In der Coronakrise geraten viele andere Themen aus dem Fokus: So auch eine angestrebte Reform der Riester-Rente durch die Bundesregierung, auf die nicht zuletzt die Finanzbranche selbst drängt. Gezwungenermaßen, denn dass es nicht rund läuft, müssen auch Versicherer und andere Anbieter selbst einräumen. Das Neugeschäft schwächelt seit Jahren, netto ist sogar ein Rückgang des Bestandes zu beobachten. Der Bestand ist auch vor der Coronakrise schon geschrumpft: von Januar bis März 2020 um 53.000 Verträge, wie aus Daten des Bundesarbeitsministeriums hervorgeht. Zudem wird ein Fünftel der Verträge gar nicht mehr bespart.

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Einigung noch in dieser Legislaturperiode

Doch aktuell gibt es keinen Zeitplan, wann ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegen soll. Das berichtet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am Dienstag. „Wir haben das feste Ziel, in dieser Legislaturperiode eine Einigung zu erzielen“, wird Finanzstaatssekretär Jörg Kukies zitiert, der ebenfalls am Dienstag auf einer Handelsblatt-Tagung zur betrieblichen Altersvorsorge sprach. Aussagen zum aktuellen Stand der Gesetzgebung habe Kukies aber vermieden.

Die Ausführungen des GDV lassen aber erkennen, dass es durchaus verschiedene Meinungen über die notwendigen Schritte einer Reform gibt. Die Bundesregierung hatte einen Dialog mit Riester-Anbietern, Verbraucherschützern und Sozialpartnern angeschoben, der inzwischen abgeschlossen ist. Schon hier gingen die Auffassungen über Riester stark auseinander. Die beteiligten Verbraucherzentralen stellten Riester zwischenzeitlich komplett in Frage, weil die Verträge zu teuer, intransparent und bürokratisch seien. Als „gut gemeint, aber grottenschlecht gemacht“, bezeichnete etwa Verbraucherzentrale-Chef Klaus Müller die Riester-Rente vor zwei Jahren.

Das wirkt sich auch auf die Ideen zu einer Riester-Reform aus. Die Bundesregierung plant unter anderem ein standardisiertes, kostengünstiges Riester-Produkt, das gerade Menschen ohne finanzielles Know-how eine Option für die Altersvorsorge bieten soll. Das begrüßt auch die Versicherungswirtschaft. Die Verbraucherzentralen aber wollen dieses Produkt lieber bei der gesetzlichen Rentenversicherung ansiedeln, da diese wenig Werbe- und Vertriebskosten hat, zudem Fehlanreize ausgeschaltet seien, auf Kosten der Sparer Geld zu verdienen. Versicherer und Banken wären damit raus: Entsprechend lehnen sie diesen Vorschlag ab.

Debatte über Riester-Garantien

Wie sich zum Standardprodukt die Bundesregierung positioniert, geht aus den Ausführungen des GDV nicht hervor. Stattdessen nennt der Versicherer-Verband andere Streitpunkte. Uneinigkeit herrsche über die Bruttobeitragsgarantien: stark vereinfacht die Frage, ob die Anbieter garantieren müssen, dass dem Kunden zum Rentenbeginn die eingezahlten Sparbeiträge mitsamt staatlichen Zulagen zur Verfügung stehen.

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Das Bundesfinanzministerium könne sich wohl eine Lockerung der Beitragsgarantie vorstellen, um die Ertragschancen bei Riester zu erhöhen, berichtet der Verband. Was er nicht erwähnt: Damit würde das Kapitalmarkt-Risiko weit stärker auf die Sparer umgelagert: Sie müssten mit dem Risiko leben, weniger an Rente zu erhalten, als sie an Beitrag und staatlichen Zulagen eingezahlt haben. „Es ist schwer zu vermitteln, wenn der Staat einerseits Zulagen gewährt, aber gleichzeitig keine Garantien sicherstellen will“, sagte Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium (BMAS), der ebenfalls bei der „Handelsblatt“-Konferenz sprach.

Brandbrief an Bundesregierung

Wie wichtig der Branche gerade die Fragen nach niedrigeren Garantien ist, zeigt ein Brief mehrerer Verbände an die Bundesregierung. Darin drohen sie an, ihre Riester-Produkte vom Markt zu nehmen, wenn die Reform nicht schnell in ihrem Sinne umgesetzt wird. Unterschrieben haben ihn unter anderem Thomas Richter, Chef des Investment-Verbandes BVI, Jörg Asmussen vom Versichererverband GDV und Christian König, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Privaten Bausparkassen.

Die Forderung nach einem Aus für die Bruttobeitragsgarantie nimmt in dem Schreiben eine zentrale Rolle ein. „Anbieter stehen derzeit vor der Entscheidung, die Riester-Rente aufgrund der durch die Garantie unverhältnismäßig gewordenen Eigenkapitalanforderungen bereits für das kommende Jahr vom Markt zu nehmen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Versicherungsboten vorliegt.

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Garantieparadox: Cash Lock verteuert Riester

Doch diese Brutto-Beitragsgarantie ist in Zeiten niedriger Zinsen enorm teuer: und trägt mit dazu bei, dass die Riester-Rente für viele Sparer kaum noch lohnt. Das liegt an einem seltsamen Paradox. Je unattraktiver festverzinsliche Wertpapiere wie beispielsweise langjährige Staatsanleihen werden - sie werfen aktuell kaum noch etwas ab - desto mehr Geld müssen die Versicherer in genau diese Anlagen stecken, um die vermeintliche Sicherheit der Garantien zu unterfüttern. Das schreibt der Gesetzgeber so vor. Die Garantien sollen mit festverzinslichen Anleihen gestützt werden, da sie als risikoarm gelten.

Fonds und Aktien, die aktuell weit bessere Renditechancen haben, sind hingegen tabu. „Cash Lock“ nennt sich dieses Problem: das Geld der Anleger ist in risikoarme Anlagen regelrecht einbetoniert. Wenn die Versicherer weniger Garantie gewähren müssen, könnten sie die Kundengelder renditeträchtiger anlegen.

Die Anbieter streben nun angesichts der extrem niedrigen Zinsen eine Lockerung der Bruttobeitragsgarantie an. Es sei widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber einerseits von den Lebensversicherern verlange, ihre zugesagten Garantien zu überdenken, in der geförderten privaten Altersvorsorge jedoch daran festhalten wolle, sagt Peter Schwark, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

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Ob mit dem Wegfall der Beitragsgarantie die Attraktivität der Riester-Rente erhöht wird, kann hingegen bezweifelt werden. Sicherheit ist für viele deutsche Anleger noch immer ein hohes Gut. Laut einer Allensbach-Hochrechnung, von der das Onlineportal Statista berichtet, ist mehr als 32 Millionen deutschen Sparerinnen und Sparern bei der Geldanlage Sicherheit wichtiger als ein hoher Ertrag.

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