Marc Brandner: Das ist sehr unterschiedlich. Wir hatten einen Fall, wo ein Unternehmer nach mehreren Monaten freikam und am nächsten Tag war er wieder im Büro. Andere zerbrechen an dem Ereignis. Viel hängt von der persönlichen Resilienz ab, auch davon, wie bedrohlich ein Opfer seine Entführung erlebte und ob die Täter das Opfer misshandelten. Entscheidend ist nach der Freilassung das soziale Umfeld, die familiären Beziehungen und wie intakt diese schon vor der Entführung waren. Es wird aber oft vergessen, dass die Familie genauso traumatisiert sein kann. Das Opfer weiß während der Entführung, was gerade passiert. Die Familie malt sich dies in den schlimmsten Vorstellungen aus.

Anzeige

Wie sieht Ihre Rolle als Krisenberater während einer Entführung aus?

Pascal Michel: Auf der übergeordneten Ebene besteht unsere Rolle darin, dem Unternehmen und der Familie zu helfen, dass ihr Liebster möglichst schnell und unversehrt, zu einem angemessenen Preis freikommt und Folgebedrohungen vermieden werden. Wir helfen aber auch, die Familie zu stabilisieren. Da wir im Gegensatz zur Familie die emotionale Distanz zum Opfer haben, können wir als neutraler Berater agieren. Dies ist wichtig, denn der Täter versucht ja gerade diese emotionale Bindung auszunutzen und so die Familie unter Druck zu setzen. Dies hilft auch, gegenüber den Betroffenen einen kritischen Blick auf die Aktivitäten anderer Akteure zu werfen. Unsere Aufgabe ist es auch, die Krisenstabsarbeit zu steuern, Handlungsoptionen und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, über die dann der Krisenstab oder die Familie entscheidet. Wir begleiten alle Phasen, auch die Krisenkommunikation und die Zeit nach der Freilassung.

Macht dies nicht auch die Polizei?

Marc Brandner: Die Polizei ist ein wichtiger Akteur bei einer Entführung in Industrieländern, dem es auch um den Opferschutz geht, aber auch um die Strafverfolgung. Wir hingegen sind ausschließlich den Interessen der betroffenen Unternehmen und Familien verpflichtet – im Krisenfall rund um die Uhr als Servicedienstleister. Wir unterliegen aber nicht dem Einfluss der lokalen oder überregionalen Politik. Für uns zählt nur: was ist für das Opfer und die Betroffenen gut. Der tragische Fall der Entführung von Maria Bögerl, Ehefrau des Direktors der Sparkasse in Heidenheim, zeigt leider sehr deutlich, dass Behörden nicht immer so agieren, wie es für das Opfer und die Familie das Beste ist. Oft handelt die Polizei sehr professionell, aber leider gibt es auch die Gegenbeispiele.

Anzeige

Pascal Michel: Natürlich mag es für Betroffene erst einmal verlockend sein, den Fall ganz in die Hände der Polizei zu übergeben. Wir raten aber dringend davon ab, der Polizei die Verhandlung und Kommunikation mit den Tätern zu überlassen, auch wenn die Polizei sich bei Telefonaten gegenüber Tätern als jemand anderes ausgibt. Denn damit gibt man als Betroffener die Kontrolle über den Verhandlungsprozess komplett aus der Hand. Wenn dann im Laufe der Entführung die Familie oder die Firma eine andere Vorgehensweise als die Polizei möchte, wird dies nur noch schwer möglich sein. Wir empfehlen immer, zuerst eine Lagebewertung mit dem Krisenberater durchzuführen, bevor die Polizei eingeschaltet wird. Wir sind keine Konkurrenz zur Polizei, sondern eine wichtige Ergänzung für Betroffene und deren „Interessenvertretung“. Ohne Krisenberater haben die Betroffenen niemanden, der beurteilt, ob die von der Polizei gewählte Strategie im Sinne der Familie und zielführend ist. Interessant ist auch, dass die Strategie der Verhandlung mit Entführern nicht von der Polizei entwickelt wurde, sondern von privaten Krisenberatern in den 70er Jahren. Die Polizei übernahm später dieses Konzept.

vorherige Seitenächste Seite
Seite 1/2/3/

Anzeige