Marc Brandner: Es geht zunächst darum, ein gewisses Vertrauensverhältnis zum Täter aufzubauen und ihm zu zeigen, dass man an einer Lösung interessiert ist, gleichzeitig aber dessen Erwartungshaltung senkt. Lebensbeweisfragen signalisieren dem Täter, dass es in seinem Interesse ist, das Opfer am Leben und bei guter Gesundheit zu belassen. Wichtig ist, nicht aufgrund einer Drohung oder eines Ultimatums sein Angebot an den Entführer zu erhöhen. Betroffene denken, je mehr und schneller ich dem Täter biete, umso eher ist die Entführung beendet. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass die Entführer tatsächlich erst dann das Opfer freilassen, wenn sie glauben, nicht mehr Geld erpressen zu können. Unsere Aufgabe ist es, diesen Eindruck beim Täter zu schaffen. Harte Verhandlungen verkürzen eher eine Entführung als ständiges Nachgeben. Aber wir verstehen, dass dies im Widerspruch zum Bauchgefühl der Familie steht.

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Gibt es Parallelen von Verhandlungen mit Entführern zu Businessverhandlungen?

Pascal Michel: Solche Parallelen gibt es definitiv. Denn eine Verhandlung mit Entführern ist eine „Geschäftstransaktion“, auch wenn dies zynisch klingt. Inzwischen schulen wir mit unserer Erfahrung aus Entführungsverhandlungen beispielsweise Einkaufsabteilungen von Konzernen in Europa, den USA und Australien zu Geschäftsverhandlungen und dem Umgang mit Drucksituation und begleiten teilweise deren Verhandlungen. Wir hören immer wieder von Kunden: „Bei Geschäftsverhandlungen fühle ich mich wie eine Geisel des Gegenübers.“

Was hat sich bei Entführungen in Europa, verglichen zu der Hochphase der 70er und 80er Jahre, geändert?

Marc Brandner: In der Hochphase, die bis in die neunziger Jahre ging, richteten sich Entführungen oft gegen Personen, die öffentlich sehr bekannt waren, viele davon gehörten zu den Reichsten im Land. Da diese Personengruppen aber ihre Sicherheitsvorkehrungen massiv erhöhten, wählten die Täter Personen aus, die sich selbst nicht als gefährdet ansahen. Dem Täter genügt häufig jemand, der zeitnah eine Summe von mehreren Hunderttausend oder ein, zwei Millionen Euro Lösegeld auftreiben kann. Dazu bedarf es keiner Milliardärsfamilie – dies zeigen auch die Fälle der letzten Jahre. Durch den Einsatz moderner Technologie kann der Täter natürlich auch leichter seine Spuren verwischen, sofern er die Technik beherrscht. Durch Lösegeldzahlungen mittels Kryptowährung vermeidet der Täter die für ihn gefährliche physische Lösegeldübergabe – auch wenn diese Zahlungsvariante bisher im Gegensatz zu Erpressungen eher noch die Ausnahme ist.

Was können Unternehmerfamilien tun, um das Entführungsrisiko zu senken?

Marc Brandner: Ein erster Schritt ist, kritisch zu analysieren, welchen Verwundbarkeiten man ausgesetzt ist. An welche Informationen gelangen potentielle Täter, die ihnen bei einer Tatplanung helfen. Grundsätzlich bin ich dort am verwundbarsten, wo ein Täter wissen kann, dass ich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein werde. Das sind sicherlich das Wohnhaus, regelmäßige Fahrstrecken, wie der Weg in die Arbeit oder bei Kindern zur Schule und zurück sowie regelmäßige Freizeittermine. Dort wo Verwundbarkeiten bestehen, sollte ich unterschiedliche Maßnahmen zur Absicherung haben.

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Pascal Michel: Welche Maßnahmen man auswählt, hängt nicht nur vom Budget ab, sondern auch welche dieser Maßnahmen für eine Familie akzeptabel ist und zu deren Lebensweise passt. Das können organisatorische, personelle, bauliche und technische Maßnahmen sein. Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen ist das sicherheitsgerechte Verhalten der einzelnen Familienmitglieder und von Personen aus dem Umfeld wichtig. Schulungen können dabei helfen.

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