Das gestern ergangene Urteil des Landgerichts München I ist aus mehreren Gründen beachtlich. Da wäre zum Beispiel die „Vertriebsinformation Gewerbe“: Ein Schreiben der Versicherungskammer Bayern, das der Versicherer am 04.03.2020 an seine Vertriebspartner herausgab. Darin hieß es: „Wir stellen den Coronavirus ‚2019-nCoV‘ den in unseren Bedingungen für die gewerbliche Betriebsschließungsversicherung […] namentlich genannten Krankheitserregern gleich. Als Basis gilt die Verordnung vom 01.02.2020 durch den Bundesminister für Gesundheit zur Erweiterung der Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz.
Somit sind behördlich angeordnete Betriebsschließungen aufgrund des neuartigen Coronavirus in unserer gewerblichen Betriebsschließungsversicherung mitversichert.“

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Mit diesem Schreiben ging im vorliegenden Fall auch der Versicherungsvermittler auf den Betreiber des Augustiner Kellers in München zu und überzeugte ihn vom Abschluss der Versicherung. Unzweifelhaft war für das Gericht, dass bei einer Überprüfung des Versicherungsstands und dem Abschluss einer Neuversicherung „Betriebsschließungsversicherung infolge Infektionsgefahr“ am 04.03.2020 - während der Pandemie - über das neuartige Virus gesprochen und der Kläger diese Versicherung eigens dafür abgeschlossen hat. Dass sich dieses Schreiben als wichtiger Baustein erweisen würde, um für die Leistungspflicht eines Versicherers zu argumentieren, war Fachanwalt Stephan Michaelis aus Hamburg bereist vor Monaten klar. „Meines Erachtens hat die Versicherungskammer Bayern aufgrund dieses Schreibens die getätigten Zusagen einzuhalten und die versicherungs-vertraglichen Leistungen vollständig zu erbringen“, sagte er damals dem Versicherungsjournal.

Doch der Jurist hält das Urteil aus einem anderen Grund für richtungsweisend: So fand sich in den Versicherungsbedingungen unter Hinweis auf die §§ 6 und 7 IfSG eine Aufzählung verschiedener Krankheiten und Krankheitserreger. Trotz ausdrücklichen Verweises auf die gesetzlichen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes in den Versicherungsbedingungen entsprach die nachfolgend abgedruckte Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger gerade nicht der Auflistung des zitierten Gesetzes.

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Im gestern veröffentlichten Urteil (liegt Versicherungsbote vor) wurde festgestellt, dass eine solche Klausel, die sich zum einen für den Versicherungsnehmer erkennbar auf den Inhalt des Gesetzestextes bezieht, um dann auf der anderen Seite diesen aber nicht vollständig wiederzugeben, intransparent und damit unwirksam ist.

Kulanzangebote unwirksam?

Aus Sicht der Kanzlei Michaelis ist das Urteil deshalb richtungsweisend, weil viele Bedingungswerke genau diese Problematik enthalten. Für den Versicherungsumfang wird der vollständige Gesetzestext zitiert, dann aber in den Versicherungsbedingungen die im Gesetz enthaltenen Krankheiten nur teilweise wiedergeben mit der Behauptung, diese Aufzählung sei abschließend. „Solche Versicherungsbedingungen halten einer AGB-rechtlichen Prüfung nicht stand und dürften unwirksam sein“, schreibt Stephan Michaelis in seinem Newsletter. Seine Schlussfolgerung: Das Urteil habe eine ganz erhebliche Tragweite für vergleichbare Fälle.

Der Hamburger Jurist geht sogar noch weiter: Er hält viele der angebotenen „15%-Vergleiche“ für unwirksam und rät Versicherten, die sich auf den Abschluss eines solchen „Kulanzangebots“ eingelassen haben, dazu, dringend ihre Ansprüche prüfen zu lassen.

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Auch die Berliner Kanzlei Wirth sieht sich durch das gestrige Urteil in ihrer Rechtsauffassung bestätigt. „Damit liegt eine weitere Entscheidung klar zugunsten des betroffenen Hotel- und Gastronomiegewerbes vor. Die eindeutigen Worte des Gerichts zu den Argumenten einiger Versicherer zeigen, was wir bereits seit Beginn dieser unsäglichen Diskussion zur Zahlungspflicht der Versicherer gesagt haben: In den allermeisten Fällen besteht bedingungsgemäß Versicherungsschutz. Wir gehen davon aus, dass sich die Rechtsprechung auf Grundlage dieses Urteils festigen wird.“

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