Im Verfahren zur Betriebsschließungsversicherung (BSV) zwischen dem Wirt des Augustiner Kellers in München und des Bayerischen Versicherungsverbands hat die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des Landgerichts München I heute, am 01. Oktober 2020, eine Entscheidung getroffen. Die Kammer gab der Klage des Wirts statt und sprach ihm die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.014.000,00 € aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung zu (Az. 12 O 5895/20).

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Auf die behördliche Anordnung kommt es an

Der Augustiner Keller musste ab 21. März aufgrund behördlicher Anordnung schließen. Dabei bezog sich die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und die nachfolgende Verordnung vom 24.03.2020 ausdrücklich auf die Ermächtigungsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz (§§ 28 - 32 IfSG). Und dies allein genügte schon nach Auffassung der Richter, die Leistungspflicht aus der BSV auszulösen. Denn in den im Fall vorliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb des Klägers aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei.

Es sei laut den AVB nicht erforderlich, dass das Coronavirus im Betrieb des Klägers auftrete, führten die Richter aus. Es komme entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht auf die Rechtsform und Rechtmäßigkeit der Anordnung an. Der Kläger habe auch nicht gegen die Anordnungen vorgehen müssen, so das LG München.

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Verweis auf Außerhausverkauf?

In der fraglichen Zeit fand kein Außerhausverkauf statt - der Betrieb war also vollständig geschlossen. Ein Außerhausverkauf sei dem Kläger auch nicht zuzumuten gewesen. Nach Ansicht der Kammer stelle ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurant-betrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft sei, keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen müsse.

Klauseln intransparent

Einschränkungen des Versicherungsschutzes durch § 1 Ziffer 2 AVB verneinten die Richter ebenfalls. Der Versicherungsvertrag sei von beiden Parteien während der Pandemie und im Hinblick darauf am 04.03.2020 abgeschlossen worden.

Unabhängig davon sei die betreffende Klausel ohnehin intransparent und deshalb unwirksam, so die Richter. „Werde der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe“, hieß es vom LG München. Dieser Anforderung werde die Klausel nicht gerecht. Denn der Versicherungsnehmer gehe auf Basis des Wortlauts von § 1 Ziffer 1 AVB davon aus, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem IfSG decke.

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„Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei intransparent“, führte das LG München aus.

Staatliche Hilfen mindern keine Ansprüche

Zudem führten die Richter aus, dass weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen seien. Denn es handelt sich dabei nicht um Schadensersatzzahlungen für Betriebsschließungen. Auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag hat das keinen Einfluss.

Versicherer will Berufungsmöglichkeiten nutzen

In einer Stellungnahme zeigte sich der betroffene Versicherer kämpferisch: „Die Auffassung des Gerichts respektieren wir, können diese jedoch nicht teilen. Wir werden uns nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe sorgfältig mit diesen auseinandersetzen und die Möglichkeiten der Berufung nutzen.“

Die Versicherungskammer Bayern verwies auf eine Entscheidung des LG Kempten (Allgäu), die bezogen auf die Bedingungen des Versicherers eine Leistungspflicht verneinte. Das zeige die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der jeweiligen Gerichte und Instanzen. Aus dem heutigen erstinstanzlichen Urteil seien keine abschließenden und allgemeinen Schlussfolgerungen zu ziehen, so der Versicherer in seiner Stellungnahme. Langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen mit den eigenen Kunden seien nicht im Interesse des Versicherers hieß es weiter. Man sei nach wie vor an einvernehmlichen Lösungen orientiert, die man mit der großen Mehrheit der Kunden auch gefunden hätte.

Derweil häufen sich die Klagen vor LG München. Inzwischen sind 86 Klagen allein in München eingegangen.

Um diese Klauseln ging es

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) lauten auszugsweise wie folgt:

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㤠1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserreger a) den versicherten Betrieb [...] schließt; [...]
2. Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000:
a) Krankheiten
[…]
b) Krankheitserreger
[…]
§ 3 Ausschlüsse
1. Der Versicherer haftet nicht
[...]
b) für andere als die in § 1 Ziffer 2 genannten Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für [...].“

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