt, beantwortet und im Internet zusammengestellt.

Welche Folgen könnten Kurzarbeit, Sparzwang bei Privathaushalten und Insolvenzwelle bei Gewerbetreibenden für die Gesellschaft haben? Und wie könnte man dem entgegenwirken?

Im Verbraucherinsolvenzverfahren gab es zuletzt einige Änderungen, nach denen eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren möglich geworden ist. Darüber hinaus sollte der steigende Unterstützungsbedarf von Betroffenen durch den Ausbau von gemeinnützigen Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen besser abgedeckt werden.

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Hinweis: Das Interview erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 01/2021.

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