Die Haftpflichtkasse sah sich in den letzten Tagen und Wochen schweren Vorwürfen ausgesetzt. Wie viele andere Versicherer auch sollen sich die Darmstädter weigern, Hoteliers und Gastronomen voll zu entschädigen, die eine Betriebsschließungs-Versicherung bei den Hessen abgeschlossen haben.

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Doch damit nicht genug. Zudem war bekannt geworden, dass der Versicherer noch Anfang März auf seiner Webseite damit geworben hatte, auch zahlen zu wollen, wenn eine Behörde aufgrund des neuen Coronavirus COVID-19 eine Betriebsschließung anordnet. Diese Zusage war plötzlich von der Webseite verschwunden - sowohl betroffene Kundinnen und Kunden, aber auch Makler warfen dem Versicherer vor, dass sie getäuscht worden seien. Zudem verweigere der Versicherer jedes klärende Gespräch (der Versicherungsbote berichtete).

Die Haftpflichtkasse will nur bei konkretem Coronafall im Betrieb zahlen

Zu den Vorwürfen hat sich am Freitag Torsten Wetzel positioniert, verantwortlicher Vorstand bei der Hapftpflichtkasse unter anderem für die Bereiche Betrieb, Rückversicherung und Schaden. Er macht zunächst klar, dass der Versicherer seine restriktive Haltung aufrecht erhält - zumindest grundsätzlich. Denn voll erstatten wollen die Hessen ihre Kundinnen und Kunden nur, wenn innerhalb eines Betriebes ein konkreter Coronafall aufgetreten ist - und deshalb die Behörden zu 100 Prozent das Unternehmen schließen mussten. Das dürfte bei den wenigsten Betroffenen der Fall sein.

“Eine Betriebsschließungsversicherung ist für solche Fälle ausgelegt, in denen die Komplettschließung aufgrund eines im Betrieb vorliegenden konkreten Infektionsfalles angeordnet wurde“ argumentiert Wetzel. „Sie greift, wenn im Betrieb selbst versicherte Infektionskrankheiten auftreten und dieser deshalb komplett geschlossen wird“. Auf dieser Grundlage seien auch die Versicherungsverträge mit den Versicherungsnehmern getroffen wurden.

Voll entschädigen will die Haftpflichtkasse ihre Kundinnen und Kunden nur, wenn zwei Faktoren zusammenkommen:

  • im Betrieb ein versicherter Erreger aufgetreten ist und
  • der Betrieb aus diesem Grund von der Behörde vollständig geschlossen wurde

Hier gilt es zu bedenken, dass die meisten Betriebe vorsorglich geschlossen wurden, ohne dass ein konkreter Krankheitsfall im Unternehmen auftrat. Für diese Gruppe gibt sich die Haftpflichtkasse weiterhin hart. „Die Haftpflichtkasse hat ihre Auskünfte zur Betriebsschließungsversicherung auf ihrer Website angepasst, um für mehr Klarheit zu sorgen: Eine unvorhersehbare Pandemie, wie sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Zusammenhang mit COVID-19 erst am 11. März dieses Jahres erklärt hat sowie Schließungen eines von Krankheit nicht betroffenen Betriebes aus generalpräventiven Gründen, sind nicht gedeckt“, schreibt Wetzel in dem Pressetext des Versicherers.

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Die Regelung hingegen, dass man für Betriebe mit konkretem Corona-Fall und einer entsprechenden behördlichen Schließung zahle, sei weiterhin gültig und habe zu keinem Zeitpunkt zur Disposition gestanden, erklärt Wetzel. "Wo demnach ein Anspruch besteht, wird und wurde bereits ohne Wenn und Aber Versicherungsschutz gewährt." In wie vielen Fällen bereits gezahlt wurde, teilt der Vorstand nicht mit.

Es gibt auch andere Auffassungen

Ob grundsätzliche Betriebsschließungen infolge einer Pandemie, wie Wetzel hier argumentiert, tatsächlich nicht gedeckt sind, hängt von der konkreten Vertragsgestaltung des Versicherers ab. Aber ein Rechtsgutachten des Juristen Walter Seitz, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, kommt zu dem Schluss, dass die Versicherer in den meisten Fällen voll zahlungspflichtig sein dürften: und zwar auch dann, wenn kein konkreter Corona-Fall im Unternehmen zu beklagen war.

Laut Rechtswissenschaftler Zeitz sind auch Allgemeinverfügungen oder Verordnungen eines zuständigen Ministeriums als „Schließung durch die zuständige Behörde" anzusehen, da die Formulierungen in den AGB der Versicherer oft sehr vage seien. Versicherungsbedingungen aber müssen so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen würde, wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach hervorhob (Az. IV ZR 104/17 oder Az. IV ZR 302/16). Wird eine Pandemie in den Vertragsbedingungen des Versicherers nicht explizit ausgeschlossen, dürften die Kundinnen und Kunden gute Chancen haben, sich im Rechtsstreit gegen den Versicherer durchzusetzen (der Versicherungsbote berichtete).

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Und tatsächlich haben viele Kundinnen und Kunden gegen die Haftpflichtkasse geklagt. Allein die Kanzlei Wilhelm Rechtsanwälte mit Sitz in Düsseldorf und Berlin vertritt rund 50 Gastronomen und Hoteliers gegen den Versicherer, wie die Juristen berichten. Die Haftpflichtkasse war früher als Spezialversicherer auf das Hotel- und Gaststättengewerbe fokussiert, hat sich erst 1995 gegenüber dem Privatkunden-Geschäft geöffnet. Entsprechend hat man in der Branche einen großen Kundenstamm.

Die Haftpflichtkasse bessert beim Bayrischen Kompromiss nach

Aus Sicht der betroffenen Kundinnen und Kunden gibt es jedoch auch eine positive Nachricht: zumindest, wenn sie sich auf das Vergleichsangebot des Versicherers einlassen wollen. Die Haftpflichtkasse hat sich ebenfalls dem sogenannten Bayrischen Kompromiss angeschlossen, wonach die Versicherungsnehmer zumindest einen Bruchteil des versicherten Schadens ersetzt bekommen sollen - angeblich aus Kulanz.

Hier gilt es zu bedenken: Betriebsschließungs-Versicherungen funktionieren ähnlich Krankentagegeldversicherungen. Der betroffene Unternehmer bzw. die Unternehmerin vereinbaren für eine bestimmte Frist eine Summe, die für jeden Tag ausgezahlt wird, an dem der Betrieb ruht. Üblich ist, dass die Verträge für 30 oder für 60 Tage abgeschlossen werden.

Der Bayrische Kompromiss wurde zwischen der Bayrischen Landesregierung, mehreren Versicherern und dem bayrischen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ausgehandelt. In der Regel verpflichten sich die Versicherer, den Betroffenen maximal 15 Prozent der versicherten Tagessumme für maximal 30 Tage zu ersetzen. Eine höchst umstrittene Vereinbarung, die von Juristen und Verbraucherschützern kritisiert wurde, da sie die Versicherer vielfach in der vollen Leistungspflicht sehen. Wie umstritten sie ist, zeigt sich daran, dass der Bundesverband von Dehoga auf Distanz zu dem angeblichen Kompromiss ging - und stattdessen den vertretenen Gaststätten und Hotelfirmen rät, eine Klage gegen die Versicherer zu prüfen (der Versicherungsbote berichtete).

Zum einen biete man den Bayrischen Kompromiss nun auch anderen Branchen an und nicht mehr nur Hotels und Gaststätten, berichtet Wetzel. Zum anderen wolle man das Angebot für das Hotel- und Gaststättengewerbe "im Rahmen der Kulanz" erweitern: Diese Betriebe erhielten "weitere zehn Prozent der jeweils versicherten Tagesentschädigung für die Dauer von 30 zusätzlichen Tagen, sofern der Kunde 60 Tage Haftzeit versichert hat". Mit anderen Worten: Wer 60 Tage Laufzeit vereinbart hat, erhält 15 Prozent der versicherten Summe für die ersten 30 Tage, dann zehn Prozent der Tagessumme für die weiteren 30 Tage.

Haftpflichtkasse betont finanzielle Sicherheit

Laut dem nachgebesserten bayrischen Kompromiss müsste die Haftpflichtkasse dennoch nur einen Bruchteil der Summe zahlen, den sie bei einer vollen Zahlpflicht zu leisten hat. Deshalb bringt das vermeintliche Kulanzangebot die betroffenen Hotel- und Gastronomiebetriebe auch in eine Zwickmühle. Viele sind in einer finanziellen Notsituation: Einen Teil der vereinbarten Summe zu erhalten, wäre besser als nichts. Aber wer sich auf den Kompromiss einlässt, tritt zugleich alle weiteren Ansprüche aus dem Vertrag ab. Spätere Klage ausgeschlossen.

Ein Umstand überrascht im Statement: Torsten Wetzel hebt explizit die finanzielle Stärke der Haftpflichtkasse hervor. Er schreibt: "Umsichtiges Handeln heißt für uns in dieser Sondersituation ebenfalls die Solvenzquote fest im Blick zu haben, um für alle Versicherten auch in Zukunft ein verlässlicher Partner sein zu können. Bislang sind keinerlei Entwicklungen erkennbar, die auf eine Unterschreitung der unternehmensinternen Mindestanforderung an die SCR-Bedeckungsquote von 170,0 Prozent hindeuten. Am 31. Dezember 2019 lag die Quote auf einem komfortablen Niveau von 298,4 Prozent."

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Warum betont der Vorstand die Finanzstabilität der Haftpflichtkasse? Hier kann nur gemutmaßt werden: Vereinzelt sind Gerüchte in Maklergruppen aufgekommen, dass der Versicherer in seiner Existenz bedroht sein könnte, wenn viele Gerichtsurteile eine volle Leistungspflicht in Sachen Betriebsschließung feststellen. Dem will sich der Versicherer entgegenstellen.

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