Aus Sicht von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (CSU) war der bayerische Kompromiss „eine tragfähige und vernünftige Lösung für beide Branchen“. Gemeint war einerseits das Hotel- und Gaststättengewerbe, das durch die amtlich angeordneten Schließungen keinerlei Einnahmen verzeichnete und andererseits die Versicherungswirtschaft, die sich eben angesichts der präventiven Schließungen nicht in der Leistungspflicht sah.

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Dass es sich bei der ausgehandelten Lösung um ein „tragfähiges Modell“ handelt, durfte allerdings bereits im April bezweifelt werden. Schließlich sollten sich die Betroffenen mit 15 Prozent des versicherten Tagessatzes zufrieden geben und auf alle weiteren Ansprüche verzichten.

‚Gute Lösung im Sinne der Gewerbekunden - oder fauler Kompromiss?‘ - diese Frage beschäftigte seitdem Versicherte, Vermittler, Versicherer und auch Juristen. Einer der Juristen, die sich damit beschäftigten, ist Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (Humboldt-Universität Berlin). Schwintowski ist in der Branche angesehen, war als Sachverständiger u.a. am Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen beteiligt, war Mitglied der VVG-Reformkommission und sorgte Anfang 2019 für Schlagzeilen, als ein Rechtsgutachten, an dem er mitwirkte, feststellte, dass der Provisionsdeckel verfassungswidrig wäre.

Nun hat sich Prof. Schwintowski also den ausgehandelten bayerischen Kompromiss angesehen und kommt zu dem Schluss, dass dieser unwirksam sei. Dabei argumentiert der Rechtsgelehrte mit der vergleichsweise jungen IDD und deren Umsetzung in deutsches Recht.

Dort heißt es im § 1a VVG: „Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln.“ Das Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall zählt zur Vertriebstätigkeit dazu.

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Dieser Paragraf ist der Dreh- und Angelpunkt von Schwintowskis Argumentation: Der bayerische Kompromiss sei gleich mehrfach ein Verstoß gegen diesen Paragrafen. Denn in den Formulierungen, die den Betroffenen vorgelegt wurden, heißt es: „gemäß den Versicherungsbedingungen haben sie keinen Versicherungsschutz“. Das sahen und sehen Gerichte aber anders. Inzwischen gibt es etliche Urteile, die durchaus bedingungsgemäßen Versicherungsschutz festgestellt haben. Auch der Verzicht auf 85 Prozent (oder mehr) eines möglichen Anspruchs kann nicht als Handeln im „bestmöglichen Interesses“ des Versicherungsnehmers verstanden werden.

Haften Makler, die ihren Kunden zum Kompromiss geraten haben?

Schwintowski rät, der bayerischen Lösung unter Verweis auf Verletzung von § 1a VVG zu widersprechen und Ansprüche geltend zu machen. Bleibt die Frage, ob Makler sich haftbar gemacht haben, wenn sie ihren BSV-Kunden zur Annahme des bayerischen Kompromisses rieten. Das verneinte Schwintowski in einer Veranstaltung der Kanzlei Michaelis, für die Schwintowski ebenfalls tätig ist. Es fehle an einer Pflichtverletzung durch den Makler, so der Jurist.

Kommen BSV-Versicherte nun eher an Geld? Diese Frage ist mit dem Widerspruch zur Lösung nicht beantwortet. Denn, so Schwintowski, der Widerspruch stellt nur jenen Zustand her, dass man sich vor Gericht darüber streiten kann, ob im jeweiligen Fall Bedingungswerke zugrunde lagen, die Versicherungsschutz gewährten.

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Kritik am bayerischen Kompromiss gab es bereits von der Kanzlei Wirth; erste Klagen gegen die dagegen gibt es auch schon. In dem Verfahren wird allerdings über sittenwidriges Verhalten argumentiert.

Die Präsentation von Prof. Hans-Peter Schwintowski steht auf der Webseite der Kanzlei Michaelis zur Verfügung.

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Der Vortrag von Prof. Hans-Peter Schwintowski kann auch in voller Länge auf Youtube angesehen werden:

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