In den Streit um mutmaßlich falsch berechnete Zinsen bei Sparkassen hat sich nun auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eingeschaltet. Das berichtet Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). „Die Kreditinstitute werden hier konkret aufgefordert, die betroffenen Sparer von sich aus zu informieren und angemessene Lösungen anzubieten“, sagte demnach Heyer. Dies sei ein „Wink mit dem Zaunpfahl seitens der staatlichen Aufsicht gegenüber den Sparkassen“.

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Heyer beklagt in dem Gespräch zugleich, dass die betroffenen Finanzinstitute kein Entgegenkommen gegenüber ihren Kundinnen und Kunden zeigen. Die Verbraucherzentrale Sachsen hat selbst drei Musterfeststellungsklagen gegen lokale Sparkassen angestrengt. Bereits seit letztem Jahr laufen die Musterverfahren gegen die Erzgebirgssparkasse und die Sparkasse Leipzig. Am 04. Februar 2020 hat die Verbraucherzentrale zudem beim Oberlandesgericht Dresden Musterfeststellungsklage gegen die Sparkasse Zwickau eingereicht.

Streit um intransparente Klausel

Bei den Verträgen handelt es sich um das Modell „Prämiensparen flexibel“ oder ähnlich funktionierende Policen, die vor allem von den Volksbanken und Sparkassen vertrieben wurden. Neben einem Basiszins sahen diese Verträge eine gestaffelte Extraprämie vor. Viele dieser Verträge wurden in den 1990er- und 2000er-Jahren abgeschlossen und sahen eine lange Laufzeit vor. So kann die höchste Bonusstufe erstmals nach 15 Jahren Sparzeit ausgereizt werden.

Das Problem: Den variablen Grundzins haben die Sparkassen mehrfach nach unten korrigiert, bis fast nichts mehr übrig geblieben ist. Wurde die Spareinlage anfangs noch mit drei Prozent Zins und mehr berechnet, so sank der variable Zins mittlerweile bei vielen Verträgen auf 0,001 Prozent: fast nichts.

Die Verbraucherzentrale kritisiert, dass die Banken den Niedrigzins zu schnell an die Kundinnen und Kunden weitergegeben haben - und zu unrecht. Zwar sei ein variabler Grundzins – also ein Zins, der von der Bank an die allgemeine Zinsentwicklung am Markt angepasst werden kann - bei solchen Verträgen üblich. Aber die Banken müssen transparent kommunizieren, auf welcher Art der Zins angepasst wird: speziell bei lang laufenden Verträgen. Das soll die Sparerinnen und Sparer davor schützen, dass der Zinssatz willkürlich und zu Unrecht nach unten korrigiert wird.

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Genau das sei aber passiert: Die Sparkassen hätten ihren Zinssatz unrechtmäßig angepasst, deutlich zum Nachteil der Kundinnen und Kunden. So bemängeln zumindest die Verbraucherzentralen und haben gute Argumente. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits mehrfach Klauseln für unwirksam erklärt, auf die sich Sparkassen beim Anpassen des Zinses berufen haben. Die Klauseln seien intransparent, da Verbraucher nicht nachvollziehen können, wie sich die Zinsen ändern (Az. XI ZR 361/01, Az. XI ZR 140/03, Az. XI ZR 52/08, Az. XI ZR 197/09).

falscher Referenzzins als Bezugsgröße

Die Sparkassen beriefen sich aber nicht allein auf intransparente und wohl unwirksame Klauseln - sondern orientierten sich wohl auch am falschen Referenzzins. Normalerweise müssen sich die Institute an einer Zeitreihe der Bundesbank orientieren, die für langjährige Anlagen gilt und Pfandbriefe mit zehnjähriger Laufzeit erfasst.

Stattdessen aber rechneten die Banken auch kurzfristige Anleihen ein: Papiere, die gerade in Zeiten niedriger Zinsen enorm wenig Rendite versprechen, wenn überhaupt. "Hierdurch werden fallende Zinsen schneller an die Sparer weitergegeben“, erklärt Verbraucheranwalt Kai Malte Lippke, der für die Verbraucherzentralen Verträge überprüft hat.

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"Klare Positionierung stärkt uns den Rücken"

Andrea Heyer von der Verbraucherzentrale Sachsen sieht sich nun auch durch den Vorstoß der Finanzaufsicht bestätigt. "Die klare Positionierung der BaFin stärkt uns den Rücken, sowohl in Hinblick auf die anhängigen Musterfeststellungsklagen wie auch mit Bezug auf die Vermeidung weiterer Klagen. Also man kann sagen, der Ball liegt nun wieder bei den Sparkassen", sagte sie dem MDR.

Im Rechtsstreit geht es nicht um Einzelfälle. Der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg listet auf einer Webseite mehr als 140 Institute bundesweit auf, die eine angeblich rechtswidrige Zinsanpassungsklausel verwendet haben (Übersicht siehe hier). Und es geht um viel Geld:

Demnach haben die Verbraucherzentralen 5000 langfristige Sparverträge von verschiedenen Banken und Sparkassen überprüft und nachgerechnet. Im Schnitt dieser Verträge hätten die Verbraucher rund 4000 Euro zu wenig Zinsen erhalten. In der Spitze sei sogar ein Fehlbetrag von 78.000 Euro errechnet worden.

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Das Ausmaß der betroffenen Verträge dürfte aber noch weit größer sein. "Prämiensparen flexibel" war lange Zeit ein echter Verkaufsrenner: und zählte zu den am besten nachgefragten Sparprodukten der Sparkassen. Allein 280.000 Verträge dieser Art haben die Institute in den letzten Jahren gekündigt (der Versicherungsbote berichtete).

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